Der soeben angelaufene kanadisch-luxemburgische Kinofilm „La dernière fugue“ greift ein umstrittenes Thema auf: die (freie) Entscheidung zum Tod. In Luxemburg soll er die Debatte um die Sterbehilfe anregen.
Die Wogen schlugen hoch, als der Großherzog sich im vergangenen Jahr bei einer Amtshandlung unerwartet querstellte und aus ethischen Gründen seine Unterschrift unter das „Euthanasiegesetz“ verweigerte. Nur dank einer Verfassungsänderung konnte das Gesetz schließlich in Kraft treten. Auch in Kanada ist die Diskussion um eine rechtliche Neuregelung der Sterbehilfe hochaktuell. Im Februar lehnte das kanadische Parlament nach längerer Debatte die Zulassung der aktiven Sterbehilfe mit großer Mehrheit ab.
So nimmt das Projekt der beiden Produzenten Lyse Lafontaine (Kanada) und Nicolas Steil (Luxemburg) Bezug auf die politischen Auseinandersetzungen in den beiden Ländern. „La dernière fugue“ wird deshalb von vielen als Stellungnahme pro Sterbehilfe verstanden werden, obwohl sich der Film einer eindeutigen Parteinahme entzieht. Erklärtes Ziel der Regisseurin Léa Pool ist es, mit ihrem Film die Debatte anzustoßen. Denn gesellschaftlich ist das Thema noch immer ein Tabu.
„La dernière fugue“ kreist um die schwere Krankheit des Familienoberhaupts Anatole (Jacques Godin) und die Probleme, die seine Pflege für die Verwandtschaft aufwirft. Nachdem der Enkel Sam (Aliocha Schneider) seinem Vater (Yves Jacques) gesteht, er wolle dem Großvater helfen, in Würde zu sterben, steht das Thema Sterbehilfe endgültig im Raum. Allerdings geht es eher um die Frage, wie man glücklich und zufrieden sterben kann, als um Sterbehilfe.
Im Zentrum des Films steht der an Alzheimer leidende Patriarch. Die ersten Einstellungen zeigen ein traditionelles Weihnachtsfest im Familienkreis. Die Krankheit des alten Mannes ist unübersehbar: Gefangen in seinem Körper, lässt das Familienoberhaupt keine Bevormundung zu, schon gar nicht, wenn es um gutes Essen und um Wein geht. Bisweilen haut er vor Verzweiflung auf den Tisch: „Hört auf mit den Computerspielen“ brüllt er seine Enkelkinder an und fordert sein gewohntes Recht ein, das letzte Wort zu haben ? seiner Krankheit zum Trotz. Bei aller Verzweiflung darüber, dass er seine Bewegungen nicht mehr koordinieren und sich nicht mehr klar artikulieren kann, schimmert der lebensfrohe Mann, der er war, in zahlreichen Facetten durch. Das wird besonders bekräftigt durch die zweite Ebene des Films ? in warmen sommerlichen Braun- und Orange-Tönen gehaltene Flashbacks, alten flimmernden Super-8-Filmen gleich. Sie zeigen den zwölfjährigen Sohn mit dem noch jungen Vater beim Pilzesuchen, beim Fischen und mit seiner Frau am Strand.
„La dernière fugue“ wird von vielen als Stellungnahme pro Sterbehilfe verstanden werden, obwohl sich der Film einer eindeutigen Parteinahme entzieht.
An der weihnachtlichen Festtafel wird erbittert darüber gestritten, ob man den Alten weiterhin zu Hause betreuen, ins Pflegeheim geben oder ihm gar Hilfe beim Sterben leisten solle. Unter den Kindern sind alle Meinungen vertreten. Auch finden die üblichen Zwiste aus Neid, Eifersucht und Hass, die typischerweise an Familienfesten hochkochen, statt. Ein wenig ähnelt der Film damit dem Dogma-Film „Das Fest“ (1998). Dazu trägt auch der verwackelte Perspektivenwechsel zu Beginn bei. Die Kamera streift an den Leuten vorüber, ist manchmal ganz nah an den Gesichtern, sodass die Perspektive des leidenden Kranken nachvollziehbar wird. Auch an Amenabars „Das Meer in mir“ (2004) erinnert der Film, doch fehlt ihm die Schwere und der schonungslose, grausame Blick. „La dernière
Fugue“ nähert sich dem Sterben auf scheinbar leichte Art. Die Zärtlichkeit, die der Enkel Sam seinem Großvater entgegenbringt, die Fürsorge der Familie, die perfekte, sich aufopfernde, Mutter, die idyllischen Natureinstellungen grenzen allerdings hart ans Klischee. Bilder wie die opulente bürgerliche Festtafel oder die Idylle beim Ausflug am See wirken in ihrer Perfektion kitschig. Doch Jacques Godin spielt seine Rolle als Schwerkranker, der an seinen körperlichen Grenzen verzweifelt, überzeugend. An seinem zerfurchten Gesicht und seiner ausdrucksstarken Mimik lässt sich der ohnmächtige Zorn über seine Einschränkungen ablesen. Aber auch eher beiläufige Szenen, etwa die Gleichgewichts- und Koordinationsübungen bei seiner Therapeutin, die ihn wie ein Kleinkind auf einen großen Gummiball setzt oder ihn mit einem Puzzlespiel traktiert, in dem er einzelne Teile nach Form und
Größe zuordnen soll, sind glaubwürdig dargestellt.
