KOMMUNALE ENTWICKLUNG: Eine Stadt erwacht

Vier Monate vor den Wahlen präsentiert Bürgermeister Paul Helminger den ersten Stadtentwicklungsplan für die Hauptstadt. Elektorales Manöver oder Umdenkprozess bei der DP?

125 Seiten dick ist der Schmöker, den Paul Helminger am Dienstagmorgen an die Presse verteilte und in zwei langen Stunden zu resümieren versuchte: Gemeint ist der neue Stadtentwicklungsplan. So ein Plan ist eine Art Bibel für die kommunale Politik: Verbesserte Siedlungs- und Verkehrsplanung, soziale und wirtschaftliche Entwicklung und schonender Umgang mit den Ressourcen sollen darin zu einem Gesamtkonzept für die Entwicklung der Stadtplanung der nächsten Jahrzehnten zusammenfließen. In unseren Nachbarländern ist dieses Instrument bereits Standard. Nun besitzt auch die Stadt Luxemburg einen – angekündigt worden war der Plan bereits in der Schöffenratserklärung von 2000. Darin werden zentrale Themen wie Wohnen, Wirtschaft, Verkehr oder Versorgung analysiert und Vorschläge für eine strukturierte Entwicklung vorgelegt.

Ist das Dokument auch ein politisches Testament? Die Chancen, dass der aktuelle Bürgermeister, Zweitplatzierter auf der DP-Liste, es selbst in die Praxis umsetzen kann, hängen sowohl von seinem eigenen als auch vom Abschneiden seiner Partei ab. Aber selbst, wenn er von seiner Parteikollegin Lydie Polfer oder seinem CSV-Konkurrenten Laurent Mosar abgelöst wird: Die meisten Maßnahmen, die im Stadtentwicklungsplan empfohlen werden, drängen sich geradezu auf. Ob es darum geht, neue Formen urbanen Wohnens zu schaffen, Grünzonen zu vernetzen oder den nichtmotorisierten Verkehr zu fördern – es dürfte in der Stadt kaum PolitikerInnen geben, die sich dem widersetzen würden.

Dornröschenschlaf

Das war nicht immer so. Als in den Achtzigerjahren mit der grün-alternativen Welle neue Konzepte zur Stadtplanung den Weg von ausländischen Unis nach Luxemburg schafften, oder als ein René Kollwelter 1992 von der „communauté urbaine“ träumte, da gehörten dezidierte Eingriffe in den städtischen Prozess keineswegs zum guten Ton in der Stadt Luxemburg. Die Hauptstadt, so scheint es, ist aus einem Dornröschenschlaf erwacht. Kein Wunder also, wenn der grüne Politiker François Bausch den neuen Stadtenwicklungsplan in einer Pressemitteilung zwar als durchweg positiv, aber auch als „ein Sündenregister der DP-CSV-Mehrheit der letzten 30 Jahre“ bezeichnet. Und der Sozialist Ben Fayot weist darauf hin, dass innovative Vorschläge der Opposition in den letzten Jahrzehnten in den Wind geschlagen worden seien. Gegenüber der woxx bedauert der Politiker, der seit über 20 Jahren Gemeinderatsmitglied ist, dass unter der Führung einer Lydie Polfer die allerwenigsten Vorschläge der Opposition aufgegriffen worden seien. „Als ich 1983 das Parking résidentiel forderte, wurde ich von DP und CSV ausgelacht,“ so Fayot. An sich hält er den Plan für eine gute Bestandsaufnahme, weist aber darauf hin, dass dieser auf Vorschlägen der Bevölkerung, der GemeinderätInnen, der Medien fußt, die schon seit Jahrzehnten immer wieder gemacht würden.

