PFLEGEVERSICHERUNG: Sozialstaat 2.0

Vor 15 Jahren verabschiedete die Chamber das Gesetz zur „Assurance-Dépendance“. Ein wirklicher Fortschritt, der den Sozialstaat gefestigt hat.

Im Nachhinein erscheint es wie ein Anachronismus: Mitten in einer Epoche, in der die Neoliberalen sich überall auf der Welt bemühten, der Sozialpolitik ihren Stempel aufzudrücken – sprich die Sozialversicherungen weitgehend zu privatisieren und die nationale Solidargemeinschaft aufzubrechen – gab sich Luxemburg 1998 ein Gesetz, das ein neue, für alle BürgerInnen geltende Sozialleistung schaffte: die Pflegeversicherung.

Für einen Beitrag von derzeit 1,4 Prozent vom Einkommen (ergänzt durch eine staatliche Bezuschussung, die ab dem nächsten Jahr 40 Prozent der Ausgaben betragen wird) steht allen, die einen gewissen Grad an Pflegebedürftigkeit aufweisen, eine Unterstützung zu. Diese wird entweder durch ambulante Pflege zu Hause oder, im Bedarfsfall, durch eine Unterbringung in speziellen Heimen gewährleistet. Zudem sieht das Gesetz vor, dass auch nicht-professionelle Helfer in den Genuss der Vergütung kommen können, wodurch den Betroffenen der Erhalt einer gewissen Lebensqualität ermöglicht wird.

„Für die Pflege-versicherung werden nicht ausschließlich Löhne und Gehälter herangezogen.“

Anders als bei der Kranken- und der Rentenversicherung werden die Beiträge zur Pflegeversicherung allein von den Versicherten aufgebracht. Die klassische paritätische Beteiligung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern wurde aufgegeben. Eine Abkehr vom klassischen Sozialstaatsmodell, die jedoch durch eine wichtige Regelung teilweise kompensiert wurde: Für den Beitrag zur Pflegeversicherung werden nicht ausschließlich Löhne und Gehälter, sondern auch andere Einkommen, wie etwa Zinsgewinne, herangezogen. Damit erhält die Versicherung nicht nur eine breitere Ertragsbasis, sie ist auch sozial gerechter.

Zwar fehlt es an detaillierten Berechnungen, doch scheint klar, dass die neue Versicherung einen nicht unbedeutenden Beitrag zur Stabilisierung der klassischen Krankenversicherung geleistet hat. Bis Ende der 1990er Jahre gab es in Luxemburg das Phänomen einer stetig steigenden Zahl von Versorgungsbetten in den Kliniken. Dort mussten Menschen, die nicht mehr autonom leben konnten, für die aber auch keine Heilungschancen mehr bestanden, für teures Geld oft über Monate und Jahre zwischengeparkt werden, bis sich irgend eine Lösung in mehr oder weniger spezialisierten Häusern fand. So kamen die Krankenkassen für etwas auf, wofür sie eigentlich nicht gedacht waren.

Doch noch schwerer als dieser finanzielle Vorzug wiegt wohl die Tatsache, dass die Versicherten mit dem System sehr zufrieden sind. Auch wenn entsprechende Erhebungen mit etwas Vorsicht zu genießen sind – Menschen, denen geholfen wurde, neigen schon allein aus Dankbarkeit dazu, die geleistete Unterstützung als durchweg positiv zu bewerten – so haben qualitative Studien, sowohl zur Betreuung zu Hause als auch zu der in speziellen Heimen, doch zu im Ganzen ermunternden Ergebnissen geführt.

Auch die Tatsache, dass zwei Drittel der Assurance-Dépendance-Klienten zu Hause betreut werden und nur ein Drittel in speziellen Institutionen untergebracht werden muss, kann als Erfolg bezeichnet werden. Ermöglicht wird dies nicht zuletzt dadurch, dass die Versicherung ausdrücklich auch bis zu einem gewissen Grad die Pflege durch nicht-professionelle Kräfte, vornehmlich aus dem Familien- und Bekanntenkreis, vorsieht. Dass hier Missbrauch möglich ist – nämlich das Geld kassiert, die entsprechende Hilfe aber nicht oder nur unzureichend geleistet wird – ist allerdings nicht ganz von der Hand zu weisen.

Doch dürfte der Vorteil, Menschen in ihrem gewohnten Umfeld zu belassen, überwiegen. Neben einer verbesserten Kontrolle, die vor allem das Wohl der Betroffenen im Auge haben muss, sollten daher auch neue Modelle eine Chance bekommen. In Japan etwa können die Versicherten selbst Pflegedienste leisten; die dafür aufgewendete Zeit wird in einem Konto festgehalten und steht ihnen danach für ihren eigenen Bedarf, wie Bildungs- oder sonstigen Urlaub, zur Verfügung. Die Versicherten verzichten so auf zusätzliches Geld, gewinnen dafür aber die nicht weniger kostbare Zeit zurück und können dadurch die Belastung durch die Pflege anderer um einiges besser verkraften.


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