Wer in Luxemburg Schutz im Frauenhaus sucht, landet womöglich erst einmal auf einer Warteliste. Grund für die hohe Nachfrage ist nicht nur häusliche Gewalt – auch Armut und ein überteuerter Wohnungsmarkt zählen zu den Ursachen.
Anne ist Mitte zwanzig. Sie hat einen kleinen Sohn. Sie ist allein erziehend, nachdem sie ihren Lebensgefährten verlassen hat, der sie wiederholt schlug und bedrohte. Zeitweilig sah es so aus, als hätte sie den Sprung in die Unabhängigkeit geschafft: Sie hatte eine kleine Einzimmerwohnung gefunden und arbeitete als Küchenhilfe. Dann jedoch wurde ihr von heute auf morgen gekündigt. Die Miete, mit der Anne schon im Rückstand war, konnte sie nicht mehr bezahlen. Auch die Tagesmutter für ihren Sohn konnte sie sich nicht mehr leisten. Ganz ohne soziales Netzwerk, bestehend aus Familie oder Freunden, das sie und ihren Sohn zeitweilig hätte auffangen können, gestaltete sich auch die Suche nach einer neuen Arbeitsstelle schwer. Und an eine neue Bleibe war unter diesen prekären Umständen überhaupt nicht mehr zu denken: Abgesehen von den hohen Mietpreisen in Luxemburg, ist kaum ein Eigentümer bereit, seine Wohnung an eine allein erziehende, arbeitslose Mutter zu vermieten. Anne wäre wohl mit ihrem Sohn auf der Straße gelandet – hätte sie nicht Aufnahme in einem Frauenhaus gefunden.
Und das ist zurzeit alles andere als einfach: Luxemburgs Frauenhäuser sind hoffnungslos überfüllt. 365 Anfragen für eine Unterkunft wurden 2007 aufgrund von Platzmangel abgelehnt – so steht es im „rapport d’activité“ des Chancengleichheitsministeriums. Luxemburg verfügt bei einer Bevölkerung von 465.000 Einwohnern insgesamt über 230 Betten für Frauen und deren Kinder, rund fünf Betten pro 10.000 Einwohner. „Das Großherzogtum hat die größte Bettenanzahl für Frauen in Not in ganz Europa“, rechnet Isabelle Klein, Conseillère de direction im Chancengleichheitsministerium vor. Diese Anzahl soll 2008 noch um 33 Betten im Süden und im Zentrum des Landes erweitert werden. „Die Foyers werden tendenziell immer größer“ so Beatrice Ruppert, Sozialarbeiterin bei der Fondation Pro Familia in Dudelange. In puncto Betreuungsqualität für die Frauen und ihre Kinder sei das nicht unbedingt wünschenswert. „In großen Strukturen wird den Frauen viel zugemutet“, so Joëlle Schrank, Vorsitzende von „Femmes en détresse“. „Ich denke, man müsste eher individuellere Wohnbereiche schaffen.“ Das scheint jedoch aufgrund der zeitweilig hohen Nachfrage nicht umsetzbar: Denn wenn das Haus voll ist und eine Frau wirklich in Not, dann müssen auch mal zwei Frauen samt ihren Kindern in einem Zimmer übernachten.
Lange Wartelisten
„Der Frust ist teilweise schon ziemlich groß in unserer Beratungsstelle – wenn Frauen hier sitzen und man aufgrund von Auslastung keine direkte Hilfe mehr anbieten kann“, so Christiane Wagener, Mitarbeiterin von „Femmes en détresse“. Zwar gebe man den Frauen die Kontaktadressen der anderen Frauenhäuser oder horche sich selbst nach freien Übernachtungsplätzen um. Manchmal jedoch sei alles belegt und man könne einer Frau übergangsweise nur ein Zimmer in einer Jugendherberge anbieten. „Gerade bei Frauen, die aufgrund von Gewalt in Gefahr schweben, ist das jedoch sicherlich keine gute Lösung“, meint Wagener. So befänden sich zurzeit etwa rund fünf Frauen auf der Warteliste von „Femmes en détresse“; das bei einer Kapazität von insgesamt 17 Betten.
Die Ursachen für die zeitweilige Überfüllung der Frauenhäuser sind vielschichtig. So gebe es immer wieder Stoßzeiten: „Gerade an Feiertagen brechen viele Familienkonflikte aus“, stellt Sandy Stéphanini fest, Erzieherin im Foyer Sud in Esch. Darüber hinaus scheint es allgemein so zu sein, dass die Anzahl der Frauen, die sich an Frauenhäuser wenden, steigend ist – was zum Teil sicher auch auf das neue Gesetz zur „violence domestique“ zurückzuführen ist. „Durch das Wegweisungsgesetz, das für die Täter Platzverweise von zehn Tagen bis drei Monaten aus der gemeinsamen Familienwohnung vorsieht, werden Frauen, die Gewalt erlebt haben, besser informiert und erfahren oft erstmals von der Existenz der Frauenhäuser“, so Christiane Wagener.
