EU-BILANZ: Glücklos, aber unermüdlich

Die tiefe Krise der Union hat er nicht verhindern können, Junckers Image als rastloser Europäer übersteht die Turbulenzen aber unbeschadet.

Etwas ist anders geworden in Europa. Die (Online-) Redakteure des Sankt-Paulus-Konzerns verfallen nicht in reflexartige Euphorie, wenn es darum geht, die Ergebnisse der Luxemburger EU-Präsidentschaft zu bilanzieren. Zwar wird der Einsatz und Kampfgeist des Luxemburger Regierungschefs allseits gelobt – sogar vom Präsidenten der Fraktion der Europäischen Linken. Doch am Ende bleibt die Feststellung, dass eigentlich nur eines der drei „großen Dinge“, die sich Juncker für seine Präsidentschaft vorgenommen hatte, erfolgreich abgeschlossen werden konnte. Die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts wird positiv im „Wort“ hervorgehoben. Nicht etwa, weil das Ergebnis überzeugt, sondern nur deshalb, weil es überhaupt zu einer Einigung gekommen ist. Erfolgreiche europäische Politik muss, so scheint es immer häufiger, nicht zwangsläufig eine gute Politik sein. Hauptsache sie ist so ausgestaltet, dass 25 Regierungschefs oder Ressortminister sich überhaupt auf einen gemeinsamen Nenner einigen können.

Diese Kunst des Kompromisse Findens beherrschten die Luxemburger Regierungschefs bislang überdurchschnittlich gut. Sei es, weil sie über entsprechendes politisches Talent verfügten, oder aber weil sie sich als Vertreter eines Zwergenstaates unverdächtig machten, lediglich im eigenen Interesse zu handeln. So manchen Karren haben Juncker und seine Vorgänger schon aus dem Dreck gezogen. Diesmal hat das aber nicht geklappt.

Tatsächlich ist Europa so zerstritten wie kaum zuvor. Den Finanzierungsrahmen für die Jahre 2007 bis 2013, der unter Junckers Führung verabschiedet werden sollte, gibt es nicht. Damit ist der Erfolg der erst kürzlich vollzogenen und aller künftigen Erweiterungen in Frage gestellt. Es besteht kaum Anlass zur Hoffnung, dass sich die „alten“ und „neuen“ Mitgliedsstaaten in den nächsten Monaten zusammenraufen werden, um die Wogen zwischen sich sozial gebenden und offen neoliberal agierenden Regierungen zu glätten. Nun übernehmen die Briten das Ruder – Trotzreaktionen unter britischer Präsidentschaft sind schon jetzt so gut wie vorprogrammiert.

Die erbitterte Diskussion darüber, ob der Ausgang der Referenden in Frankreich und den Niederlanden hierfür ursächlich ist, oder nur ein Symptom einer Krise die tiefer liegt, ist vor diesem Hintergrund müßig. Fakt ist: die altbewährte Methode, die Streithähne tage- und nächtelang in einen Sitzungsraum einzusperren, bis ein Ergebnis heraus kommt, funktioniert nicht mehr. Juncker beschreibt diesen desolaten Zustand der EU als „postpubertär“ – ein viel zu optimistisches Bild, denn dann würde es sich ja nur um einen provisorischen Zustand handeln.

Doch ungeachtet dieser Malaisen: Juncker gibt sich wenige Tage nach dem gescheiterten Brüsseler Gipfel, befreit von der Pflicht, es jedem recht zu machen, wieder ganz kampfeslustig. Mag sein, dass er die engagierte Show vor allem abzieht, weil zu viel Miesmacherei das Ergebnis des Luxemburger Referendum gefährden könnte. Denn wenn der Übervater der Nation verdrossen und griesgrämig in die Kameras schaut, gar ein weiteres Mal mit dem Rücktritt droht, dann kann auch die Stimmung im eigenen Wahlvolk ganz schnell kippen.

Zum Glück für ihn wurde die Latte nicht allzu hoch angesetzt. Hauptsache überhaupt gewinnen, lautet die verzweifelte Devise. Insider geben hinter vorgehaltener Hand aber zu, dass jedes Ergebnis unter 60 Prozent Ja-Stimmen eigentlich ein schlechtes sei. Angesichts der jüngsten Umfragewerte ist die aktuelle große Mobilmachung wenig erstaunlich: Ein deutliches Ja hilft dem von manchen Seiten totgesagten Verfassungstext zwar kaum weiter, er stärkt aber noch einmal den Anspruch des glücklosen Ex-EU-Präsidenten als unermüdlicher Europäer in die nächste Runde zu steigen.


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