SPORT: Turnen für die Tour

Ein Luxemburger Etappensieg bei der Tour wirft die Frage nach dem Stellenwert des Sports auf. Doch die Verwechslung von Schulsport mit Leistungssport verleitet zu falschen Schlussfolgerungen.

Der 18. Juli war ein Freudentag für Luxemburger Radsportfans. Nach 40 Jahren gewann mit Fränk Schleck endlich wieder ein Luxemburger eine Tour-de-France-Etappe. Weil solche Siege für viele ein Ansporn sind Sport zu treiben, fordern Sportbegeisterte eine stärkere staatliche Förderung des Leistungssports. Überhaupt sollte dem Sport mehr Platz eingeräumt werden, lautet eine weit verbreitete Meinung. Die langjährige Forderung der Sportlehrergewerkschaft nach einer dritten Turnstunde wird von Sport treibenden wie von weniger sportlichen Zeitgenossen aufgegriffen. Das bescherte Luxemburg bessere Ergebnisse im Leistungssport, so die Theorie, und löse nebenher noch das Übergewichtsproblem bei den Jugendlichen.

Was plausibel klingt – immerhin ist Fränk Schleck nicht übergewichtig – beruht auf einem doppelten Trugschluss. Hinter dem Begriff Sportbegeisterung verstecken sich nämlich drei verschiedene Realitäten, die wenig miteinander zu tun haben: Hochleistungssport, Sport als Hobby und „spectator sport“.

Erstens ist die Hypothese, Erfolge im Hochleistungssport hätten eine massive Wirkung auf den Breitensport, nur Wunschdenken. Vom Aufspringen aus dem Fernsehsessel bei einem Etappensieg bis zum Aufsteigen auf den Drahtesel ist es ein weiter Weg. Gewiss, „unserem“ Fränk zuzusehen wie er in die Pedale tritt, macht Lust darauf es ihm nachzutun. Bei einigen bereits vorher aktiven ZuschauerInnen mag das den Ausschlag geben, endlich einem Club beizutreten und regelmäßig Sport zu treiben. Doch zu glauben, von heute auf morgen wimmelten die Straßen von Tausenden von Fränk Schlecks, ist naiv. Eher schon klingeln die Kassen der Outdoor-Läden und der Radhändler, wenn die Nachfrage nach gepunkteten Trikots und Karbonfahrrädern plötzlich steigt. Manche „Sportbegeisterte“ haben in ihrer Garage eine regelrechte Sammlung von Equipment, vom Langlaufski bis zum Walking-Stock – aus Lust auf Sport gekauft, aber kaum benutzt.

Daraus ergibt sich keineswegs, dass der Leistungssport nicht gefördert gehört. Der Übersprung-Effekt auf den Breitensport, auch wenn er überschätzt wird, ist durchaus real. Vor allem aber ist es legitim und normal, dass der Staat Aktivitäten fördert, für die sich Teile der Bevölkerung begeistern und engagieren. Schließlich profitieren weniger und wenig verbreitete „spectator sports“ wie Theater, Konzert und Oper, ja, neuerdings sogar die Pop-Musik, von massiver staatlicher Unterstützung. Mit dem Breitensport hat das aber wenig zu tun, wie man Opern ja auch nicht in erster Linie ins Programm nimmt, um den Bestand an Amateur-Sopranistinnen und -Tenören aufzustocken.

Die zweite Hypothese, mehr Sportangebote rückten dem Übergewichtsproblem automatisch zu Leibe, stimmt ebenfalls nicht. Mehr Schwimmbäder, Radpisten und Turnstunden kommen erst einmal denen entgegen, die schon jetzt viel und gerne Sport treiben. Wer etwas gegen die Tendenz zur Übergewichtigkeit in der Bevölkerung und vor allem bei Jugendlichen tun will, muss anderswo ansetzen. Das Aktionsprogramm der Regierung, Anfang Juli vorgestellt, setzt zu Recht andere Prioritäten: „Gesond Iessen, méi bewegen“. Unter mehr bewegen fallen dabei nicht nur der Hobbysport, sondern auch Freizeitangebote, die Spiel und Sport verbinden sowie ganz trivial die Förderung des Langsamverkehrs. Die dritte Turnstunde bleibt unerwähnt, dafür sollen aber die Programme der „Education physique“ an die differenzierten Bedürfnisse der SchülerInnen angepasst werden.

In der Tat ist die Forderung nach einer dritten Turnstunde angesichts der SportlehrerInnen-Schwemme zwar verständlich, doch könnte sie das Gegenteil des erklärten Zieles bewirken. Für Jugendliche, die ein gestörtes Verhältnis zum Schulsport haben, sei es aus Überforderung oder Motivationsmangel, ist eine zusätzliche Turnstunde erst einmal ein Alptraum. Solche SchülerInnen werden durch eine auf Leistung ausgerichtete „Education physique“ unweigerlich zu „Sportunterrichts-Geschädigten“, in Anlehnung an den vom kritischen Pfarrer Jupp Wagner geprägten Begriff der „Religionsunterichts-Geschädigten“.

Wer das vermeiden will, muss den Sportunterricht darauf ausrichten, die „leistungsschwachen“ SchülerInnen zu unterstützen und ihnen die Lust am Sport zu vermitteln. Dass die Sportlehrergewerkschaft dafür eintritt, die „Education physique“ stärker diplomierten Fachkräften anzuvertrauen, ist grundsätzlich richtig. Allerdings braucht der Schulsport keine hochqualifizierten TrainerInnen, die ihre Klassen als Pool für den Vereinssport betrachten. Gefragt sind PädagogInnen, die es schaffen, Spiel und Leistung miteinander zu verbinden und vor allem den „Problemfällen“ den Sport nahe zu bringen.


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