„Mir wëllen nët bleiwen“ läuft jetzt in den Kinos. Die woxx hat sich mit dem Regisseurteam Pascal Becker und Yann Tonnar über ihren Dokumentarfilm unterhalten.
woxx: Ihr Film besteht aus fünf Porträts ? wieso gerade aus diesen fünf?
Tonnar: Dazu muss ich erst erklären, wie der Film entstanden ist. Unser Produzent Nicolas Steil hatte die Idee, einen Film aus dem Buch von Raymond Reuter „Honnert Lëtzebuerger ronderëm d’Welt“ zu machen. Er hat dann Pascal kontaktiert, und der hat mich mit ins Boot geholt…
Becker: …wir kennen uns schließlich schon länger. Aber um zu testen, ob wir für dieses Projekt auf der gleichen Wellenlänge sind, haben wir vereinbart, dass jeder eine „Shortlist“ von sechs, sieben Personen aus dem Buch macht, die er interessant findet. Zusätzlich sollte jeder überlegen, welche Art Charaktere er vermisst, denn das Buch konzentriert sich doch sehr auf „success stories“. Schließlich haben wir die Listen verglichen, und es hat gepasst. Im Film erscheint letztendlich nur eine Person, die auch im Buch vorkommt, und zwar Jos Spartz, der sich ein kleines Handelsimperium in Indonesien aufgebaut hat.
Was wollten Sie anders machen als im Buch?
Tonnar: Uns war schnell klar, dass wir nicht einfach eine Galerie mit Kurzporträts präsentieren wollten. Der Film sollte ein Thema behandeln, das darüber hinausgeht: Wieso verlässt jemand ein Land wie Luxemburg? Deshalb haben wir Menschen gesucht, deren Beweggründe, wegzugehen, etwas über Luxemburg aussagen. Die also ihre Identität hier nicht realisieren konnten und es woanders probiert haben.
Becker: Wir sind von den geltenden Klischees ausgegangen, Luxemburg sei schön, sauber, sicher und reich. Dann haben wir Leute gesucht, denen das nicht reichte und die entweder gegangen sind, um noch reicher zu werden ? wie Jos Spartz ?, oder die auf Sicherheit pfeifen, wie Claude Sternberg, der in Israel lebt, dort in der Armee gedient hat und wusste, dass seine Söhne das später auch tun müssten. Oder auf materiellen Komfort verzichten, wie Mariette Braquet im Niger. Spannend fanden wir auch den Fall der Bauernfamilie Elsen, die auf den Boden in ihrer Heimat verzichtet hat. Die Porträts zeigen Menschen, die nicht per Zufall im Ausland geblieben sind, sondern wegwollten. Sie leben auf einem anderen Kontinent und haben die Boote für eine eventuelle Rückkehr definitiv verbrannt.
Warum beginnt der Film mit Bildern vom Fort Thüngen und den „Dräi Eechelen“?
Tonnar: Wir wollten, dass Luxemburg der Ausgangspunkt ist, da später im Film nicht so viel vom Land gezeigt wird. Und die Festung ist symbolisch für Luxemburg, besonders jetzt, mit dem „Musée de la Forteresse“, das anfangs ja noch „Musée de l’identité nationale“ heißen sollte. Man hat einen Blick auf die Altstadt und auf das Mudam ? als Kontrast zwischen Vergangenheit und Zukunft.
Wollten Sie damit ein Statement liefern, wie Luxemburg heute filmisch zu greifen ist?
Becker: Luxemburg hat in den letzten Jahren doch vor allem als Wohlstandsinsel existiert, also zumindest bis vor kurzem ? der Film wurde ja vor der Finanzkrise gedreht. (lacht) Wir leben hier sehr behütet, und eine Burg bietet diesen Schutz. Aber fühlt man sich davon nicht manchmal auch eingefangen und muss nach draußen, um sich zu verwirklichen? Das war eigentlich die Idee für die Ausgangsszene…
Tonnar: …die sicherlich ein Statement ist, weil die Kamera suchend durch das leere „Identitätsmuseum“ geht. Sie sucht die nationale Identität.
Was ist Identität denn eigentlich?
Becker: Ich glaube nicht, dass man sie einfangen, aufzwingen oder überhaupt definieren kann. Das Wort Identität ist für uns eine weiße Leinwand, die wir aufspannen. Und dann darf jeder mit seinem Projektor kommen. In unserem Film wollten wir die Definitionsfrage anhand von Porträts sehr unterschiedlicher Menschen beantworten. Identitäten setzen die Menschen sich zusammen, und Identität ist so vielfältig wie die Menschen es sind.
Tonnar: Durch die Dreharbeiten haben wir den Eindruck gewonnen, dass Identität sehr viel mit Integration zu tun hat. Die Scharniere, die wir entwickeln, um uns in das Leben an einem Ort einzuhaken, werden Teil dessen, was wir sind. Wo und wie genau die Menschen sich einhaken, um Teil einer nationalen Gemeinschaft zu werden, das variiert stark.
