SANFTE MOBILITÄT: Nachrüstung

Sanfte Mobilität ist im Kommen. Die Regierung hat die richtigen Ideen, jetzt bedarf es noch adäquater und genügender Mittel, meint die LVI.

Noch fehlen Geld und Raum für 25 Prozent sanfte Mobilität.

Als der frühere Infrastruktur- und Nachhaltigkeitsminister Claude Wiseler vor zwei Jahren sein „Modu“-Konzept vorstellte, bemühte er sich vor allem um klare Zielsetzungen für den sogenannten Modal-Split: Ein Viertel aller Mobilitätsanforderungen sollte zum Ende dieses Jahrzehnts auf sanfte Weise, also zu Fuß oder per Rad bewältigt werden, die restlichen drei Viertel auf den öffentlichen Verkehr und den Privattransport entfallen – wobei auch hier eine Entwicklung zugunsten von Bus- und Bahn angestrebt werden sollte.

Die Regierungserklärung des aus den Neuwahlen hervorgegangenen Premiers scheint auf den ersten Blick wieder in die alte Sprachregelung zurückzufallen: hier wird unter dem Begriff „mobilité douce“ auch der öffentliche Kraftverkehr verstanden. Ein Modal-Split von 25/75 würde demnach bedeuten, dass dem privaten Autoverkehr allein 75 Prozent zugestanden werden sollen. Doch der Präsident der Lëtzebuerger Vëlos-Initiativ (LVI) Gust Muller gibt sich ob dieser Aussage gelassen: „Das ist in unseren Augen ein Lapsus“, so Gust Muller, der aus anderen Ausführungen der Koalitionäre herausliest, dass durchaus die Vorgaben des Wiseler- Modu-Konzeptes gemeint sind. Zusammen mit seinem LVI-Kollegen Christophe Reuter begrüßte er deshalb anlässlich einer Pressekonferenz der Fahrrad-Organisation ausdrücklich die „ambitionierten“ Ziele der Regierung. Diese plant beispielsweise, innerhalb des Nachhaltigkeits- und Infrastrukturministeriums (MDDI) eine besondere Mobilitäts-Planungsabteilung zu schaffen.

Ausgehend vom vorliegenden Koalitionsabkommen stellten die beiden Vertreter trotzdem eine Reihe von Forderungen zusammen, die dazu beitragen sollen, dass es sich beim Regierungsprogramm „nicht nur um eine schöne Partitur handelt, sondern daraus eine richtige Musik“ entsteht.

Eine Voraussetzung dafür sind ausreichend finanzielle Mittel – und hier ist die Rechnung schnell gemacht: Wer ein Viertel sanfte Mobilität will, der muss ein Viertel der budgetären Mittel, die für die Mobilität insgesamt vorgesehen sind, für Fußgänger- und Fahrradinfrastrukturen vorsehen – so die knappe Formel der LVI. Dem Argument, dies sei in Zeiten der Budgetknappheit wenig realistisch, da zu teuer, hält Christophe Reuter entgegen, aktuelle Studien hätten gezeigt, wie Länder mit einem höheren Anteil an sanfter Mobilität den Gesundheitszustand ihrer Bevölkerung insgesamt verbessern konnten. Unter dem Strich werde dadurch sogar Geld gespart. Eine Erhebung der WHO hat für Österreich ergeben, dass sich pro Anteil von je fünf Prozent RadfahrerInnen jedes Jahr etwa 400 Todesfälle vermeiden lassen und rund 400 Millionen Euro Kostenersparnis zu verzeichnen sind. „Auf Luxemburg umgerechnet wären das 25 Millionen Euro Einsparungen und 25 gerettete Leben“, so Christophe Reuter.

Die LVI begrüßt auch die versprochene „cellule mobilité douce“, allerdings unter der Bedingung, dass sie in deren Arbeit einbezogen wird. Darüber hinaus soll diese Arbeitsgruppe ausschließlich mit ExpertInnen besetzt werden, die selber regelmäßig mit dem Fahrrad unterwegs sind, denn nur so könnten die vielen kleinen Gefahrenpunkte erkannt und beseitigt werden.

Die „cellule“ müsste mit einem Vetorecht für Planungen und den Straßenbau ausgestattet werden, so der LVI. Ausreichende finanzielle und menschliche Mittel müssten es zudem erlauben, den oft überforderten Kommunen bei der Ausarbeitung ihrer Mobiltätspläne zuarbeiten zu können.

Wichtig für die LVI ist auch eine transparente und systematische Erfassung der Bewegungsstatistiken, damit frühzeitig erkannt wird, welche Maßnahmen tatsächlich zu einer Erhöhung des Anteils der sanften Mobilität führen und wo es eventuell der Nachbesserung bedarf.

Noch von der Vorgängerregierung stammt eine Gesetzesreform bezüglich des nationalen Radwegenetzes, die nun überarbeitet werden muss. Bislang sieht das Gesetz vor, den Kommunen, die sich an das nationale Radwegenetz anschließen wollen, hierfür einen 30-prozentigen Zuschuss zu gewähren. In den Augen des LVI genügt dies nicht – vor allem dann, wenn ganz neue Wege angelegt werden müssen.

Die LVI will die Liste der geplanten Radwege um einige Verbindungen in den Ballungsgebieten Luxemburg, Esch/Alzette und Nordstad ergänzt sehen, da diese für Berufs- und SchulpendlerInnen den Umstieg erleichtern könnten. Zudem fehlen im Gesetzeskatalog die in letzter Zeit konkretisierten Vorhaben einer Radpiste im Mamerdall und eines Rings nordwestlich des Öslinger Stausees.

