SOZIALE NOT: Betteln um Stimmen

Um dem Betteln in der Hauptstadt Einhalt zu gebieten und die BürgerInnen zu „schützen“, hat die Stadt eine Informationsbroschüre mit Tipps herausgegeben. – Ein Wahlkampfmanöver?

Bettelei ist ein Phänomen, das auch in Luxemburg immer präsenter wird, vor allem in der Hauptstadt. Logische Folge einer wachsenden sozialen Kluft, in der die Reichen mehr haben und die Armut wächst. Dass die Sichtbarkeit von Armut im Stadtbild die Wohlhabenden stört, ist schon immer so gewesen. Nun ist Betteln an sich zwar nicht strafbar, geht in Luxemburg jedoch immer häufiger mit organisierter Kriminalität und dem Missbrauch von Spendensammlungen karitativer Organisationen einher.

Um dem Einhalt zu gebieten und die BürgerInnen und die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren, hat die Stadt Luxemburg nun in Zusammenarbeit mit dem Sozialamt, der Polizei und Handicap International eine Informationsbroschüre herausgegeben. Sie enthält „Empfehlungen zum illegalen Betteln“. So wird dringend davon abgeraten, Bargeld zu spenden, und angeregt, stattdessen Sachspenden zu geben. Ferner heißt es: „Sollte ein Bettler aufdringlich oder aggressiv werden, so gehen Sie nicht darauf ein, sondern merken Sie sich sein Aussehen, (…) und rufen Sie unverzüglich die Telefonnummer 113 an. Diese Angaben dienen der Polizei zum Beweis des Tatbestands der strafbaren Bettelei.“ Abgesehen davon ist die Broschüre jedoch in einem nicht allzu aggressiven Ton gehalten, die Worte sind mit Bedacht gewählt. Auf die neuen Formen der organisierten Kriminalität müsse unsere Gesellschaft „auf eine gleichberechtigte und gerechte Art und Weise reagieren und jenen Personen, die der Unterstützung bedürfen, Hilfe anbieten, dies vor allem durch die bestehenden Sozialdienste und Strukturen“. Doch fragt man sich, ob die Stadt genügend soziale Auffangstrukturen anbietet. „Es ist ein sehr sensibles Thema“, gab Sozialschöffin Loschetter anlässlich der Präsentation zu bedenken. Zugleich bemühte sie sich sichtlich darum, den Zwiespalt zwischen sozialer Not der bettelnden Menschen und Handlungsnot der Stadt zu verbalisieren: „Die Leute schlafen auf unseren Straßen, auf unseren Spielplätzen. Wir haben eine Bettlerei der Not. Eine Situation, in der die Leute weder zu essen, noch zu trinken haben. – Daneben haben wir aber auch eine Form von organisierter Kriminalität und Menschenhandel.“

Auch der Direktor von Handicap International, dessen Organisation in letzter Zeit wiederholt Opfer von Spendenmissbrauch war, spricht von organisierter Kriminalität. – Eine Kriminalität, der man sich entgegenstellen müsse, so der durchgängige Tenor des Flyers. Und das mache man als Stadt mit den Mitteln, die man habe. Freilich sei der Handlungsspielraum der Polizei nicht groß. Denn in vielen Fällen handele es sich bei den 30 bis 40 der Polizei bekannten „Kriminellen“ um Minderjährige. Allerdings wendet die Polizei auch einige repressive Maßnahmen, wie etwa den „Platzverweis“ an. Xavier Bettel und François Bausch haben deshalb einen Gesetzesentwurf zur Erweiterung der polizeilichen Kompetenzen vorbereitet, und auch der Innenminister beabsichtigt, ein verschärftes Gesetz auf den Instanzenweg zu schicken.

Zwischen sozialer Not und Handlungsnot der Stadt

Obwohl es der Sozialschöffin wichtig ist, sachlich zu vermitteln und eine Polemik zu vermeiden, ist diese doch längst entfacht – zumindest in den sozialen Netwerken. In Facebook-Kommentaren ist die Rede von „einer Säuberung der Hauptstadt von Bettlern“. Dass gerade in diesem Diskurs schnell rassistische Ressentiments zutage treten werden, ist eindeutig. Und dass der Flyer diese Ressentiments bei einigen Menschen eher noch nähren wird, lässt sich sicher nicht vermeiden.

Der Bürgermeister mag richtig liegen, wenn er gebetsmühlenartig wiederholt, dass die Bettelei in Luxemburg-Stadt zunimmt – allerdings hält hier nur Einzug, was in den meisten europäischen Großstädten seit langem Realität ist. Doch weiß er, dass seine wohlhabenderen WählerInnen, sich von den Armen – noch dazu, wenn es MigrantInnen sind – bedroht fühlen. Und er weiß, dass in Wahlkampfzeiten die Rhetorik des „harten Durchgreifens“ und des mehr oder weniger latenten Ressentiments vielversprechender ist, als das Werben um Verständnis und Einsicht in soziale Zusammenhänge.


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