ZEICHNUNGEN
Sich mit künstlerischen Arbeiten auseinander zu setzen, die von Häftlingen in Konzentrationslagern angefertigt worden sind, heißt, sich ihrem Lebensalltag dort auf intimere Weise zu nähern, als dies durch irgendwelche Dokumente oder selbst Augenzeugenberichte möglich wäre. Kunst, die unter solchen Bedingungen entsteht, ist nicht im Hinblick auf ihre Qualität zu beurteilen, auch wenn diese zum Teil beeindrucken mag. Diese Kunst ist selbst Dokumentation, entstanden als Erinnerungsstütze, als Überlebenshilfe.
Unter dem Titel „Ich finde keine Worte mehr …“ werden derzeit in der Galerie des städtischen Theaters in Esch-Alzette Zeichnungen von Yvonne Useldinger gezeigt, die sie während ihrer Zeit im KZ Ravensbrück und ihrer Evakuierung durch das Rote Kreuz nach Schweden angefertigt hat. Die Zeichnungen werden dabei in den Kontext ihrer Entstehung gestellt und geschickt ergänzt durch Briefe, Tagebucheinträge, aber auch nützliche Hintergrundinformationen. Dadurch wird dem Besucher ein eindrücklicher Blick in die Gedanken- und Gefühlswelt Useldingers zu dieser Zeit erlaubt.
So werden ihre Zeichnungen vor dem Hintergrund des ertragenen Leids zu Darstellungen von Ängsten, Träumen und Hoffnungen. Besonders beredt ist hier eine Zeichnung Useldingers, die einen Schwan auf einem kleinen Weiher zeigt. Ein Idyll, das von dem abschreckenden, alles ausgrenzenden Zaun des KZs im Vordergrund noch vielfach verstärkt wird. Dennoch kann Gewalt nicht alles vernichten oder unterdrücken. Davon erzählt ein anderes Bild, das Frauen beim Torf stechen zeigt, mit dem der Garten eines SS-Offiziers fruchtbar gemacht werden sollte. Dazu beschreibt sie, dass die Frauen die „Moorsoldaten“ sangen, ein Lied, das bereits 1933 im KZ Börgermoor im Emsland von den dortigen Insassen geschrieben und prompt von den Nazis verboten worden war. Die kämpferische Melodie und sein aus heutiger Sicht mit all seinem Galgenhumor fast zynisch klingender Text haben sich über die stille Post von Lager zu Lager weiterverbreitet.
Neben weiteren Zeichnungen, die unter anderem die unmenschlichen Verhältnisse in der Scharlachstation des Konzentrationslagers zeigen, stechen in ihrer Tragik besonders zwei Bilder hervor. Zum einen ein Portrait ihrer Tochter, das von einer Freundin nach einem Foto entstand, das Useldinger zugeschickt worden war, das sie allerdings nur eine Stunde behalten durfte. Zum anderen „Souvenir à Mila“ vom September 1944. Ein Rosenstillleben, das Yvonne Useldinger einer mitgefangenen Ärztin zukommen ließ, die sich bei Useldingers Scharlachinfektion besonders um sie gekümmert hatte. Später hat sie die Karte um eine weitere Notiz ergänzt: „Diese Karte zeichnete ich als Dank an Mila, nach ihrem Tod bekam ich sie zurück“ – zusätzlich gekennzeichnet mit einem Aktenzeichen.
Doch auch ihre Zeit in Schweden konnte sie, trotz der Gastfreundschaft, die sie dort erfuhr, kaum ertragen. Zu groß waren ihre Ängste vor der Rückkehr, die Ungewissheit, ihre Familie wieder zu sehen und wieder ein normales Leben in Luxemburg führen zu können. Schließlich hat sie es geschafft und sich weiterhin eingesetzt, nicht nur für die Frauenbewegung sondern als Mitbegründerin des Luxemburger Ravensbrück-Komitees auch für die mahnende Erinnerung an diese Zeit.
Die Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit dem Resistenzmuseum organisiert worden ist und dessen aktuelle Ausstellung „Kunst im KZ“ ergänzen soll, leistet hierzu einen guten Beitrag, auch wenn der Untertitel irreführend sein mag – sind doch im Prinzip nicht die Zeichnungen Thema der Ausstellung. Allerdings sind sie ein ausgezeichneter Ansatz um einen neuen, tiefer gehenden Bezug zum Leben der KZ-Insassen zu finden.
„Yvonne Useldinger: Ich finde keine Worte“, Zeichnungen aus dem KZ Ravensbrück in der Kunstgalerie des Theaters in Esch-Alzette bis zum 12. Juni. Und: “ Kunst im Konzentrationslager von und für Luxemburger“ im Musée National de la Résistance bis zum 16. Juni.
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