Allerdings ist der Film emotional zu sehr aufgeladen; eine Nähe zu den Figuren entwickelt sich daher kaum. Vor allem aber wirkt das abrupte Ende, dessen Überraschungseffekt nicht vorweggenommen werden soll, entschieden überladen: Ein letzter gemeinsamer Ausflug zum See, als alle sich miteinander wieder versöhnt haben und das Leben und ihre gegenseitige Zuneigung genießen. So idyllisch kann eigentlich nur Hollywood sein. Dass „La Dernière Fugue“ dennoch ein Gewinn ist, mag daran liegen, dass der Film dem Zuschauer nicht pädagogisch kommt, sondern ihn anstößt, kurz innezuhalten und über den Tod nachzudenken. Kein traumatisierender Schocker also, sondern ein Plädoyer für das Recht, selbst die letzte Entscheidung zu treffen.
Dass das Thema Sterbehilfe oder „Euthanasie“ in Luxemburg nach wie vor die Gemüter erhitzt, zeigte die Diskussionsrunde, die nach der Vorpremiere des Kinofilms ? just ein Jahr nach der Durchsetzung des Gesetzespakets, der Regelungen über Sterbehilfe und palliative Sterbebegleitung – stattfand. Geladen waren die UrheberInnen der vor einem Jahr verabschiedeten Sterbehilfegesetze, die Abgeordneten Lydie Err (LSAP) und Jean Huss (Grüne), dazu zwei Ärzte, darunter ein Vertreter der Vereinigung zum Recht auf Sterbehilfe (ADM-L), sowie der offizielle Pressesprecher der katholischen Kirche in Luxemburg, Théo Péporté. Bezüglich des Films gingen die Meinungen weit auseinander: von der Anerkennung für die Leistung der Hauptdarsteller bis zur Äußerung des Sprechers der katholischen Kirche, das Werk sei „fast ein Werbefilm für die Sterbehilfe“. Err und Huss waren sich dagegen darin einig, dass der Film „nichts mit Sterbehilfe zu tun habe“. Vielmehr handele er von dem Recht, selbst zu bestimmen, wie und wann man sterben wolle. Er zeige, wie diese Entscheidung in einem familiären Kontext vorbereitet wird. Einig war man sich in der Runde allein über den Titel des Films. „Ein schöner Tod“, der ursprüngliche Titel der Romanvorlage des Kanadiers Gil Courtemanche, wurde als effekthascherisch und schlicht unpassend beurteilt.
Was der Film mit der Luxemburger Realität gemein hat, dazu geben am ehesten Meinungen praktizierender Ärzte Aufschluss. Der zur Filmdiskussion geladene Arzt Nicolas Hoffmann teilte mit, er habe beides erlebt: Menschen, die ihrem Leiden schnell ein Ende setzen wollten, und solche, die ihre Meinung im letzten Augenblick änderten. Auf die Frage der Bedeutung der derzeitigen Regelungen ein Jahr nach ihrem Inkrafttreten hob Huss hervor, dass es leider noch keine Zahlen gebe und es daher noch zu früh sei, Bilanz zu ziehen. Genaugenommen habe man es mit zwei Gesetzen zu tun: einem für die palliative Sterbebegleitung und einem zweiten für die aktive Sterbehilfe. Nach Lydie Errs Meinung ist die Unterscheidung von Sterbebegleitung und Sterbehilfe eine „typische Hypokrisie unserer Luxemburger Gesellschaft“.
„Der Film ist fast ein Werbefilm für Sterbehilfe“, meinte der Pressesprecher der katholischen Kirche.
Huss regte an, die Strukturen der palliativen Sterbehilfe weiter auszubauen. Die jetzige Gesetzesregelung löse längst nicht alle Probleme. Der Gesundheitsminister habe jedoch angekündigt, zur Verbesserung der aktuellen Situation in Luxemburg bis Ende des Jahres ein drittes Gesetz über die Rechte der PatientInnen auf den Weg zu bringen.