Die Absicht, zu beabsichtigen, etwas gemeinsam zu beabsichtigen … Landesplanung ist in Luxemburg eine Geduldsprobe.
Wahltermine sorgen hierzulande nicht nur für etwas Spannung im ansonsten eher drögen politischen Tagesgeschäft. Sie bieten auch immer wieder Gelegenheit, politische Willensbekundungen der verschiedenen Akteure auf Papier festzuhalten. Quasi als Vermächtnis für jene, die nach dem bevorstehenden Termin die Lenkung der Geschicke übernehmen werden und vielleicht sogar in neue Verantwortungsbereiche vorstoßen. So war es auch am 27. Juni 2005 – also wenige Monate vor den letzten Kommunalwahlen. Damals unterzeichneten die BürgermeisterInnen von Luxembourg, Bertrange, Hesperange, Leudelange und Strassen zusammen mit dem Landesplanungsminister eine Konvention für die koordinierte und integrative interkommunale Entwicklung im Südwesten der Agglomeration der Stadt Luxembourg. Entsprechend der französischen Bezeichnung „Développement intercommunal coordonné et intégratif“ wurde das Verfahren auf den Namen „DICI Süd-West“ oder einfach „DICI“ getauft.
Es ging bei diesem Vorhaben darum, die Entwicklung des am stärksten wachsenden Wirtschaftsraums in Luxemburg in den Griff zu bekommen. Mit Ausnahme der Stadt Luxemburg umfasst das Gebiet jeweils die gesamten Territorien der Einzelgemeinden. Die Hauptstadt brachte ein Gebiet ein, das den Vororten Gasperich, Cessingen und Merl entspricht. Landesplanungsminister Jean-Marie Halsdorf wies seinerzeit auf die ungeheuere Dynamik hin, die diesen Raum kennzeichnet: Aus geschätzten 40.000 Einwohnern und 50.000 Arbeitsplätzen sollten bis zum Jahr 2020 70.000 Einwohner und sogar 80.000 Arbeitsplätze werden. Der damals herrschende wirtschaftliche Boom ließ diese Erwartungen als plausibel erscheinen. Die Aktivitätszonen am südwestlichen Rand der Stadt – allen voran die Cloche d’Or – wurden in den letzten Jahrzehnten nicht nur von Industrieunternehmen, sondern auch von Dienstleistern entdeckt. Es entstanden Arbeitsplätze und die mit ihnen verbundenen Versorgungsstrukturen. Aber auch Wohngebiete wurden erschlossen.
In Gegensatz zu anderen Boomzonen, wie etwa dem Kirchberg im Nordosten der Hauptstadt, ist die DICI-Region auf mehrere Gemeinden verteilt. Bis 2005 bestand keinerlei koordiniertes Vorgehen hinsichtlich der weiteren Entwicklung. Schlimmer noch: Da die Kommunen aufgrund ihres Finanzierungsmodus vor allem auf die Steuerleistungen der auf ihrem Gebiet angesiedelten Betriebe angewiesen sind, kam es zeitweise sogar zu einer gewissen Konkurrenz, die die entstandene Dynamik noch zu verschärfen drohte. Betriebe, die aus dem Zentrum der Hauptstadt Luxemburg abzogen um sich „auf der grünen Wiese“ neu aufzustellen, konnten sich die Filetstücke am Rande der Stadt und in den Nachbargemeinden aussuchen – zumindest am Anfang der Entwicklung war das so.
Die ehemaligen „Schlafgemeinden“ am Rande der Hauptstadt hatten sich inzwischen zu dynamischen Wirtschaftszentren entwickelt, und die vollen Kassen bestärkten viele kommunale Verantwortungsträger in dem Glauben, die anstehenden Probleme im Alleingang lösen zu können. Vorschläge zur Schaffung einer Art „communauté urbaine“, die in den 80er Jahren von einigen politischen Akteuren in die Debatte geworfen worden waren, blieben ohne Resonanz. Da auch die Landesplanung bis spät in die 90er Jahre kaum in Gang gekommen war, konnten Fehlentwicklungen wie das Nebeneinander großflächiger Einkaufszentren oder verkehrsintensiver Industriezonen nicht vermieden werden. So entstand am Südrand der Stadt Luxemburg, der einmal als Grüngürtel gedacht war, ein urbanistischer Brei, in dem die
Lebensqualität erheblich beeinträch-tigt war.
Wider den urbanistischen Brei
Bemühungen, etwa im Bereich der Verkehrspolitik und im öffentlichen Personennahverkehr gemeinsame Strategien zu entwickeln, hat es in den 80er und 90er Jahren zwar auch schon gegeben, doch scheiterten sie an den Partikularinteressen der einzelnen Gemeinden. So endete das städtische Busnetz meist haarscharf an der Stadtgrenze, weil die Randkommunen nicht bereit waren, die Kosten für die über ihr Gemeindegebiet führenden Linienverlängerungen zu tragen.
