Kritisiert werden die Obdachlosen, die Bonneweg belagern. Dabei wird übersehen, dass die Betroffenen keine Alternativen haben.
Gerade in Zeiten wirtschaftlicher Rezession und steigender Arbeitslosigkeit könnte man erwarten, dass bei den meisten BürgerInnen eine neue Einsicht gewonnen wird: Armut wird gesellschaftlich produziert und muss gesellschaftlich gelöst werden. Auch und vor allem dem städtischen Bürgermeister sowie den sozialen Institutionen müsste das klar sein. Eigentlich. Doch in einem kürzlich erschienenen Télécran-Artikel ermuntert Paul Helminger (DP) in populistischer Manier die Bonneweger Bevölkerung und somit auch seine potenziellen WählerInnen zu, mehr Selbstbewusstsein gegenüber den Obdachlosen – sie sollen sich „behaupten und (…) die Parkbänke für sich in Anspruch nehmen.“
Schlimm ist, dass gerade jene, die über die öffentlichen Mittel verfügen soziale Hilfe richtig anzuwenden, wie die staatlichen und karitativen Institutionen und Repräsentanten, sich aktiv daran beteiligen, das Phänomen Obdachlosigkeit zu vertuschen und die eigentlichen Probleme nicht anpacken. Auch die aktuelle Debatte wird an den Betroffenen vorbei geführt: So geht es auch dem Bürgermeister darum, den „Schandfleck Obdachlosigkeit“ zu verstecken und auf verschiedene Gemeinden zu verteilen – anstatt sich um die substantiellere Frage zu kümmern, wie den Menschen, die obdachlos sind, besser oder anders geholfen werden kann, damit sie nicht mehr auf der Straße leben müssen.
Im Gegenteil, da die Obdachlosen keine Lobby haben, werden sie wie lästige Figuren hin- und hergeschoben: Im öffentlichen Stadtraum sind sie unerwünscht und in den sozialen Einrichtungen wie dem Foyer Ulysse, das von Caritas Accueil et Solidarité betrieben wird, wird nur eine fragwürdige Notbetreuung geleistet.
Diese Menschen hängen auf der Straße herum, weil es keine gesellschaftlichen Lösungen für sie gibt, weil das letzte soziale Netz, das sie auffangen könnte, zu grobmaschig ist, um sie zu halten. Es ist eben ein Irrtum zu meinen, indem man den Leuten ein warmes Essen vorsetzt und ihnen eine Schlafgelegenheit bietet, würden sich die Dinge schon arrangieren. Bei Menschen, die dringend konkretere Maßnahmen bräuchten, reicht verwaltungstechnische Pannenhilfe nicht aus. Denn obwohl allen Obdachlosen die Armut gemeinsam ist, bilden sie keine homogene Gruppe. Es sind multiple Schwierigkeiten, mentale und physische Gesundheitsprobleme, Arbeitslosigkeit oder Scheidung, die die Leute in die Spirale der Armut geführt haben. Diese Tatsache wird bei der Aufnahme im Foyer Ulysse kaum beachtet, alle werden über einen Kamm geschoren und müssen die vorgefundenen minimalen Leistungen akzeptieren – und das nicht gratis: Bis zu 680 Euro monatlich kostet die Betroffenen diese unfreiwillige Inanspruchnahme von primären Hilfestellungen. Außerdem müssen sie einen Wohnvertrag akzeptieren, der sie in der Unmündigkeit hält und ihnen eine unwürdige Hausordnung aufzwingt.
Unmündig weil als Caritas ihre Sozialbezüge verwaltet und über Gutscheine kontrolliert, was mit dem Geld geschieht. Hier wird den Betroffenen die Eigenverantwortung genommen. Sie haben keinen Überblick mehr über ihre eigenen Finanzen und können nicht selbständig darüber verfügen. Als Grundlage des Wohnvertrages gilt Caritas außerdem, dass die Obdachlosen einer „regelmäßigen, versicherungspflichtigen Arbeit“ nachgehen oder die ihnen zustehenden Sozialleistungen beantragt haben. Auch hier schreibt Caritas Bedingungen vor, die absurd sind angesichts der Notlage der Hilfe Suchenden.
Die Hausordnung schränkt die Aufenthaltsmöglichkeiten erheblich ein: Größtenteils stehen den Betroffenen nur Schlafräume zur Verfügung. Tagsüber haben sie keinen Zugang zu ihren Zimmern. Wenn ein Betroffener, eine Betroffene gegen die Hausordnung verstößt und sei es nur minimal, kann er oder sie vor die Tür gesetzt werden, egal bei welcher Witterung. Hier bestimmt die Willkür der Caritas-Sozialarbeiter, wann er oder sie zurückkann und kein neutrales Reglement.
Die Betroffenen werden regelrecht in eine Unmündigkeit hineinerzogen. Es gibt keine Alternativen, die Obdachlosen sind abhängig vom Foyer, das ihre Gelder kassiert und von einer Gesellschaft, die kaum Reintegrationsleistungen bietet. Ein fataler Teufelskreis.