Rechtsruck: Kalkulierte Eklats

Die ersten hundert Tage der CSV-DP-Regierung waren geprägt von Grenzübertretungen. Das sind keine Anfängerfehler, sondern kalkulierte Botschaften erfahrender Politiker*innen.

Hat sich zwar für die Wortwahl „füttern“, aber nicht für ihre antiziganistischen Aussagen entschuldigt: Simone Beissel (DP). (Foto: Chambre des Députés)

Ob Léon Glodens (CSV) Lügen über angeblich deutsche Limousinen mit belgischen Kennzeichen, Simone Beissels (DP) antiziganistische Aussagen oder Marc Lies’ (CSV) Hetze gegen Asylsuchende – das Muster der Aufreger der letzten Wochen war immer gleich. Politiker*innen sagen oder schreiben etwas, werden dafür kritisiert und „entschuldigen“ sich dann für die Form, nicht aber für den Inhalt. Beissel und Lies behaupteten beide, im „Eifer des Gefechts“ Aussagen getätigt zu haben, die ihnen später leidtaten.

In beiden Fällen ist diese Ausrede wenig glaubhaft: Wenn Marc Lies so wenig Medienkompetenz hat, dass er nicht weiß, auf welchen Kommentar er bei Facebook antwortet – dies behauptete der Abgeordnete nämlich, wie sollen die Bürger*innen ihm dann trauen, bei Abstimmungen im Parlament den richtigen Knopf zu finden? Das „Riicht eraus“-Youtubevideo von Simone Beissel und Astrid Lulling wurde an einer Stelle, an der Beissel ein entscheidendes Wort nicht fand, untertitelt – das legt nahe, dass das Video nach Aufzeichnung gesichtet und bewusst entschieden wurde, ihre Hasstirade zu veröffentlichen.

Es handelt sich bei den Politi- ker*innen, die mit falschen Tatsachenbehauptungen, rassistischen Aussagen oder Andeutungen ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, um Profis. Sie sind seit Jahren im Parlament, teilweise auch in kommunaler Verantwortung. Und nun wollen sie der Bevölkerung weismachen, sie verstünden grundlegende Prinzipien der öffentlichen Meinungsäußerung nicht? Bemerkenswert ist auch, dass sich höchstens von einzelnen Begriffen, nie aber von der Aussage an sich distanziert wird.

Erst tätigen sie rassistische Aussagen, bei Kritik rudern sie zurück. Bei der Zielgruppe bleibt die Aussage trotzdem hängen.

Das liegt entweder daran, dass die Politiker*innen an ihre Kernaussagen glauben – sonst „rutschten“ sie ihnen wohl kaum „im Eifer des Gefechts heraus“ – oder aber die Eklats sind kalkuliert und sollen eine bestimmte Zielgruppe ansprechen. Die Politiker*innen von CSV und DP nutzen dabei die rhetorischen Tricks von Rechtspopulist*innen: Erst tätigen sie rassistische Aussagen, bei Kritik rudern sie zurück. Bei der Zielgruppe bleibt die Aussage trotzdem hängen. Damit verschieben sich die Grenzen des Sagbaren.

Die ADR nimmt die Steilvorlagen der rechts„liberalen“ Regierungsparteien dankbar auf: Marc Lies verdächtigt alle Asylsuchenden, Hühnerdieb*innen zu sein und Fred Keup twittert über die Zahl von Nicht-EU-Bürger*innen, die in Luxemburg im Gefängnis und in Untersuchungshaft sitzen. Stets wird mit einer Mischung aus Ressentiments, aus dem Kontext gerissenen Zahlen und rassistischem Bauchgefühl argumentiert. Es gilt dabei immer „Brandolinis Gesetz“: „Das Widerlegen von Schwachsinn erfordert eine Größenordnung mehr Energie als dessen Produktion.“ Der italienische Programmierer Alberto Brandolini formulierte diese Erkenntnis nachdem er eine Fernsehdiskussion mit Silvio Berlusconi gesehen hatte.

Das macht es für jene, die rechtspopulistischen Behauptungen etwas entgegensetzen wollen, enorm schwierig, denn sie müssen zehnmal mehr Zeit und Ressourcen investieren, um die Diskussion auf den Boden der Tatsachen zurückzuführen. Nachträgliche Richtigstellungen oder Entschuldigungen bleiben nicht hängen – die markigen Sprüche und einfachen Erklärungen tun es. Wenn CSV und DP im kommenden Europawahlkampf ernsthaft und glaubwürdig gegen eine rechtspopulistische EU stehen wollen, müssen sie aufhören, den Rechtspopulist*innen mit Worten sowie Taten Tür und Tor zu öffnen.


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