So hitzig die Stimmung nach der Vorstellung des 2013er Haushalts im Oktober war, so unspektakulär verlief die Debatte zu seiner Verabschiedung in der letzten Woche.
Als der Finanzminister Anfang Oktober den Gesetzesentwurf zum Budget 2013 vorstellte, war Michel Wolter einer von denen, die sich am heftigsten darüber erregten, dass die Regierung sich mit einem Defizit, das weit über jenem des Budgetentwurfs 2012 liegen soll, zufrieden gibt. In den Debatten der vergangenen Woche nun verharmloste der Parteipräsident der CSV die Vorkommnisse im Vorfeld als „etwas holperiges Zustandekommen“ des Budgets – eines Budgets, für das er jetzt seine volle Unterstützung ankündigte.
Dafür warf er dem Berichterstatter Lucien Lux (LSAP) vor, einen Privatkrieg mit dem Finanzminister zu führen – allerdings nur außerhalb der Chamber. Im Hause habe er mit seinem Bericht, aber auch mit seinen Bemühungen um die Nachbesserung des Frieden-Haushaltes, gute Arbeit geleistet und sich als loyaler Koalitionspartner erwiesen. Soll heißen: Der sozialistische Fraktionschef (und wohl auch seine KollegInnen) reden an den Biertischen anders als in den Gremien des Abgeordnetenhauses. Mit diesem Vorwurf rächte sich der CSV-Sprecher für die negative Rolle, in die seine Partei gedrängt wird – wovon vor allem jene ihrer VertreterInnen betroffen sind, die sich für weitgehende strukturelle Reformen, sprich einen Umbau des Sozialstaats, stark machen.
Dabei hatte Wolters Redebeitrag es insofern in sich, als er rücksichtslos den Finger in die offenen Wunden des Luxemburger Wirtschaftsmodells legte. All zu viel Neues trat dabei zwar nicht zutage, doch stellte er seine Analyse in einen globalen Kontext, den man mit „Ende des CSV-Wohlfahrtsstaats“ betiteln könnte. Dabei gelang es ihm – wenn auch nur rhetorisch – seine Partei vom Totengräber zum einzigen zur Reform fähigen Akteur umzustilisieren.
Das Credo ist recht einfach gestrickt: Das auf den Finanzplatz und zahlreiche Nischengesetzgebungen aufgebaute Luxemburger Modell hat in der inzwischen mehr als vier Jahre andauernden Krise aufgehört zu funktionieren. Die ihm als Voraussetzung zugrundeliegenden Wachstumszahlen von über vier Prozent jährlich scheinen in Zukunft unerreichbar.
Auf tönernen Füßen
Die Eckdaten lesen sich in Wolters Resümee etwa so: Rund 4 bis 4,5 Milliarden des 11 Milliarden-Haushalts stammen aus den Aktivitäten des Finanzsektors. Hier sprudeln zwar, vor allem wegen des Fondsgeschäfts, noch immer die Steuermilliarden, aber ein Wachstum ist nicht mehr zu verzeichnen, und eines der Standbeine, das Festhalten am Bankgeheimnis, wurde erst dieser Tage, anlässlich einer Arbeitsvisite der Schweizer Bundespräsidentin in Luxemburg, endgültig für nicht länger haltbar erklärt.
Mehr als ein Zehntel der Steuereinnahmen stammt aus den „Grenzaktivitäten“, also dem Tank-, Alkohol und Tabaktourismus. Und auch der elektronische Handel bringt laut Wolters Gesamtrechnung etwa 0,7 bis 0,8 Millionen. Sechseinhalb bis sieben der unserem Staatshaushalt zugute kommenden Milliarden hingen somit direkt von der internationalen Gemengelage ab.
Anders als bei den Krisen der 1990er und zu Beginn und Mitte der 2000er Jahre ist die gegenwärtige durch lange Dauer und zusätzliche strukturelle Veränderungen gekennzeichnet. Neben dem Bankgeheimnis wird ab 2015 der Vorteil des niedrigen TVA-Satzes beim elektronischen Handel sukzessive wegfallen (und wohl paradoxerweise mit einem höheren TVA-Satz, den dann die Luxemburger KonsumentInnen zahlen müssen, teilweise ausgeglichen werden). Die Grenzgeschäfte stehen ebenfalls unter Beschuss, sei es wegen des Kioto-Abkommens, das uns die mit dem Verkauf des Sprits verbundenen Verbräuche anrechnet, oder wegen der immer stärker über den Verkaufspreis betriebenen Anti-Tabak und Anti-Alkoholpolitik, die es nicht mehr erlaubt, jede Nische zu nutzen, ohne Rücksicht auf elementare ethische Grundsätze.
