ABSCHIEBUNGEN: Rechte statt Gefühle

Im Falle von rund 800 bevorstehenden Abschiebungen ignoriert Justizminister Luc Frieden das kürzlich von elf Organisationen vorgestellte Positionspapier zur Rückführungsprozedur von abgelehnten AsylbewerberInnen.

Die Ausweisung der abgelehnten AsylbewerberInnen solle „mit dem notwendigen Gefühl“ stattfinden. Das hat Premierminister Jean-Claude Juncker angekündigt. Wie eine solche „gefühlvolle Abschiebung“ aussehen soll, ist schwer vorstellbar. Besonders einfühlsam ist das Schreiben, das rund 800 mehrheitlich aus Jugoslawien stammende Flüchtlinge vom Justizministerium erhielten, jedenfalls nicht. In dem Brief wurden sie aufgefordert, sich bis zum 6. August an einer von drei Stellen für eine freiwillige Rückkehr zu melden. Sonst drohe ihnen die Zwangsabschiebung.

Allein schon der Stil des Briefes ist eine Meisterleistung administrativer Grausamkeit: Mit der Nüchternheit eines Standgerichts wird auf jegliche Höflichkeitsfloskel verzichtet. Doch vielmehr Anlass zur Bestürzung gibt, dass die Regierung Einzelschicksale ausblendet und Menschen, die schon seit Jahren in Luxemburg leben und deren Kinder hier zur Schule gingen, ohne Zukunftsperspektive in eine politisch instabile und wirtschaftlich desolate Region zurückschickt.

Kürzlich haben elf Organisationen des Flüchtlingsrats – unter anderem Caritas und Rotes Kreuz – Justizminister Luc Frieden ein gemeinsames Positionspapier zur Abschiebungsprozedur unterbreitet. Die Kriterien für die Rückführung werden nach Ansicht der UnterzeichnerInnen zu restriktiv gehandhabt. Jedem abgelehnten Asylbewerber müsse auch nach einem negativen Bescheid noch einmal das Recht zustehen, seinen Fall zu erklären. Die elf Organisationen sind sich einig: „Le recours au retour forcé ne peut constituer que l’ultime étape dans une démarche qui a pour objectif d’éviter la nécessité de mettre en oeuvre le retour en recourant à la contrainte.“

Also Abschiebung als Ultima Ratio? Déi Gréng und Déi Lénk möchten diese Kröte nicht schlucken und bleiben bei ihrem prinzipiellen Nein. In der Tat stellt der oben zitierte Satz auf den ersten Blick einen Widerspruch in sich dar: gegen Zwangsrückführung sein und diese als letztes Mittel doch nicht ausschließen. Im pragmatischen Kontext eines möglichen Dialogs der Unterzeichner des Positionspapiers mit der Regierung wird er aber verständlich.

Marc Elvinger, Mitautor des Positionspapiers, hält die Radikalopposition gegen Zwangsrückführungen für demagogisch. Sie impliziere zudem „la proclamation d’un droit sans restriction d’entrée au pays“. Tatsächlich waren die Grenzen noch während des Kalten Krieges für die ImmigrantInnen aus dem blockfreien Jugoslawien offen. Als „Gastarbeiter“ waren diese damals willkommen, inzwischen gilt jedeR nicht explizit politisch Verfolgte als weniger gern gesehener „Wirtschaftsflüchtling“.

Und obwohl Luxemburg nach wie vor auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen ist, werden Menschen, die seit Jahren hier leben, des Landes verwiesen – ein Widerspruch, der für die Doppelmoral der Regierung steht.

Auf das Positionspapier hat der Justizminister bis heute nicht reagiert. Dabei wäre die Regierung gut beraten, die zivilgesellschaftlichen Strömungen im Land wahrzunehmen und das Angebot der elf Organisationen nicht zu ignorieren. Die Skepsis des Asti-Präsidenten Serge Kollwelter wurde damit bestätigt: Er hielt es für illusorisch, dass Frieden die im Positionspapier gesetzten „Mindeststandards“ akzeptiert. In der Tat, solange die Regierung nicht darauf eingeht, ist das Papier nichts wert. Und solange sie riskiert, mit den bevorstehenden Kollektivausweisungen gegen die Europäische Konvention der Menschenrechte zu verstoßen, ist auch – ganz unpragmatisch – die Opposition gegen jede Abschiebung haltbar. Übrigens: Um Gefühle geht es hier nur mittelbar, in erster Linie geht es um Rechte – und zwar um die von Menschen.


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