Auf einem Symposium zur Krebsbehandlung und Gesundheitsökonomie sollte auch die personalisierte Medizin propagiert werden. Obwohl der Nutzen der neuen Techniken nicht definitiv erwiesen ist.
Nexavar ist ein relativ neues Medikament zur Behandlung von Leber und fortgeschrittenem Nierenkrebs, das angewendet wird, nachdem der Tumor zuerst operativ entfernt wurde und dann erneut auftritt. Das Medikament bewirkt keine Wunder, soll aber das Leben der Patienten um durchschnittlich drei Monate verlängern, Nebenwirkungen inklusive. Diese drei Monate Lebenszeit kosten rund 32.000 Euro.
Krebs ist eine komplizierte Krankheit und zugleich ein Milliardengeschäft. Der Krebs beschäftigt zehntausende Ärzte und Forscher. Die Onkologie hat sich zum umsatzstärksten Bereich der gesamten Pharmabranche entwickelt. Es gibt heute kaum ein Pharma-Unternehmen, das nicht an einem neuen Krebsmedikament forscht. Wundermittel wurden bislang aber nicht gefunden. Und: Die Medikamente werden immer teurer.
In Großbritannien werden medizinische Leistungen zur Krebsbehandlung deshalb bereits nach Priorität zugeteilt. Nicht jeder bekommt das an Behandlung, was medizinisch angezeigt wäre. Auch in anderen europäischen Ländern wächst vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise wieder die Angst vor einer Rationierung der Hilfeleistungen.
In den vergangenen Jahrzehnten wurden Milliarden Euro in die Tumorforschung gesteckt, doch die Resultate sind nach wie vor unbefriedigend. Wirkungsvoll gegen den Krebs waren Infokampagnen zu Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht, Bewegungsarmut und die intensive Propagierung der Früherkennung. Ein wirklicher Durchbruch bei der Behandlung selbst wurde nicht erreicht, obwohl die Einführung der Chemotherapien in den siebziger Jahren neue Hoffnungen weckte. Und auch wenn bei einzelnen Krebsformen therapeutische Erfolge erzielt wurden ? früher als hoffnungslos geltende Formen, wie Leukämie oder Lymphdrüsenkrebs, verzeichnen heute viel bessere Heilungschancen – kann trotz hochpräziser Bestrahlungstechniken, verbesserter chirurgischer Eingriffe sowie einer Vielzahl an Krebsmedikamenten oft nur das Fortschreiten der Krankheit verzögert werden. So schlagen die teuren Medikamente nur bei einem Teil der Patienten an, und auch die zunehmende Zahl der Kranken, die die Fünfjahresgrenze des „disease-free survival“ erreichen, ist gegen das Risiko eines doch noch eintretenden erneuten Ausbrechens der Krankheit nicht wirklich gefeit.
Fortschritte erhofft man sich nun von der Genomforschung, genauer, von Medikamenten, die auf die molekularen Defekte in Krebszellen zielen und so die genetischen Ursachen von Krebsleiden direkt angehen. Doch auch diese neuen Wirkstoffe sind teuer, garantieren keine absolute Heilung und munitionieren damit ihrerseits die Auseinandersetzung um Ethik, Nutzen und Bezahlbarkeit der medizinischen Hilfsmaßnahmen. Diese Thematik stand im Mittelpunkt des ersten jährlich-stattfinden Symposiums mit dem Titel „Optimisez les coûts liés aux soins de santé: utopie ou vraie opportunité pour les patients“, das zu Beginn dieser Woche in Luxemburg stattfand. Das „Centre de Recherche Public de la Santé“ (CRP-Santé) hatte internationale Experten geladen, um Empfehlungen für die Behandlung des Krebses, für die Gesundheitsökonomie und für die personalisierte Medizin zu erarbeiten. „Wenn das Luxemburger Gesundheitssystem dauerhaft funktionieren soll, dann müssen die vorhandenen Ressourcen optimal genutzt werden“, so die Überlegung.