Damit bewahrheitet sich einmal mehr, dass innovativer Geist eher in prekären Verhältnissen gedeiht als dort, wo der größte Wohlstand herrscht. Anders formuliert: In der gutbürgerlichen Hauptstadt, die jahrzehntelang von einer liberal-konservativen Mehrheit regiert wurde, ist der provinzielle Mief wohl noch schwieriger zu vertreiben als im restlichen Land.

Da klingt es wenig überzeugend, wenn der Bürgemeister den jahrzehntelangen Stillstand gegenüber der woxx damit rechtfertigt, ein Vago- oder ein Joly-Plan seien zu ihrer Zeit bereits mehr als einfache Bebauungspläne gewesen, sondern hätten auf einer Philosophie in puncto Stadtenwicklung gefußt. Umso mehr hebt sich der neue Stadtentwicklungsplan ab. Eine Stimme aus der Fachwelt fasst es in zwei Stichworten zusammen: „Super und endlich. Unter Lydie Polfer hätte es das wahrscheinlich kaum gegeben.“ Helminger habe die Fähigkeit, die technische Seite der Stadtentwicklung mit der philosophischen zu verbinden. Und: „Er hat keine Berührungsängste, er setzt auf den Dialog.“ Ben Fayot gibt sich da kritischer: „Es ist klar, dass Paul Helminger eine neue, prospektivere Herangehensweise hat. Aber die Dringlichkeit, Probleme zu lösen, hat vielleicht auch zu einem größeren Handlungsdruck geführt. 1999 konnte Helmingers DP noch den BTB abschießen. Das wäre heute unmöglich.“

Trotzdem ist Helmingers Übung keine einfache: Da ist zunächst einmal der Vorwurf der Opposition, dass er mit der Stadtentwicklungspolitik wenige Monate vor dem 9. Oktober Gemeindewahlkampf mache. Für nächste Woche sind zwei große Informationsveranstaltungen im Grand Théâtre geplant. Dagegen bekommt der hauptstädtische Gemeinderat vor den Wahlen keine Gelegenheit mehr, den Plan zu diskutieren.

Doch vor allem muss er erklären, weshalb so wenige der in dem Dokument vorgestellten Ideen in der Hauptstadt bislang verwirklicht wurden. So wird darin zum Beispiel die Ökosiedlung des Fonds de Logement in Walferdingen lobend erwähnt; der Bürgermeister unterstreicht deren Potenzial, den Individualverkehr durch die Bahnhofsnähe zu reduzieren. Die Ökosiedlung gibt es seit 1996 – und in der Hauptstadt? An der Rocade, in unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof, bauen Privatpromoteure weiterhin Allerweltswohnungen. Erst seit kurzem plant die Gemeinde eine Niedrigenergiesiedlung in Merl. Ansonsten hieß es bei der Pressekonferenz recht defensiv: „Wir unterstützen innovative Projekte, wenn sie uns jemand vorschlägt.“ Und autofreie Siedlungen, wie sie in anderen europäischen Städten schon funktionieren, scheitern in der Stadt Luxemburg schon allein an einem eng gefassten Bautenreglement. Ähnlich zöglerich ging die Gemeinde bislang bei der Umsetzung von Konzepten im Bereich der sanften Mobilität vor.

Öko-DP

Wenn sich der Stadtentwicklungsplan fast durchgängig wie ein grünes Wahlprogramm von vor 20 Jahren liest, so zeigt sich Helminger doch in einigen Punkten als waschechter Liberaler. Die Tramführung durch das Stadtzentrum, die von der DP im vorigen Gemeindewahlkampf verhindert wurde, spricht der Bürgermister nur vage an. Lieber verweist er darauf, dass bei aktuellen baulichen Maßnahmen darauf geachtet werde, eine solche Trasse nicht zu verhindern. Das Contournement, so wird in seinem Plan gefordert, muss im Norden geschlossen werden, die Autobahn auch nach Osten um eine sechste Spur erweitert werden, um die Stadt vom Transitverkehr zu entlasten. Angesichts dieser Pro-Auto-Haltung erscheint der Applaus der Grünen umso erstaunlicher – und lässt darauf schließen, dass hier eine Annäherung von beiden Seiten stattfindet.

