LOBBYPLAG: Ausweitung der Interessen-Kampfzone

Die Website „LobbyPlag“ entlarvt Abgeordnete als Abschreiber. Am Beispiel der EU-Datenschutz-Richtlinie wird aufgezeigt, dass Änderungsanträge absatzweise von Lobbyisten übernommen werden. Doch ist diese Praxis per se verwerflich? Nicht unbedingt, meinen die Luxemburger EU-Abgeordneten.

Finde das Plagiat: Auf der Website „LobbyPlag“ kann jeder per Mausklick auf die Suche gehen.

Kein Zweifel: Ein Gesetz ist keine Doktorarbeit. Die Urheber von „LobbyPlag“ knüpfen dennoch ganz bewusst an die jüngsten Plagiat-Skandale in Deutschland an. „Was sind schon zusammenkopierte Dissertationen verglichen mit ganzen Gesetzestexten, die nicht aus der Feder von gewählten Volksvertretern stammen??, fragt einer von ihnen, der Journalist Richard Gutjahr in seinem Blog. Jene Paragrafen würden „zu großen Teilen von Multi-Milliarden-Dollar-Konzernen formuliert“. Dies zu beweisen, ist das Ziel der Crowdsourcing-Plattform „LobbyPlag“.

Ob es gelingt, wird sich erst in ein paar Monaten herausstellen, wenn der von Justiz-Kommissarin Viviane Reding vorgelegte Entwurf für die EU-Datenschutz-Direktive durch alle Instanzen ist und die fertige Version auf dem Tisch liegt. Die neue Richtlinie soll den Datenschutz dem Internetzeitalter anpassen. Da dies nahezu alle Bereiche unserer Dienstleistungsgesellschaft betrifft, ist das Interesse am Regelwerk außergewöhnlich groß. „LobbyPlag“ bemüht sich derzeit, möglichst viele der rund 3.000 Änderungsanträge der EU-Abgeordneten unter die Lupe zu nehmen.

Das Resultat ist beeindruckend. In manchen Anträgen wurden absatzweise Formulierungen von Unternehmen wie Amazon, eBay oder der europäischen Bankenföderation übernommen. Da sich „LobbyPlag“ zunächst etwas einseitig auf Spurensuche gemacht hatte, gab es trotz des großen medialen Erfolgs schon kurz nachdem die Plattform im Februar online ging auch heftige Kritik. „Änderungsanträge werden nicht nur von Banken oder Amazon übernommen“, sagt etwa die Luxemburger Abgeordnete Astrid Lulling. „Viele Kollegen schreiben zum Beispiel bei Greenpeace und Konsorten ab.“

„Es geht nicht um Copy-Paste, sondern um die Werte“

Tatsächlich inspirieren sich Abgeordnete nicht nur bei „Multi-Milliarden-Dollar-Konzernen“. Zu den alltäglichen Antragschreibern gehören ebenso Gewerkschaften, Umwelt- oder Dritte-Welt-Verbände und Datenschutz-Organisationen. „Man bekommt fertige Anträge zugeschickt“, sagt der LSAP-Europa-Abgeordnete Robert Goebbels, „auch von Luxemburger Organisationen.“ „LobbyPlag“ reagierte, suchte nun auch nach nicht-kommerziell motivierten Plagiaten und wurde fündig. Zum Beispiel bei Amelia Andersdotter. „Sie hat es tatsächlich fertig gebracht, den kompletten Katalog an Änderungswünschen der Initiative European Digital Rights für ihre Gesetzesanträge zu kopieren“, so Richard Gutjahr. Dass „LobbyPlag dies nun dokumentierte, gefiel der schwedischen EU-Abgeordneten der Piratenpartei gar nicht. Im persönlichen Gespräch sei Andersdotter „regelrecht biestig“ geworden. „LobbyPlag“ lenke die Diskussion auf ein Thema, das völlig irrelevant sei, so ihre Kritik. Es gehe nicht um Copy & Paste, sondern um die Werte, die man repräsentiere. Ähnlich sehen das auch die meisten der Luxemburger Abgeordneten. In der Regel werden die Änderungsanträge selbst verfasst, wenn man jedoch „etwas für vernünftig hält, kann es auch übernommen werden“, beschreibt Astrid Lulling ihre Herangehensweise.

Wer textuelle Hilfe in Anspruch nimmt, müsse sich deshalb nicht als „Söldner des Großkapitalisten“ beschimpfen lassen, findet ihr Parteikollege Frank Engel. „Wenn ich keine bessere Alternative finde, um dasselbe auszudrücken, dann schäme ich mich nicht, denselben Text einzureichen“, stellt Engel klar. Allerdings müsse jeder Parlamentarier in der Lage sein, den „tieferen Sinn“ seines Antrags zu benennen. „Und dieser sollte nicht daraus bestehen, dass ihm etwas versprochen wurde“, fügt der CSV-Europa-Abgeordnete hinzu.

„Schließlich wünschen wir uns eine starke Zivilgesellschaft, also müssen wir sie auch anhören.“

Ausschlaggebend ist seiner Meinung nach das „übergeordnete Interesse“, und dieses ist weit gefasst. Wie weit, zeigt das von ihm zitierte Beispiel: Ein Betrieb wie ArcelorMittal wendet sich an einen Abgeordneten und erklärt ihm, durch diese oder jene Änderung könne sich die Zahl der von dem Konzern zur Verfügung gestellten Arbeitsplätze um Tausend nach oben oder nach unten bewegen. „Was machen Sie dann?“, fragt Engel. Die Information ignorieren oder sich „tatsächlich dafür, interessieren, dass hier möglicherweise Tausende von Leuten ihren Arbeitsplatz verlieren?“.