Pillen nach Maß
Das Symposium diente auch dazu, die Werbetrommel für die sogenannte personalisierte Medizin zu rühren – einen Schwerpunktbereich, in den der Luxemburger Staat bisher bereits 140 Millionen Euro gesteckt hat. Etwas wie Aufbruchstimmung war denn auch zu spüren. Vor allem die Luxemburger „Biobank IBBL“, das „Centre for Systems Biomedicine“ der Uni Luxemburg und das Lungenkrebsforschungsprogramm des CRP-Santé, die seit 2008 Partnerschaftsverträge mit US-amerikanischen Forschungseinrichtungen unterhalten, sollen das neue Aufgabenfeld einer zielgerichteten Therapie ausbauen. Bisher erfolgte die Anwendung von Medikamenten vor allem nach dem Prinzip „one fits all“. Die sogenannte „personalisierte Medizin“ strebt dagegen, ausgehend von genetischen Profilen und Biomarkern, ein weitaus differenzierteres Vorgehen an. Marketing-Strategen sprechen hier gern von den „Pillen nach Maß“: Eine Molekularanalyse sowie der Einsatz von bestimmten Biomarkern sollen es ermöglichen, Medikamente gezielt nur bei denjenigen Krebspatienten einzusetzen, die auf ein spezifisches Medikament auch wirklich ansprechen – nach dem Motto: „Meine Tumor-Gene – meine Krebstherapie“. Das wird die Wirkstoffe nicht verbilligen, aber helfen, unnötige Behandlungen und deren Auswirkungen und Kosten zu vermeiden, so die Hoffnung. Zur Ermittlung der Kosteneffizienz soll zudem innerhalb des CRP-Santé ein Forschungszentrum für Gesundheitsökonomie eingerichtet werden. „Die diskutierte Herangehensweise ist kein Vorwand, die Finanzen im Gesundheitsbereich zu beschneiden“, betonte Gesundheitsminister Mars Di Bartolomeo beim Symposium. Bei der personalisierten Medizin gehe es darum, statt einer medikamentösen Flächenbombardierung die medikamentöse Behandlung gezielt auf den jeweiligen Patienten auszurichten und damit auch die finanziellen Ressourcen effizienter zu nutzen.
Rund 20 Prozent der Brust- und 15 Prozent der Lungenkrebserkrankungen werden bereits auf diese Art behandelt. „Es ist jedoch noch ein weiter Weg, bis wir jeden Patienten so behandeln können. Die genetische Test-Infrastruktur muss erst bereitstehen. Daran arbeiten wir“, fügt Guy Berchem, Präsident der Luxemburger Gesellschaft für Onkologie und Gründer des „Laboratoire d’Hémato-Cancérologie Expérimentale“ im CRP-Santé, hinzu. Jedoch auch die neuen Medikamente sind teuer. „Eine dreimonatige Behandlung ohne Arzt- und Krankenhausgebühren kostet zwischen 60.000 und 150.000 Euro“, erklärt Berchem auf Nachfrage. Jedoch: „Es gibt keine Alternativen zu diesem Verfahren, denn wenn Medikamente ohne gezielte Abstimmung verabreicht werden, wird es noch teurer.“ Das würde das gesamte Gesundheitssystem in Mitleidenschaft ziehen. In Holland werden Menschen ab einem gewissen Alter nur noch palliativ behandelt. „Ich glaube nicht, dass wir dahin kommen sollten“, mahnt Berchem. Auch wenn bei einem Achtzigjährigen mit Prostatakrebs und Metastasen die Frage berechtigt sei, ob eine Chemotherapie noch sinnvoll ist. Manchmal könne die Lebenszeit eines Patienten durch solche Maßnahmen auch verkürzt werden. Immerhin habe Luxemburg den Vorteil, dass die Medikamente zügig beschafft werden können und die Kostenerstattung recht schnell vonstatten geht. Die Gesundheitskasse übernimmt in Luxemburg 100 Prozent der Behandlungskosten. Finanzieller Druck seitens der Krankenkassen sei gegenwärtig noch nicht spürbar.
Ethische Diskussionen jedoch – etwa, ob 150.000 Euro für einen Monat zusätzlicher Lebenszeit vertretbar sind – würden im Fachbereich zunehmend geführt. „Auf diese Fragen haben die Onkologen jedoch keine wirkliche Antwort; gefordert sind hier die Patienten und letztlich die Politiker“, meint Berchem.
Transparente Preisgestaltung der Pharmaprodukte
Dass Behörden die teuren Mittel zulassen und Onkologen sie verordnen, nimmt die Pharmaindustrie als Beleg, dass die zum Teil perverse Kostenspirale akzeptiert wird. Hier sieht Berchem wenig Handlungsspielraum: Sollten sich die Regierungen verabreden, gemeinsam der Preispolitik der Pharmafirmen entgegenzutreten, dann drohe der Forschung im Krebsbereich der Niedergang. Staatlich subventionierte Forschungszentren, wie das CRP-Santé, die unabhängiger von rein wirtschaftlichen Erwägungen agierten, müssten dann Milliarden zur Verfügung gestellt bekommen, um eigenständig Medikamente entwickeln zu können. „Das können nur große Firmen leisten“, so Berchem.
Eine andere Möglichkeit wird im Ausland diskutiert: Staaten könnten sich finanziell am Forschungsprozess beteiligen und hätten dann auch ein Mitspracherecht bei den Preisen. Das würde auch zu einer transparenteren Preisgestaltung bei den Pharmaprodukten beitragen. Denn häufig wird der Vorwurf erhoben, dass die Pharmaindustrie Ergebnisse klinischer Studien durch selektive Publikationen schönt. Das Problem der Zulassungsbehörden ist hierbei, wie weit sie über objektive Daten verfügen, die erkennen lassen, ob ein neues Medikament wirksamer als die bisherige Standardtherapie ist oder nicht.