Gleiches gilt für Fragen wie die des Zusammenlebens der Bevölkerung, die im Stadtentwicklungsplan wenig Erwähnung finden. Ein Kapitel mit Maßnahmen zur sozialen Entwicklung fehlt gänzlich. Themen wie Gesundheit, soziale und Altenfürsorge oder Kinder- und Jugendangebote werden unter dem Titel“Die Stadt als Versorgungszentrum“ abgehakt – ein Zeichen, dass Helminger und Co Stadtentwicklung eher als technische, denn als soziale Veränderung begreifen. Auf die Frage, weshalb der Plan wenig über soziale Entwicklung aussagt, stellt Helminger klar: „Es ist klar, dass dies hier kein sozialer Entwicklungsplan ist.“ Themen wie Integration der ausländischen Bevölkerung oder Bekämpfung sozialer Marginalisierung würden zwar angeschnitten, aber außer urbanistischen Maßnahmen keine Lösungansätze aufgezeigt. Doch dafür hat der Bürgermeister auch eine Begründung: „Solche Überlegungen haben ihren Platz nicht im Stadtentwicklungsplan, sondern in spezifischen Aktionsplänen, wie sie die Stadt im Bereich Jugend oder drittes Alter schon vorgelegt hat.“ Und er betont, dass sie in die konkrete Politik einfließen. Etwa beim Wettbewerb um die Neugestaltung des Bahnhofs: „Wir haben im Lastenheft eine Bestimmung vorgesehen, wonach den spezifischen sozialen Gegebenheiten dieses Viertels Rechnung getragen werden soll.“

Zum Modernisierungsdruck, den Paul Helminger nun durch seinen Plan zu kanalisieren und zu strukturieren versucht, trägt gerade ein soziales Phänomen bei, das immer noch überwiegend als Problem begriffen wird: der Wegzug der „Stacklëtzebuerger“ aus der Stadt. Tatsächlich wird die Stadtflucht der Einheimischen kompensiert durch den Zuzug neuer, meist ausländischer Bevölkerungsgruppen. Und die haben weit eher das „urbane Feeling“, um das Stadtleben zu schätzen.

Vielleicht trägt der hohe Ausländeranteil an der Bevölkerung – mittlerweile beträgt er um 60 Prozent – dazu bei, kleinbürgerliche Abwehrmechanismen zu durchbrechen. Bezeichnend ist immerhin, dass der Input gerade von nicht-luxemburgischer Seite bei den Stadtteilversammlungen, welche den Ausgangspunkt des Plans lieferten, relativ hoch war.

Der Prozess der Bestandsaufnahme und des Ideensammelns zusammen mit den interessierten EinwohnerInnen – für die Hauptstadt ebenfalls eine Neuheit – hat nebenbei auch bewiesen, dass das Bedürfnis, mitzureden, durchaus gegeben ist: Die Rücklaufquote eines an alle Haushalte verschickten Fragebogens war überdurchschnittlich hoch. Dass dieses Redebedürfnis nicht früher zu Tage trat, liegt wohl zu großen Teilen an anachronistischen Mitbestimmungs- und Lobbystrukturen, die in den konservativen luxemburgischen Bastionen der Statteilsyndikate ihren Ausdruck finden, aber auch in der antiquierten, parteipolitisch fixierten Organisation der konsultativen Gemeindekommissionen.

Die Ideen und Maßnahmen, die im neuen Stadtentwicklungsplan zusammengefasst sind, nun auch umzusetzen, daran muss sich der nächste Schöffenrat messen lassen. Das ist aber nicht nur eine Sache der Politik: Modernisieren ist nur möglich, wenn die Verwaltung mitzieht. Und das ist auch in der Stadt Luxemburg nicht selbstverständlich.


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