Jean-Marie Halsdorf, der im Juni 2005 noch kein ganzes Jahr im Amt war, sprach damals von einem symbolischen Abkommen, das auch andere Vorhaben, wie die „Nordstad“, aber auch die Gemeinden im Süden des Landes, beflügeln würde. Was er wohl nicht voraussah, war das Ausmaß der Probleme, auf die dieser Prozess dann traf. Zum einen waren in der Folge der Kommunalwahlen von 2005 nicht mehr alle AkteurInnen, die die Willenserklärung mitgetragen hatten, im Amt. Andere wurden in den Folgejahren aufgrund von Rücktritten aus Altersgründen oder Koalitionswechseln durch neue Bürgermeister ersetzt. Auch wenn diese Wechsel nicht gleichbedeutend waren mit einer Abkehr von den Prinzipien der Vereinbarung, so musste doch manche Überzeugungsarbeit mehrfach geleistet werden. Hier wirkte sich aus, dass das System der Kommunen sehr stark auf die Person des Bürgermeisters ausgerichtet ist.
Der DICI-Prozess, ähnlich wie andere landesplanerische Vorhaben, die noch von Halsdorfs Vorgänger Michel Wolter in Gang gesetzt worden waren, schreitet nur sehr langsam voran – zu langsam angesichts der rasanten Entwicklungen. Nach umfangreichen Erhebungen, die es erlauben, die Entwicklungspotentiale der DICI-Region einheitlich zu bewerten, und deren Schlussfolgerungen, die von allen Akteuren mitgetragen wurden, gelangte jetzt ein Folgeabkommen zur Unterschrift, in dem die betroffenen Gemeinden ihre Bereitschaft bekunden, sich vor allem bezüglich der Verkehrsproblematik an gemeinsame Richtlinien zu halten.
Auch wenn es wohl eher der Termin der Nationalwahlen als der effektive Fortschritt der Verhandlungen war, was die feierliche Unterzeichnung dieses neuen Abkommens bestimmt hat, so scheinen die Vorurteile und das Misstrauen gegen ein gemeinsames Vorgehen doch endgültig der Vergangenheit anzugehören. Die Bürgermeister jedenfalls hoben bei der Unterzeichnung am vergangenen Mittwoch die Vorteile hervor, die sich für ihre jeweiligen Kommunen aus diesem Prozess ergeben werden.
Die Simulationspotentiale, die von den zuständigen Stellen unter Mitwirkung diverser Planungsbüros erstellt worden waren, haben ihre Wirkung gezeigt. Bis 2030 könnten in der betroffenen Region theoretisch bis zu 124.000 Menschen angesiedelt werden. Die Experten haben zudem ein Potential von fast 140.000 Arbeitsplätzen errechnet. Eine ungeheure Entwicklung, wenn man sich die Zahlen von 2007 vor Augen führt, als in demselben Gebiet knapp 40.000 Menschen lebten und etwa 50.000 ihre Arbeit hatten. Nach dem DICI-Szenario müsste mit rund 470.000 Verkehrsbewegungen pro Tag in das Gebiet gerechnet werden. Damit übertreffen die Schätzungen nicht nur die Zahlen, die der Landesplanungsminister noch vor vier Jahren in den Raum gestellt hatte. Sie veranschaulichen, dass die einzelnen Kommunen kaum in der Lage wären, die Folgeprobleme einer solchen Entwicklung zu bewältigen.
Das Entwicklungspotential macht aber auch deutlich, dass Wachstum auch innerhalb der bestehenden Bauperimeter möglich ist. Und zwar in einem Ausmaß, das eigentlich allen Forderungen, in einzelnen Fällen die Bauperimeter auszuweiten – auf Kosten ausgewiesener Grünzonen – die Grundlage entzieht.
Natürlich handelt es sich hier um theoretische Maximalwerte. Für eine Gemeinde wie Leudelange zum Beispiel, wird ein Potential von 10.800 Einwohnern errechnet. Das wäre eine Steigerung von 440 Prozent gegenüber dem Ist-Zustand. Tatsächlich dürften die Gemeindeverantwortlichen im Falle von Leudelange eher eine Erhöhung um 50 Prozent anpeilen. Denn damit würde die 3.000-Einwohner-Schwelle erreicht, die es erlaubt, weiter als eigenständige Gemeinde zu funktionieren.
In der jetzt unterschriebenen Konvention erkennen die Gemeinden die bisherige Vorgehensweise des DICI-Prozesses an und erklären, die aus ihm abgeleiteten Planungen weiter zu verfolgen. Eine erste für die Einwohner sichtbare Konsequenz dürfte ein gemeindeübergreifendes Reglement zum Parkraum-Management sein, zu dem sich die Beteiligten ebenfalls verpflichtet haben. In den Augen der Planer ein erster, aber nicht unwesentlicher Schritt: Parallel zum Ausbau des Angebots an öffentlichen Nahverkehrsmitteln soll das Parken im DICI-Gebiet eingeschränkt werden, was unweigerlich auch eine Abnahme des Verkehrs bewirken würde. Ein Alleingang gerade in diesem Bereich, das hat die Vergangenheit immer wieder gezeigt, führt lediglich zur einer Verlagerung der Probleme in die von der Regelung noch nicht erfaßten Zonen.
In einem gewissen Maße sind die Verkehrsprobleme aber nur das Symptom einer Fehlentwicklung. Dem DICI-Prozess würde es deshalb zupasskommen, wenn eine etwas langsamere wirtschaftliche Entwicklung es erlaubte, die planerischen Ziele ohne allzu starken Druck anzugehen. Denn langfristig könnten die strukturellen Defizite in Luxemburgs Südwesten die Attraktivität des Standortes Luxemburg beeinträchtigen. Grund genug für Jean Marie Halsdorf, dem DICI-Projekt verstärkte staat-liche Unterstützung zuzusichern.