PERSÖNLICHE ASSISTENZ: Autonom leben

Bei der Konferenz „Autonom leben mit persönlicher Assistenz“ glänzten die politisch Verantwortlichen durch Abwesenheit, obwohl einer der Pioniere dieses Konzepts dort ein Referat hielt.

„Ich bedauere die Abwesenheit der Presse und ich bedauere, dass keiner der verantwortlichen Minister die Zeit gefunden hat, zu kommen“, monierte Joël Delvaux von der „Abteilung Behinderte Arbeitnehmer“ des OGBL zu Beginn der Konferenz „Autonom leben mit persönlicher Assistenz“, zu der am letzten Wochenende die behinderungsübergreifende Selbstvertreterorganisation „Nëmme mat eis!“ und die Abteilung Behinderter Arbeitnehmer (DTH) der Gewerkschaft OGB-L geladen hatten.

Höhepunkt der Tagung war der engagierte Vortrag des französischen Aktivisten Marcel Nuss, ein Vorkämpfers des Konzepts der persönlichen Assistenz: Nuss hat sich trotz schwerer körperlicher Beeinträchtigung – er liegt in einem Liegerollstuhl und muß beatmet werden – ein selbständiges Leben erkämpft. Er hat eine Familie, schreibt Bücher, arbeitet für den französischen Senat und beschäftigt fünf AssistentInnen. Möglich wurde dies in Frankreich durch ein umfassendes Rahmengesetz von 2005, welches Menschen mit Behinderung eine gleichberechtigte Teilhabe in allen Lebensbereichen ermöglichen soll. „Das Argument stimmt also nicht, dass die persönliche Assistenz Arbeitsplätze vernichtet – im Gegenteil. Nuss hätte in Luxemburg dagegen nur die Wahl zwischen Sterbehilfe oder dem Schicksal, in einem Heim zu verkümmern“, konstatiert Patrick Hurst, Präsident der Vereinigung „Nëmme mat eis“. „Wir müssen uns bewusst werden, dass es einen dritten Weg gibt, den der persönlichen Assistenz.“ Bei dieser wird das Geld, auf das Menschen mit Behinderungen Anspruch haben, direkt ausgezahlt, damit die Betroffenen ihre Assistenz selbst organisieren können – wann, wo und wie sie sie jeweils benötigen. Was nicht bedeutet, dass Einrichtungen abgeschafft werden müssten, es gibt nach wie vor Betroffene, die sich dort aufgehoben fühlen.

Luxemburg habe sich mit der Ratifikation der Behindertenrechtskonvention verpflichtet, Menschen mit Behinderungen den Zugang zu ihren Menschenrechten abzusichern. Dazu gehöre auch die Freiheit zu entscheiden, wo und mit wem die Betroffenen leben möchten. Viele haben diese Wahlfreiheit jedoch nicht. Sie sind aus Mangel an Alternativen gezwungen, in Heimen oder aber lebenslang bei ihren Familien zu wohnen. Auch im Arbeitsbereich ist es nicht anders: Zu viele Menschen mit Behinderungen arbeiten in „beschützten“ Werkstätten oder sind in ihrer Berufswahl drastisch eingeschränkt. „Menschen mit Behinderungen befinden sich oft in einer Arbeitssituation, in der es keine Entwicklung gibt. Sie haben keine Verantwortung und sind in keinem Verwaltungsrat vertreten. Es ist eine Parallelwelt, die vor rund 30 Jahren geschaffen wurde“, hebt Delvaux hervor. Nicht nur, dass die Auswahl an Arbeitsplätzen sehr beschränkt ist, ein persönlicher Assistent könnte hier auch mehr Freiräume eröffnen: etwa, um abends auch einmal Überstunden zu machen oder an einer Versammlung teilzunehmen, ohne dabei durch die Zwänge eines rigiden Transportsystems eingeengt zu sein. „Die Betroffenen haben nicht die gleichen Möglichkeiten, Kontakte zu knüpfen und an Aktivitäten teilzunehmen“, kritisiert Delvaux. Auch das System der Pflegeversicherung lässt nur wenig Flexibilität zu. Seit die Pflegeversicherung 1999 in Kraft trat, gib es die Möglichkeit, im Bereich Körperpflege, Ernährung und persönlicher Mobilität Hilfe zu bekommen. Ebenso habe die Möglichkeit bestanden, das Pflegegeld für maximal zehn Stunden pro Woche an einen Familienangehörigen oder eine externe Hilfskraft auszahlen zu lassen. Das reiche jedoch bei weitem nicht aus. „Zudem ist mit diesen Maßnahmen nicht der Abeitsbereich oder die soziale Teilhabe abgedeckt“, so Hurst. Es fehle dem Aktionsplan zur Behindertenrechtskonvention an den nötigen rechtlichen Grundlagen in Form eines Teilhabegesetzes, wie es in Frankreich oder Deutschland existiert. So beschränke sich der Aktionsplan auf einzelne Maßnahmen. „Den Menschen mit Behinderung soll angeboten werden, dass sie während einiger Stunden in der Woche von Arbeitssuchenden Hilfe bekommen“, meint Hurst. Es gehe aber um eine qualifizierte „assistance personnelle“, betonen die Redner.


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