Auch nationale Interessen werden von manchen Parlamentariern als übergeordnet eingestuft. Robert Goebbels gehört an und für sich zu den vehementen Kritikern des Lobby-Aktivismus in Brüssel und Straßburg. Er findet es „nicht in Ordnung“, wenn Abgeordnete von Lobbyisten abkupfern. „Ich gehöre nicht dazu“, sagt der LSAP-Europadeputierte. „Ich empfange kaum Lobbyisten und Post von ihnen landet meist im Papierkorb.“

Dass er noch nie Anträge der Industrie und vor allem von „grünen Organisationen“ eingebracht hat, nimmt man dem früheren Wirtschaftsminister problemlos ab. Mit seiner kritischen Haltung gegenüber Öko-Themen hält er für gewöhnlich nicht hinterm Berg. Doch auch bei ihm gibt es Ausnahmen. Er habe, gesteht Goebbels, „das eine oder andere Mal“ Änderungsanträge übernommen, die ihm vom Luxemburger Finanzminister vorgeschlagen wurden. „Es ist, denke ich, im Interesse unseres Landes, dass wir helfen, berechtigte Interessen unseres Finanzplatzes zu verteidigen“, erklärt Goebbels ohne Umschweife. „Ich sehe darin nichts Unwürdiges.“

Viele im Parlament teilen diese Auffassung: Solange ein Abgeordneter überzeugt von den Anträgen sei, die er einreiche und keine Entschädigung für seinen Einsatz im Namen fremder Interessen bekomme, seien Plagiate moralisch nicht verwerflich. „Verwerflich ist es, wenn sich ein Parlamentarier kaufen lässt“, sagt Charles Goerens (DP). Von solchen Fällen wusste bei unserer Umfrage niemand zu berichten. Goerens verweist auf die Praxis in der Luxemburger Legislative. Dort haben Berufskammern die Möglichkeit in den Prozess einzugreifen: Sie verfassen Stellungnahmen zu Gesetzen und machen Änderungsanträge. „So lange dies transparent ist, ist nichts dagegen einzuwenden“, lautet Goerens` Fazit. Der DP-Europa-Abgeordnete ist Mitglied des Entwicklung-Ausschusses im Parlament. „Bei mir klopfen ständig NGOs an. Und ich empfange sie auch“, so Goerens. „Schließlich wünschen wir uns eine starke Zivilgesellschaft, also müssen wir sie auch anhören.“

„Der größte Lobbyismus geschieht nicht in Brüssel, sondern in den europäischen Hauptstädten“

Auch dem Grünen Claude Turmes werden Änderungs-Anträge zugeschickt. „Von Umweltverbänden, Energiekonzernen, der Windkraftlobby oder anderen. Wir schauen sie durch und überprüfen, ob wir sie übernehmen wollen oder nicht.“ Für Turmes ist Transparenz das Ausschlaggebende. Jeder, der bei ihm um einen Termin bittet, muss sich erst ins Lobby-Register eintragen. In diesem freiwilligen EU-Register sind jedoch auch drei Jahre nach dessen Einführung längst nicht alle Lobbyisten aufgeführt. Für Turmes reicht ein einfacher Eintrag in die Liste nicht. Es sollte auch angegeben werden, wie viel Geld jeweils in die Lobbyarbeit gesteckt wird. Erst dann könne man nachvollziehen, wie die Mittel der Interessenvertreter verteilt sind. Allerdings sieht der Grüne nicht allein Brüssel als Kampfplatz der Lobbyisten. „Der größte Lobbyismus geschieht nicht in Brüssel, sondern in den europäischen Hauptstädten“, so Turmes. Darüber, welche Interessenvertreter von Ministern empfangen werden, gebe es keinerlei Auskünfte. Auch nicht darüber, welche Textpassagen von Gesetzesvorlagen in den Ministerien verfasst wurden und welche von außen stammen.

Im Falle der Datenschutzrichtlinie hat „LobbyPlag“ noch lange nicht alle 3.000 Anträge untersucht. Doch schon jetzt steht fest, dass die privaten Unternehmen mit weitaus mehr Vorschlägen bei den Abgeordneten landen konnten als nichtkommerzielle Interessenverbände. Derzeit liegt das Verhältnis etwa bei 2:1. Die von den „LobbyPlag“-Machern befürchtete einseitige Interessensdurchführung könnte also zum Schluss Realität werden.

Ungeachtet einer moralischen Bewertung der Abkupferpraxis ist es durchaus interessant, zu erfahren, welche Veränderungen dieses Unternehmen oder jene NGO in einer Richtlinie gerne verwirklicht sehen würden. Dies verrät ein Blick auf die Website von „LobbyPlag“. Der Eifer der Macher scheint indessen ungebrochen. Inzwischen gibt es Anfragen, das Modell auf nationale Gesetze in verschiedenen Ländern zu übertragen. Um sich vor weiteren Interview-Anfragen zu retten, musste sich Richard Gutjahr nach der ersten Erfolgswelle für kurze Zeit in die israelische Negev-Wüste zurückziehen. Dort konnte er „größtmögliche Einsamkeit bei bester WiFi-Anbindung“ genießen und es entstanden Ideen für den Fortgang des Projekts.

In den kommenden Wochen soll ein „Katalog aller Änderungswünsche der diversen Lobbyisten“ erstellt werden. Geplant ist am Ende eine Gesamtvisualisierung der Datenschutz-Direktive, „die alle Kampfzonen im Gesetzestext visualisiert“, und aufzeigt, welcher Teil der neuen Datenschutz-Regeln unter welchen Einflüssen zustande kommt.

www.lobbyplag.eu


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