Wie hat es denn bei den Personen in ihrem Film funktioniert?
Tonnar: Diese Menschen haben sich auf sehr unterschiedliche Weise in ihrer Wahlheimat integriert, und wir zeigen auch, wo diese Integration an Grenzen stoßen kann. Die Bauern in Kanada haben sich ganz eindeutig über ihren Beruf integriert. Mariette Braquet wurde vom König von Gobir mit dem Titel „magagia du Gobir“ geehrt und ist aufgrund ihrer Verdienste in diese traditionale Gemeinschaft aufgenommen worden…
Becker: Gerade dieses Beispiel zeigt, dass die eher formelle Integration „par le mérite“ nicht dazu führt, dass sie Teil dieser Kultur wird ? eine weiße Europäerin kann dort schwer zu 100 Prozent dazu gehören. Sie wird zu den Zeremonien eingeladen und respektiert, aber ihr wird eine Beobachterrolle zugeteilt.
Tonnar: Im Fall Jos Spartz scheiden sich die Geister ? hat er sich durch seinen Reichtum ein Paralleluniversum geschaffen, das mit Indonesien nicht viel zu tun hat, weil es in seinen Villen von Porträts des Großherzogs, Luxemburger Wappen und anderem patriotischen Nippes nur so wimmelt? Oder ist er durch sein Engagement, wie etwa den Bau von Schulen und die Ausbildung von Lehrern auf seiner Privatinsel, Teil dieser Gemeinschaft geworden? Zumindest spricht er die Sprache perfekt und möchte später dort begraben werden.
Mir schien, der Filmtitel sei Programm: Durch die Darstellung des Exils schaffen sie ein Negativrelief Luxemburgs, auch was die Integrationsfrage angeht. Wollten Sie zu mehr Integrationswillen auffordern?
Tonnar: Nein, eigentlich nicht. Deshalb haben wir auch gezeigt, welche extrem verschiedenen Integrationsformen unsere „Exil-Luxemburger“ gewählt haben. Wir setzen uns damit auseinander, was Integration sein kann, und da finde ich wichtig, was Patrick Dondelinger, der Direktor des Festungsmuseums, im Film sagt: Damit Integration in Luxemburg funktionieren kann, müssen wir erst einmal Werte haben, die wir hochhalten.
Becker: Bei Ihrer Frage denken Sie bestimmt auch an die Szene in der Sprachschule. Eines unserer Porträts zeigt ja einen Südafrikaner, der eine luxemburgische Kollegin von „Ärzte ohne Grenzen“ geheiratet hat und jetzt mit ihr in Luxemburg lebt. Wir zeigen dann, wie er beim Sprachkurs mit den anderen Teilnehmern rätselt, weshalb die Luxemburger nicht stärker darauf insistieren, dass jeder ihre Sprache lernt. Aber das ist deren Eindruck, wir vertreten keine These, wie Integration zu funktionieren hat. Und es ist vermessen, von uns zu erwarten, dass wir sie liefern.
Wieso haben Sie entschieden, die politischen und gesellschaftlichen Hintergründe bei den Porträts auszuklammern?
Becker: Wir haben bewusst Persönlichkeiten gewählt, die anecken. Wir zeigen sie und ihre Welt mit den dazugehörigen Scheuklappen. Es wäre ein anderer Film geworden, wenn wir über die Menschen hätten urteilen wollen. Claude Sternberg ist halt ein überzeugter Israeli, aber müssen wir als Regisseure uns deshalb in der Problematik des Palästinenserkonflikts positionieren?
Tonnar: Meine Art zu arbeiten wäre das nicht! Man kann ja nicht jemanden darum bitten, sein Leben zu filmen, und diese Person dann in die Pfanne hauen. Ich denke, wir liefern viele Schlüssel, um die porträtierten Menschen zu verstehen, und dann kann jeder sich selbst sein Bild machen.
Und Sie beide ? wollen Sie bleiben? Welche Projekte stehen jetzt an?
Becker: Ich werde mich jetzt erst einmal wieder auf meinen Beruf als Fernsehjournalist konzentrieren. Aber wenn sich eine neue Gelegenheit bietet, einen spannenden Film zu realisieren: Immer wieder gerne!
Tonnar: Bei mir geht es direkt weiter mit dem nächsten Dokumentarfilm. Diesmal geht es um Schrebergärten in Esch. Dort trifft sich eine ziemlich kunterbunte Mischung von Menschen, die ich durch vier Jahreszeiten begleite und ein bisschen als Mikrokosmos unserer Gesellschaft betrachte. Auch hier wird es wieder um Integration gehen, um „Integration im Garten“ sozusagen.