NACH NEW YORK: Im Sicherheitsrausch

Im Schatten der allgemeinen Anti-Terror- Hysterie haben Law-and- Order-PolitikerInnen freie Hand. Die geplanten Einschränkungen der Bürgerrechte sind drastisch. Dennoch stoßen sie kaum auf Widerstand.

Keine Angst vor Big Brother: Videoüberwachung, Abhörsysteme oder erkennungsdienstliche Behandlung – seitdem die Angst vor Terroranschlägen in der westlichen Welt umgeht, sind mögliche Bedenken gegenüber schärferen Sicherheitsmaßnahmen wie weggewischt. Laut Meinungsumfrage sprechen sich 71 Prozent der Menschen in den USA für eine nationale Identitätsregistrierung anhand von Fingerabdrücken aus. Auch anderswo ist Datenschutz kein Thema mehr. Eine Spiegel-Umfrage ergab: 74 Prozent der Deutschen sind bereit, „für ihre Sicherheit sehr starke Einschränkungen hinzunehmen“.

Solche Stimmungen wissen Law-and-Order-Politiker zu nutzen. In den USA wird künftig Thomas Ridge, der bisherige Gouverneur von Pennsylvania, für innere Sicherheit sorgen. Ridge, der in seiner siebenjährigen Amtszeit 100 Strafgefangene hat hinrichten lassen, steht zur Vollstreckung der Terrorismusbekämpfung ein frisch geschnürtes Gesetzespaket zur Verfügung. Neben schärferen Überwachungsmaßnahmen soll auch das Einwanderungsgesetz neu gefasst werden. AusländerInnen, die ein „Risiko für die nationale Sicherheit“ darstellen, dürfen dann ohne Gerichtsverfahren abgeschoben werden.

Doch nicht nur die USA wollen den Sicherheitsgürtel enger schnallen. Der Aktionsplan gegen Terrorismus, den die Chefs der 15 EU-Staaten am vergangenen Freitag vorgelegt haben, dürfte die Herzen der hiesigen Sicherheitsfanatiker höher schlagen lassen. Allein der Versuch eine „terroristische Straftat“ europaweit zu definieren, könnte so mancher nationalen Repression neuen Spielraum eröffnen.

Wer künftig etwa einen blauen Aufkleber mit weißer Friedenstaube auf den städtischen Papierkorb klebt, könnte zum engeren Kreis der Verdächtigen gehören. Neben Mord, Entführung oder Erpressung gehört nämlich laut EU-Definition auch die Beschädigung staatlicher Einrichtungen, öffentlicher Transportmittel, öffentlicher Plätze oder öffentlichen Eigentums in die Kategorie der terroristischen Straftaten. Wie der europäische Haftbefehl zur Auslieferung mutmaßlicher Terroristen aussehen wird, werden die 15 im Dezember en détail diskutieren.

Doch so lange wollen nicht alle warten. Es gilt, die Anti-Terror-Stimmung auf ihrem Höhepunkt auszunutzen. Das hat sich der deutsche Innenminister Otto Schily offensichtlich besonders vorgenommen. Der Ex-Grüne zieht Gesetzesvorschläge aus der Schublade, die dort zwar schon länger liegen, die er sich bislang aber noch nicht so richtig hervorzukramen getraute. Dazu gehört die Erweiterung des in der Zeit der Jagd auf RAF-Terroristen entstandenen Paragraphen 129a, der die Bildung einer terroristischen Vereinigung unter Strafe stellt. Oder aber Schilys Steckenpferd: die Verschärfung der Ausländergesetze.

Auch hier kann der deutsche Innenminister auf Rückhalt in der Bevölkerung bauen: Laut Spiegel-Umfrage sind immerhin 69 Prozent dafür, dass für alle Nicht-EU-Ausländer, die länger in Deutschland leben wollen, eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz gemacht werden soll. Dass auch 59 Prozent der befragten Grünen-WählerInnen dies befürworteten, lässt ahnen: Auch der grüne Koalitionspartner, der sich gerne als Verfechter der Bürgerrechte präsentiert, wird sich einer Verschärfung der Sicherheitsgesetze kaum in den Weg stellen.

Ob in den USA oder in Europa, eins ist sicher: Keine der geplanten Maßnahmen hätte auch nur annähernd dazu beigetragen, die Anschläge in New York zu verhindern. Doch das behaupten ja noch nicht einmal ihre Erfinder.


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