Rad vs. Umwelt

Während sich die oben erwähnten Forderungen an den mit Transportfragen beauftragten MDDI-Minister François Bausch richten, werden auch Vorschläge an die Adresse der Umweltministerin Carole Dieschbourg gemacht. Zwar deckt sich der Grundgedanke einer verstärkten sanften Mobilität durchaus mit dem Ziel des Umweltressorts, den CO2-Ausstoß insgesamt zu reduzieren. Gleichwohl ist das Verhältnis des LVI zu Umweltverwaltung und Umweltministerium nicht immer konfliktfrei. Konkret geht es um die Trassenführung einiger Radwegeprojekte bzw. zu schaffender Teilstecken.

Um die Konflikte zu verringern, soll das Umweltministerium bereits zu Beginn der Trassenplanungen einbezogen werden und nicht, wie bislang, erst am Ende einer langen Prozedur, um dann womöglich scheinbar unlösbare Konflikte mit bestehenden Naturschutzregelungen festzustellen. Für Christophe Reuter sieht in vielen Fällen eine gangbare Lösung so aus, dass die Radtransitstrecken an den schützenswerten Biotopen vorbeigeführt werden, dafür aber didaktische Fußwege angelegt werden, die es erlauben, diese Gebiete auf schonende Art und Weise per pedes zu entdecken.

Ein weiteres „leidiges“ Thema ist der für die Radwege vorgesehene Belag. Im alten – derzeit noch geltenden Radwegegesetz – ist ein Asphalt- oder Betonbelag über eine Breite von drei Metern zwingend vorgeschrieben. Darüber herrscht quasi ein Dauerstreit der Umwelt- mit der Straßenbauverwaltung: Die einen lehnen Asphalt und Beton ab, weil dadurch die schützenwerten Gebiete zu sehr belastet würden. Die anderen weigern sich, auf Material zurückzugreifen, das bei stärkerer Belastung beschädigt wird und regelmäßig erneuert werden muss. Die LVI gibt zu bedenken, dass eine allzu häufige Erneuerung ebenfalls mit Belastungen einhergeht, weil durch den starken Maschineneinsatz die Böden oft noch stärker zusammengepresst werden, als es bei einer einmaligen Asphaltierung der Fall wäre.

Um dem Dauerdisput ein Ende zu bereiten, schlagen die LVI-Verantwortlichen vor, der „Teststrecke Ludwigkai“ im bayrischen Würzburg einen Besuch abzustatten. Dort wurden entlang des Mains die unterschiedlichsten Belage über vier Jahre lang von Tausenden von RadfahrerInnen getestet. Die LVI zeigt sich oin dieser Frage ergebnisoffen: „Wir wollen keine Vorentscheidung unsererseits treffen“, so Christophe Reuter, „wir geben aber zu bedenken, dass Radpisten, die nur an zwei Wochen im August sicher befahrbar sind, kaum zum Fahren animieren.“

Vielleicht ist ja Camille Gira, der als Staatssekretär beiden MinisterInnen zu Diensten steht, das nötige Bindeglied, um den Dauerkonflikt zwischen Naturschutz und Radfahrbegeisterung zu entschärfen.

Obwohl der LVI sich vor allem um die Belange des täglichen Radfahrens kümmert, bricht Gust Muller aber auch eine Lanze für die FreizeitradfahrerInnen und RadtouristInnen – nicht ohne den Hintergedanken, die Gelegenheits-BikerInnen später auch einmal für das Fahren im Alltag zu gewinnen. Ein gesonderter Forderungskatalog der LVI richtet sich deshalb auch an den Wirtschaftsminister Etienne Schneider und seine Staatssekretärin und All-Radfahrerin Francine Closener, da ihnen das Tourismusressort zugedacht wurde. Vom Radtourismus als europäischer Wachstumssparte könnte auch Luxemburg noch mehr profitieren.

Normale RadtouristInnen haben aber einen täglichen Aktionsradius von 30 bis 80 Kilometern. Das bedeutet, dass bei der Konzipierung des Radnetzes über die Landesgrenzen hinweg gedacht werden muss. Gerade die Anbindung an die Radnetze in den Nachbarländern lässt aber vielfach zu wünschen übrig, was Stippvisiten aus diesen Grenzregionen verhindert.

Ein Blick in die Schweiz zeigt, wie ein integriertes sanftes Tourismuskonzept binnen weniger Jahre auch wirtschaftlich durchaus Erfolge zeitigen kann. Auf einer einheitlichen Internetplattform (swissmobile.org) werden alle Dienstleistungen zusammengeführt. Für Luxemburg bietet sich ein integriertes Mitnahmekonzept für Gepäck an, meint Gust Müller. Auf diese Weise hätten RadtouristInnen die Möglichkeit, ihr Reisegepäck von jedem Ort in Luxemburg an einen anderen bringen zu lassen. Auch hinsichtlich der Zusammenführung der Fahrradmietstationen sollte die Möglichkeit geschaffen werden, „rent-a-bike“-Räder überall im Land anzumieten und woanders abgeben.

Sorgen bereiten dem LVI nicht zuletzt die touristischen Infrastrukturen auf dem flachen Land. Im Westen etwa, wo es durchaus gute und beliebte Radwege gibt, haben in den letzten Jahre viele Hotelbetriebe aufgehört. Um in radtouristisch interessanten Regionen den nötigen Strukturwandel herbeizuführen, soll ein nationaler Runder Tisch aller Akteure aus dem Tourismussektor einberufen werden.

Für Gust Muller ist klar: Das 25/75-Ziel wird nicht an mangelnder Begeisterung für das Radfahren scheitern. Allein an den zwölf Zählstellen in Luxemburg-Stadt wurden 2012 mehr als 800.000 Fahrradbewegungen gemessen, was das Argument der fehlenden Nachfrage ad absurdum führt. Daher gelte es, auf der Seite des Angebots nachzurüsten.


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