Da Wolter und seiner Partei auf die Schnelle kein neues Modell einfällt, ist die Message klar: Statt auf vier und mehr Prozent bei den Wachstumsraten müssen wir uns auf ein bis zwei Prozent einstellen. Damit wären wir also da angekommen, wo unsere Nachbarn längst sind. Doch ob – und gegebenfalls wann – sogar dieser „Normal“-Zustand eintreten wird, kann Wolter nicht sagen: „Die Geschichtsbücher werden einmal die Jahre von 2008 bis X – wobei ich nicht sagen kann, wann X ist – als die Zeit des großen Umdenkens darstellen“, meint der CSV-Parteichef. Damit verabschiedet er sich auch dem von ihm immer wieder bekräftigten Vorhaben, für das Wahljahr 2014 einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. Denn trotz der Nachbesserung durch die Koalitionsfraktionen bleibt 2013 ein Defizit von einem Ausmaß, das sich nicht „in einem Sprung“ überwinden lässt.
Weil umgekehrt die sogenannten „Automatismen“ auf der Ausgabenseite einen jährlichen Zuwachs oberhalb der neuerdings avisierten Norm voraussetzen, ist das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts nur erreichbar, wenn auch in den Sozialtransfers Einschnitte vorgenommen werden. Wolter rechnete den Sachverhalt akribisch vor, „auch wenn sich einige darüber aufregen werden“.
Eine Lesart von Wolters Rundumschlag könnte also sein: Der „séchere Wee“ der CSV hieß bis dato, dafür zu sorgen, dass Luxemburg auf der Gewinnerseite steht; jetzt und für die Zukunft wird nur noch Normalität versprochen, und auch diese nur unter der Bedingung, dass es zu erheblichen Einsparungen kommt.
Die Interpretation kann aber auch lauten: Das Luxemburger Wachstum stand von Beginn an teilweise auf tönernen Füßen, und nachhaltige Reformen – etwa im Bildungsbereich ? wurden viel zu spät in Angriff genommen. Wichtige Investitionsvorhaben wurden überhaupt unterlassen und spätestens seit dem Wahljahr 2009 von der CSV unter einen generellen Finanzierungsvorbehalt gestellt. Die Seitenhiebe ihres Fraktionschefs in Richtung Luxemburg-Stadt betreffs der seit zehn Jahre überfälligen Trambahn sind kein Indiz für vorausschauendes Denken, sondern sollen lediglich das Terrain für einen harten Verteilungskampf vorbereiten – zwischen Kommunen und Staat in diesem Fall.
Folgt man Wolters Argumentation, so wäre es ohne die CSV noch schlimmer gekommen. Während der langen Perioden der Budget-Überschüsse habe sich seine Partei immer wieder den Vorwurf gefallen lassen müssen, das Geld zu horten und auf den Milliarden sitzen zu bleiben. Wären diese Überschüsse seinerzeit einfach nur verteilt worden, hätte dies die Ansprüche in der Bevölkerung noch weiter in die Höhe getrieben, und vor allem: Es wären die Rücklagen nicht gebildet worden, mit denen man später die kleineren und größeren zyklischen Krisen bewältigte – etwa als 2001 die Internetblase platzte oder als im Budget 2005 in größerem Umfang Einnahmen auszufallen drohten.
Steuergeschenke
Was Wolter nicht erwähnte: 2000 hatte die CSV wohl den Glauben an die eigene Strategie verloren, denn zusammen mit dem Koalitionspartner DP wurde eine Steuerreform beschlossen, die die erwarteten Überschüsse regelrecht dezimierte. Damals, so erinnerte in seiner Antwort an Wolter der Grünen-Sprecher François Bausch, hieß der Finanzminister Jean-Claude Juncker. Der war der Auffassung, es sei nicht länger vertretbar, dass der Staat Riesenüberschüsse hortet und sie nicht an die Steuerzahler zurückerstattet.
Zwar lag diese Jahrhundert-Steuer-Reform vor dem großen Einschnitt des Jahres 2001, doch wurde auch schon damals von wichtigen strukturellen Reformen geredet, die dem Land bevorstanden. Aber alle – bis auf die Grünen – waren glücklich über den nun hereinbrechenden Geldsegen, der nur die kleine Unschönheit aufwies, dass mit dem Herabsenken des Spitzensteuersatzes die Steuergerechtigkeit nachhaltig beeinträchtigt wurde.
Das Budget gilt ja offiziell als das wichtigste der von der Abgeordnetenkammer zu beschließenden Gesetze. Doch nach einem eher tumulthaften Vorbereitungsphase verliefen die Schlussdebatten und die Abstimmung recht unspektakulär. Das könnte natürlich daran liegen, dass jedem bewusst war, dass der echte Umverteilungskampf der Gesellschaft noch bevorsteht. Die CSV übt sich in Vorwärtsverteidigung, während der LSAP der Spagat zwischen der Chamber-Realpolitik und den Verpflichtungen gegenüber der Basis nicht mehr so recht gelingen will.
Ob die Koalition das Vorwahljahr überstehen wird, hängt wohl nicht zuletzt von Jean-Caude Juncker ab. Dessen Abnabelung von der Eurogruppe scheint diesmal ja ernst gemeint zu sein. Nachdem sein Finanzminister nicht ohne Blessuren aus dem Cargolux-Deal herausgekommen ist, bleibt ihm wohl nichts anderes übrig, als die Bereinigung der Staatfinanzen als Chefsache zu behandeln. Orientiert er sich dabei allerdings zu sehr am Modell Frieden/Wolter, kann er auch gleich Ausschau nach einem neuen Koalitionspartner halten.