An diesem Sonntag entscheidet eine Stichwahl über den nächsten Präsidenten von Guatemala. Zu einem Boykott der Wahlen hat allein „Hijos“ (Kinder) aufgerufen. Die woxx sprach mit Roberto Mendez, der aus Angst vor Repression den Namen seines ermordeten Onkels benutzt.
woxx: Warum hat Hijos zu einem Boykott der diesjährigen Präsidentschaftswahlen aufgerufen?
Roberto Mendez: Es gibt keine Partei, die ein Programm vorgestellt hat, das die ökonomische und politische Unabhängigkeit Guatemalas anstrebt. Alle Parteien unterstützen die Einbindung Guatemalas in den Weltmarkt und wollen die gegenwärtige wirtschaftliche Entwicklung des Landes weiter vorantreiben, die die Mehrheit der Gesellschaft in extremer Armut belässt. Die Wahlkampagnen der großen Parteien wurden vom Drogenhandel finanziert und haben etwa die proklamieren Hardlinerparolen wie die Einführung der Todesstrafe. Die große soziale Ungleichheit, der Ausschluss der Bevölkerungsmehrheit vom gesellschaftlichen Reichtum und von politischer Partizipation finden dabei keine Erwähnung.
Stellt das linke indigene Bündnis Breite Front mit Rigoberta Menchú als Präsidentschaftskandidatin für Hijos keine Alternative dar?
Rigoberta Menchús indigene Partei Winaq ist sehr weit entfernt von den Nöten der Bevölkerung. Sie taucht alle vier Jahre zu den Wahlen auf und hat kaum Verbindungen zu sozialen Bewegungen. Rigoberta Menchú selbst ist für uns eine politisch wenig vertrauenswürdige Person. Nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens in Guatemala war sie Friedensbotschafterin der Regierung unter Óscar Berger. Die trieb nach dem Ende des bewaffneten Konflikts die neoliberale Umstrukturierung des Landes voran.
War der Friedensschluss nicht eine wichtige Bedingung für eine politische und gesellschaftliche Transformation?
Der bewaffnete Konflikt war letztendlich ein Instrument der Ressourcensicherung. Militarisierung und Repression schlossen Diskussionen um die bitter nötige Umverteilung des Landes 36 Jahre lang kategorisch aus. Nach der Unterzeichnung des Freihandelsabkommens mit den USA gab es in der kriegsgeplagten Region Quiché dann jedoch mehr Vertreibungen als zu Zeiten des bewaffneten Konflikts selbst. Die Öffnung für den Weltmarkt hat in Guatemala zu Landraub geführt. Gleichzeitig kam es zu einer ganzen Reihe von Privatisierungen staatlicher Dienstleistungen und der Infrastruktur, von deren Nutzung heute die Mehrheit der Bevölkerung ausgeschlossen ist. Das steht für uns im Widerspruch zur Vertretung indigener Interessen.
„Rigoberta Menchús indigene Partei ist sehr weit von den Nöten der Bevölkerung entfernt.“
Die ehemalige Guerillagruppe und heutige Partei UNRG hat sich als einzige des Bündnisses gegen eine Unterstützung Baldizóns ausgesprochen. Wie schätzt Hijos diese Partei ein?
Die UNRG sucht ihre Koalitionspartner in einem linksdogmatischen Spektrum, anstatt sich progressiven Kräften zuzuwenden, die sich politisch nicht klar einordnen, aber beispielsweise sehr aktiv bei der Verteidigung von Land sind. Wir sind überzeugt, dass politische Bewegungen ihre Qualität dadurch erhalten, dass sie aus einer breiten Basis entstehen und mit dieser verbunden bleiben. Daher kritisieren wir an der UNRG auch ihre Kandidaten. Viele von ihnen sind Söhne oder Schwiegertöchter ehemaliger Guerillakommandanten. Im Gegensatz zu ihren Eltern haben sie jedoch niemals an sozialen Kämpfen teilgenommen – keine gute Basis für eine Demokratisierung.
Die letzten Umfrageergebnisse deuten darauf hin, dass Otto Pérez Molina von der Patriotischen Partei in der Stichwahl siegen wird. Der ehemalige General soll für zahlreiche Massaker an der indigenen Bevölkerung verantwortlich sein.
Der Aufstieg Pérez Molinas zum chancenreichsten Präsidentschaftskandidaten vermittelt ein schlechtes Bild zivilgesellschaftlicher Organisationen und Einzelpersonen, die seit den Friedensverträgen die verschiedenen Regierungen unterstützt und sich in das politische Spiel haben einbinden lassen. Eine Versöhnung ohne juristische Belangung der Täter befürworteten sogar NGOs, die sich damit am Verschweigen der Verbrechen beteiligt haben.
Pérez Molina genießt seit seiner Aufstellung zum Präsidentschaftskandidaten Immunität. Dagegen steht der ehemalige General Hector Fuentes López als Verantwortlicher des Genozids an den Maya vor Gericht.
Diese ersten Gerichtsverfahren gegen ranghohe Militärs der Achtzigerjahre brechen hoffentlich das Eis für eine gründliche juristische Aufklärung der Verbrechen während des bewaffneten Konflikts. Sie sind grundlegend für weitere Verfahren und spielen eine wichtige Rolle im Transformationsprozess. Die Gesellschaft muss sich ihrer Vergangenheit bewusst werden, um die Probleme von heute angehen zu können.
Ganz Mittelamerika wird derzeit mit Monokulturen für die Biospritproduktion überzogen. Welche Auswirkungen haben diese Projekte auf die Bevölkerung in Guatemala?
Die Schaffung von Palmöl- und Zuckerrohrplantagen für die Biodieselgewinnung hat die nach dem Ende des bewaffneten Konflikts unbeantwortet gebliebene Landfrage in Guatemala erheblich verschärft. Im Polochic-Tal ist es dieses Jahr zu zahlreichen Vertreibungen gekommen. Das dortige Projekt geht noch auf die Regierung des Präsidenten Berger zurück, der versucht hatte, Alternativen im Zuge der weltweiten Kaffeekrise zu finden und auf Zuckerrohranbau für Biotreibstoffe auswich. Dabei wurden die Arbeitskräfte, die dort in halbfeudalen Verhältnissen lebten, vertrieben. Die derzeitige Regierung hat die Umstellung von Kaffee auf Zucker im Polochic-Tal mit der millionenschweren Unterstützung der Interamerikanischen Entwicklungsbank weiterverfolgt. Colom ließ dafür die letzten noch verbliebenen indigenen Gemeinden durch das Militär vertreiben. Die Tatsache, dass sich die fruchtbaren Böden in Guatemala in der Hand einer immer kleiner werdenden Anzahl von Besitzern befinden, wird sich in den nächsten Jahren noch gravierend auf die Ernährungssouveränität der Bevölkerung auswirken.
Kathrin Zeiske arbeitet als freie Journalistin und als Menschenrechtsaktivistin.