Einsparmöglichkeiten gibt es bei der Krebsbehandlung; bei den klassischen Chemotherapien z. B. kommen in immer größerem Umfang Generika zum Einsatz. „Das hat natürlich die Kosten gesenkt. Jedoch werden in Zukunft zunehmend neue Medikamente eingesetzt werden, die keine Generika enthalten“, meint der Onkologe. Einsparungen werden auch dadurch erreicht, dass die Chemotherapie zunehmend ambulant statt stationär durchgeführt wird.
Die Gefahr, dass die neue Medizin letztlich zu einer genetischen Zweiklassengesellschaft führt, in der Menschen mit „guter“ Genetik Vorteile vor den anderen haben – sieht Berchem eigentlich nicht. Mit dem Aufkommen der genetischen Tests in den 1990er Jahren sei die Sorge entstanden, dass Versicherungsgesellschaften Patienten mit Brustkrebs nicht mehr übernehmen würden – das aber sei nie eingetroffen. „Beim Krebs haben wir grundsätzlich eine Zweiklassengesellschaft: Jene Patienten, die gegen einen Tumor resistent sind und jene, die anfällig sind.“ Die größte Herausforderung der Onkologie liege vor allem darin, das Krankheitsbild der Patienten richtig zu diagnostizieren und die Therapie ausfindig zu machen, die dem Betreffenden den größten Nutzen bringt – keine leichte Aufgabe auch dadurch, dass sich die Auswahl an Medikamenten binnen der letzten fünf Jahre quasi verdoppelt hat. Hier spiele auch die Zeit eine Rolle. „Die behandelnden Ärzte stehen oft unter Zeitdruck, sie haben viele Patienten. Dennoch muss der Arzt sich manchmal eine Stunde Zeit nehmen, um mit dem Patienten wirklich zu reden“, betont Berchem. Seit Jahren bemühe sich die „Société d’Oncologie“ zudem darum, die Zusammenarbeit in dem Sektor zu fördern. „Auch wenn die Behandlungsstandards in den Allgemeinkrankenhäusern im Land überall weitgehend gleich sind, kann ich mir doch vorstellen, dass der Krebs in absehbarer Zeit an ein bis zwei spezialisierten Zentren behandelt wird“, schätzt Berchem die Lage ein.
Smart move?
Neben intensiver Behandlung darf auch die Prävention nicht zu kurz kommen. Studien haben bewiesen, dass Darmspiegelungen das Risiko, an Darmkrebs zu sterben, herabsetzen. Die Prävention ist zum Teil jedoch noch nicht ausgereift, und nur für wenige Krebsarten existieren zuverlässige Früherkennungsverfahren. „Es gibt keine guten Bluttests“, erklärt Berchem. Viele Laboratorien arbeiten zurzeit daran, diese weiter zu vervollkommnen.
Aber auch allgemeinere Bedingungen, wie Stressfreiheit, verfügbare Zeit, Muße etc. hätten zweifellos positive Effekte auf die Gesundheit – das „Immer Mehr“, das die Gesellschaft verlangt, ist schädlich. Ob es tatsächlich – wie der amerikanische Forscher Scott D. Ramsey beim Symposium meinte – ein „smart move“ des CRP-Santé ist, sich auf die Gesundheitsökomomie und die personalisierte Medizin zu konzentrieren, wird sich zeigen. So begrüßenswert die neue „targeted therapy“ auch erscheint, es stellt sich doch die Frage, ob mit dem Loblied auf die neuen Techniken nicht falsche Erwartungen geweckt werden. Immerhin ist das Wechselspiel zwischen Genen, Proteinen, dem Stoffwechsel sowie Umwelteinflüssen eine äußerst komplexe Angelegenheit. Ein Tumor ist keine Konstante, sondern kann Resistenzen bilden. Dass letztlich auch die innovativen Krebsmittel nicht frei von Nebenwirkungen sind, ist ebenfalls zu bedenken. Auch der deutsche Ethikrat hat kürzlich vor möglichen Risiken der personalisierten Medizin gewarnt: „Es muss um das Wohl der Patienten gehen, sie dürfen nicht vor den Karren der Molekularmedizin und Pharmaindustrie gespannt werden.? Genom- und biomarkerbasierte, individuell auf den Patienten zugeschnittene Therapien böten große Chancen, doch Fürsorge, Gerechtigkeit und Selbstbestimmtheit müssten auch bei ihnen immer im Vordergrund stehen.
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