SEXUELLE AUFKLÄRUNG: Ewiges Tabu

Zu ihrem nationalen Aktionsplan zur Sexualerziehung klopfen sich die MinisterInnen gegenseitig auf die Schulter. Doch Selbstbestimmung bleibt in Luxemburg Heterosexuellen vorbehalten.

Wenn gleich vier Minister zu einer Pressekonferenz antreten, um ein Projekt zu promoten und feierlich eine Absichtserklärung zu unterzeichnen, kann der Grund nur der Wahlkampf sein. Das Thema, um das es in diesem Fall ging – Sexualität und die Prävention von Geschlechtskrankheiten – wurde von den Damen und Herren Ministern jedoch in einer Weise paraphrasiert, als lebten wir noch immer in den 1950er Jahren. Die sexuelle und emotionale Gesundheit zu fördern, ist der Zweck des neuen Aktionsplans, an dem die vier Ministerien seit 2011 gemeinsam gearbeitet haben und der am vergangenen Mittwoch von Mars di Bartolomeo, Mady Delvaux-Stehres, Marc Spautz und Françoise Hetto-Gaasch der Presse vorgestellt wurde. Erreicht werden soll dies durch die Schaffung einer Koordinationsstelle für alle Akteure, die zugleich als eine Plattform für den allseitigen Austausch konzipiert ist. „Ein pluridisziplinäres Projekt“ sei hiermit verwirklicht, so die Gleichstellungsministerin.

Mehr als freie Partnerwahl und den sicheren Zugang zu Verhütungsmitteln

Die Menschen lebten heutzutage in einer Welt, in der Sexualität überall präsent sei. Gesundheitsminister di Bartolomeo stellte gleich zu Beginn klar, dass man Sexualität nicht auf das Vermeiden sexueller Krankheiten reduzieren könne, und versäumte nicht, es als Verdienst seiner Partei hervorzuheben, dass in Luxemburg der kostenlose Zugang von Verhütungsmitteln für Jugendliche gewährleistet ist. Nein, pflichtete Minister Marc Spautz bei, „sexuelle Gesundheit“ umfasse mehr, zum Beispiel müsse man mit Jugendlichen auch über Liebe sprechen. Eine verantwortliche Sexualerziehung sei wichtig, verlautbarten alle vier Minister im Chor. Dabei brachten sie es tatsächlich fertig, keine einzige Geschlechtskrankheit – um deren Vermeidung es bei der beschworenen verantwortlichen Erziehung doch gehen soll – beim Namen zu nennen, geschweige denn, Zahlen über HIV-Infektionen in Luxemburg zu nennen.

Dass die sexuelle Gesundheit zumindest in der Theorie mehr umfasst, als den Partner frei wählen zu können und sicheren Zugang zu Verhütungsmitteln zu haben, unterstreicht die aktuell gültige Definition (2006) der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Nach ihr meint der weit auslegbare Begriff der „sexuellen Gesundheit“, der zugleich auch das körperliche, emotionale, geistige und soziale Wohlbefinden bezogen auf Sexualität umfasst, nicht nur die Abwesenheit von Krankheit, Funktionsstörungen oder Schwäche. Sondern: „Sexuelle Gesundheit erfordert sowohl eine positive, respektvolle Herangehensweise an Sexualität und sexuelle Beziehungen als auch die Möglichkeit für lustvolle und sichere sexuelle Erfahrungen, frei von Unterdrückung, Diskriminierung und Gewalt. Wenn sexuelle Gesundheit erreicht und bewahrt werden soll, müssen die sexuellen Rechte aller Menschen anerkannt, geschützt und eingehalten werden.“ Damit ist sexuelle Aufklärung auch ein Schlüssel zur Gewaltprävention. Die sexuellen Rechte aller Menschen zu gewähren und ihre Selbstbestimmung zu achten, hieße aber auch, transidenten Menschen einen entsprechenden, juristisch gesicherten Rechtsstatus einzuräumen. Der hätte als erste und wichtigste Konsequenz das grundsätzliche Verbot sogenannter „geschlechtsangleichender“ chirurgischer Eingriffe bei Menschen, deren Geschlecht uneindeutig ist. Zwar fiel der Gleichstellungsministerin by the way noch ein, dass es ja neben Homosexuellen, deren Rechte man in Luxemburg ja anerkenne und deshalb nicht eigens zu erwähnen brauche, auch noch intersexuelle Menschen gibt – an der herrschenden Praxis der Genitalverstümmelung und dem ungeklärten Rechtsstatus Intersexueller ändert jedoch auch diese gemeinsame Verlautbarung nichts.

Etwas frischen Wind brachte Patrick Weymerskirch vom Jugendparlament. Er forderte einen grundsätzlichen Perspektivenwechsel und die Einführung von „sexueller Erziehung“ als Schul-Pflichtfach. Weymerskirch forderte die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und machte sich für eine Fristenlösung stark. Denn, so sein Resumé: „Sexualität ist und bleibt ein Tabuthema“.


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