HORMONSKANDAL: Radikal umdenken

Der jetzige Hormonskandal ist zweifelsohne das Ergebnis krimineller Machenschaften. Mit strengeren Kontrollen allein lassen sich solche kaum verhindern.

Ein Skandal jagt den nächsten. Erst Dioxine aus Klärschlamm im Hühnerfutter, dann die BSE-Krise, kurz darauf Nitrofen-belastete Eier und Geflügel, und jetzt das: Die belgische Firma „Bioland Liquid Sugar“ lieferte seit über anderthalb Jahren in ganz Europa Glukosesirupe für die Futtermittel- und die Getränkeindustrie aus, die mit dem verbotenen Wachstumshormon Medroxy-Progesteron-Acetat (MPA) belastet waren.

Es war dem im Juni 2001 etablierten europäischen Schnellwarnsystem zu verdanken, dass die Mitgliedstaaten dieses Mal relativ zügig über die kriminellen Panschereien Bescheid wussten. Etliche Tonnen verseuchtes Futtermittel landeten nicht in den tierischen Futtertrögen und somit auch nicht in den Mägen von KonsumentInnen. Ein Teil aber wurde – nach offiziellen Angaben nicht in gesundheitsschädigenden Mengen – in Form von Fleisch, Wurst oder Milch ahnungslos verzehrt. Die deutsche Agrar- und Verbraucherschutzministerin Renate Künast hat deshalb eine EU-weite Positivliste für Futtermittel und ein sofortiges Verbot aller Leistungsförderer in der Tiermast gefordert. Vom luxemburgischen Agrarminister ist bislang nichts dergleichen zu hören.

Sicherlich, die Positivliste allein wird die Landwirtschaft und die VerbraucherInnen nicht vor ähnlich gelagerten Fällen in der Zukunft schützen können. Flächendeckende Kontrollen sind nötig, die sicherstellen, dass in Futtermitteln tatsächlich nur die erlaubten Bestandteile enthalten sind. Diese müssten mit wesentlich höherer Dichte als bisher bei den nationalen Futtermittelherstellern und – zulieferern im Land selber erfolgen – und verstärkt auch bei ausländischen Produkten, die über die Grenzen kommen.

Denn der Hormonskandal beweist einmal mehr die unangenehmen Folgen der Globalisierung in der Landwirtschaft: Wenn einer pfuscht, haben alle was davon. Regionale, überschaubare Wirtschaftskreisläufe könnten dieses Risiko, das mit der Länge der Produktionskette steigt, mindern.

Auch die Macht der Kontrolleure ist selbstverständlich begrenzt. Da Kontrollen immer nur stichprobenartig genommen werden können, sind auch bei verschärften Tests kriminelle Machenschaften keineswegs ausgeschlossen. Doch wenn schon zusätzliche Tests angeordnet werden, dann spricht einiges dafür, die Bandbreite der untersuchten Schadstoffe auszudehnen. In Nordrhein-Westfalen konnten so im Rahmen der MPA-Analysen „nebenbei“ auch schwere Antibiotika-Kontaminationen nachgewiesen werden. Hierzulande denkt man offenbar nicht so: Die zuständigen Stellen in Gesundheits- und Landwirtschaftsministerium ließen ihre Proben nach eigenen Aussagen nur auf MPA kontrollieren.

Und was geschieht derweil in Brüssel? Vorläufig würden keine zusätzlichen Maßnahmen ergriffen, heißt es dort. Dabei gibt es noch viel mehr zu tun, als nur die Löcher im Kontrollsystem und, das zeigen europaweit noch auf Hochtouren laufende Recherchen nach dem Glukosesirup, bei der Registrierung von Herstellern, Zulieferern und Abnehmern zu stopfen. Zum Beispiel in der Frage der Haftung und der Sanktionen: Bislang sind die Bauern, aber auch die öffentliche Hand und die VerbraucherInnen, im Falle von Panschereien die Dummen. Sie zahlen die zusätzlichen Tests, sie haben Einnahmeverluste durch verunsicherte KäuferInnen zu tragen – und diese wiederum die Kosten im Falle einer Erkrankung.

Doch um den immer wiederkehrenden Krisen wirklich Einhalt zu gebieten, braucht es noch mehr: eine europäische Revolution in der Landwirtschaft. Weg von der rein gewinnorientierten Produktionsweise hin zu mehr kontrollierter Qualität, die als oberstes Ziel das Wohlbefinden der KonsumentInnen im Auge hat – und nicht die nächste Jahresbilanz.

Ein Kommentar von Ines Kurschat


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