PAOLO VIRZI: Bella ragazza!

„La prima cosa bella“ ist nicht nur eine turbulente „commedia italiana“, sondern auch eine Gesellschaftsstudie.

Eine Mutter mit vitalem Lebensstil …

Mehr Italien geht nicht. In „La prima cosa bella“ sind alle Klischees vereint: Vom Hype um la „bella ragazza“, einer schicksalhaften Mutterfigur mit niedlichen Bambinis, über turbulente Eifersuchtsszenen hin zu ellenlangen Dialogen. Einzig die Kirche kommt etwas zu kurz. Dennoch lässt sich diese typische „commedia italiana“ nicht so einfach vom Tisch wischen.

Regisseur Paolo Virzi, einer der talentiertesten Autorenfilmer Italiens, gelingt mit „La prima cosa bella“ nämlich nicht nur eine interessante Gesellschaftsstudie, sondern er dröselt auch einen Generationenkonflikt auf. Zu Recht erhielt das Opus 18 „Donatello“-Nominierungen – der italienische Oskar – und hat davon letztlich drei gewonnen.

Man fragt sich, inwiefern der Film auch Autobiografisches von Paolo Virzi verarbeitet, denn der Film wird größtenteils aus dem Blickwinkel des erwachsenen Sohnes erzählt, der heute das Alter des Regisseurs hat. Mit Rückblenden erinnert sich der Sohn an seine turbulente Kindheit, an jenen Sommer Anfang der 1970er als seine Mutter bei einem Schönheitswettbewerb am Strand von Livorno zur schönsten Mutti ausgezeichnet wurde. Dieses Ereignis wirft das Leben der Familie aus der Bahn: Die Mutter trennt sich vom gewalttätigen Vater, sie bricht mit der Familie, versucht sich als Schauspielerin sowie mit anderen Jobs durchzuschlagen und lebt in diversen Wohnungen, die ihr von ihren Liebhabern gestellt werden. Der Sohn, introvertiert und das komplette Gegenteil seiner Mutter, leidet unter ihrem vitalen Lebensstil. Er bricht den Kontakt zu ihr ab. Erst als die Mutter todkrank ist, besucht er sie widerwillig in einem Hospiz und die dann einsetzenden Rückblenden bieten dem „verlorenen“ Sohn die Möglichkeit zur Aussöhnung.

Er beginnt die todkranke, aber dennoch lebenslustige Rentnerin in einem anderen Licht zu sehen und ihre Haltung zu verstehen. Schließlich hat sie ihre zwei Kinder nie im Stich gelassen. Sie ist – gegen alle gesellschaftlichen Vorurteile – ihren eigenen Weg gegangen, wobei ihre amourösen Abenteuer ihr, in der machistischen italienischen Gesellschaft, erst ein Einkommen ermöglichten. Virzi thematisiert in „La prima cosa bella“ die Schwierigkeiten einer ganzen Frauengeneration, die kaum Bildungsmöglichkeiten hatte und deren einziger Platz der einer devoten Hausfrau in der Familie war. Für den Sohn bietet die Krankheit der Mutter letztlich die Gelegenheit aus seiner Befangenheit auszubrechen, den abgebrochenen Kontakt zu seiner Familie wieder aufzugreifen und neue Wege zu beschreiten. „La prima cosa bella“ ist ein Stück weit auch die Emanzipationsgeschichte eines Muttersöhnchens.

Die lebhafte, rund drei Jahrzehnte umfassende Familiengeschichte wird von authentisch agierenden SchauspielerInnen interpretiert, die durch die charakterliche Unterscheidung ihrer Rollen Spannung erzeugen. Auch der Zeitgeist der 1970er Jahre wird von Paolo Virzi wunderbar in Szene gesetzt. Einzig die Dialoge sind manchmal etwas lang und ausführlich. Dennoch verliert Virzi während des gut zwei Stunden dauernden Films nicht den Faden und erzählt die Geschichte konsequent weiter bis zum Tod der Mutter. Dabei versinkt er nicht in Melancholie, sondern gewinnt der Tragik immer wieder komische Züge ab.

Im Utopia


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