Zur zunehmenden Zahl an Hilfesuchenden gesellt sich das Problem einer zähen Fluktuation in den Frauenhäusern: Hat eine Frau einen Platz im Frauenhaus erwischt, bleibt sie oft mehrere Monate, da die sozio-ökonomischen Anforderungen der Gesellschaft zu hoch sind, um überhaupt den Sprung in die Selbständigkeit zu schaffen. Was zur Folge hat, dass die Zimmer in den Frauenhäusern über längere Zeit blockiert sind. So liegt die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Frauen bei „Femmes en détresse“, im Foyer Sud oder bei der Fondation Pro Familia bei rund vier Monaten. Es dauert – nicht nur bis die Frauenhäuser mittels psychischer, administrativer, aber auch rechtlicher Hilfe die Frauen so weit stabilisiert haben, dass sie unabhängig vom Frauenhaus ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen können. Dazu kommen die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen im wohlhabenden – oder besser gesagt: teuren – Luxemburg, die als andere als einfach sind.
Teurer Immobilienmarkt
So haben viele Frauen bei ihrer Ankunft kaum finanzielle Mittel, da sie bisher komplett von ihren Männern abhängig waren. Einige Frauen sind bis über beide Ohren verschuldet. „Viele Frauen wissen nicht einmal, wie viel ihr ehemaliger Partner verdient hat, mit dem sie Schuldscheine unterschrieben haben“, so Wagener. Diese Situation macht es nicht gerade einfach, eine eigene Wohnung auf dem viel zu teuren Immobilienmarkt zu finden. Auch winken viele Wohnungseigentümer auf Anhieb ab, wenn sie sehen, dass eine Bewerberin nur über ein kleines Gehalt verfügt, gar den RMG bezieht und daneben auch noch Kinder hat. „Zwar gibt es Wohnungsgesellschaften wie den ?Fonds du logement‘ oder die Wohnungshilfe ?Ennerdach‘ von Differdange – doch auch die haben lange Wartelisten“, so Sandy Stéphanini. Und falls dann letztlich doch eine erschwingliche Wohnung gefunden wurde, ist sie manchmal nicht passend: Denn was nutzt eine günstige Wohnung im Süden, wenn die betroffene Frau ihren Arbeitsplatz im Norden dann nicht erreichen kann. Zudem muss auch die Kinderbetreuung in Wohnortnähe organisierbar sein.
Ein Gros der Frauen hat keine richtige Ausbildung, was auch die Arbeitssuche nicht unbedingt einfacher gestaltet. „Frauen, die eine Ausbildung haben, finden viel schneller eine Arbeit und haben dadurch auch bessere Chancen auf dem Wohnungsmarkt“, sagt Wagener. Besonders bei jungen Frauen ohne Ausbildung sei die Situation schwierig und ein Leben in Armut zum Teil vorprogrammiert. Dabei sei die Anzahl der jüngeren Frauen, die in Frauenhäusern landen steigend. „Dafür sind zum Teil generationenübergreifende Faktoren verantwortlich: Wenn schon bei den Eltern Gewalt zum Alltag gehört hat, kann es sein, dass die Tochter später selbst an einen gewalttätigen Partner gerät“, so die Erzieherin Stéphanini. Viele dieser jungen Frauen wüssten nicht wohin im Leben. „Sie beginnen eine Ausbildung, beenden sie jedoch nicht“.
Deshalb sei es wichtig, frühzeitig anzusetzen: Handlungsbedarf besteht in den Frauenhäusern auch in der Jugend- und Kinderarbeit. „Die Betreuer für die Frauen sind in der Majorität. Dagegen gibt es oft nur eine Mitarbeiterin pro Frauenhaus für die Kinder – was verwunderlich ist, denn oft haben wir mehr Kinder als Frauen in den Frauenhäusern „, so Schrank von „Femmes en détresse“. Zwar hätten einige Frauenhäuser eine interne Kinderbetreuung und es gebe auch eine Zusammenarbeit mit externen Krippen, jedoch fehle es an Psychologen, die Kinder betreuen, die unter der prekären Situation oder Gewalterfahrungen leiden.
Generell besteht die Hilfe der Frauenhäuser vor allem darin, den Frauen Möglichkeiten vorzugeben. Nur wer beim Bewerbungsschreiben Probleme hat oder zu ängstlich ist um Behördengänge wie die RMG-Anfrage allein zu erledigen, wird dazu auch mal an der Hand genommen. Geduld zu haben für bürokratische Erledigungen, das ist besonders gefordert, wenn eine Frau ursprünglich aus dem Ausland stammt und beispielsweise Papiere braucht. „Es dauert, bis alle administrativen Schritte erfüllt sind und etwa eine Wohnung beim ?Fonds du logement‘ in Aussicht steht“, so Christiane Wagener von „Femmes en détresse“. Sinnvoll für eine bessere Fluktuation wäre es, wenn mehr so genannte Zwei-Phasen-Wohnungen vorhanden wären. „Femmes en détresse“ hat fünf solcher Wohnungen, die dem Staat gehören, zur Verfügung. Gerade jenen Frauen, die soweit stabilisiert wurden, dass sie wieder alleine leben können, ermöglichen diese günstigeren Mietwohnungen es, ein wenig Geld zu sparen, um später wieder ganz auf eigenen Beinen zu stehen.?