Der Vatikan will demnächst eine Doktrin zur Sexualmoral veröffentlichen. Darin lehnt er „Safer Sex“-Praktiken ab. Doch das Leben von Menschen muss mehr wert sein als eine rückwärts gewandte Kirchenmoral.
Italienischen Medienberichten zufolge plant die Führung der katholischen Kirche eine Großoffensive gegen die westliche Kultur der sexuellen Freiheit und Selbstbestimmung. Mit diesem Ziel gebe der Vatikan in Kürze ein Dokument heraus, in dem er sich etwa gegen liberale Sexualaufklärung, „Safer Sex“- Praktiken und die Tolerierung von Schwulen-Ehen wendet, berichtete die römische Zeitung „La Repubblica“ am vergangenen Dienstag. Auf rund 500 Seiten schreibe die Kirche ihr striktes Nein gegen jede Form der künstlichen Empfängnisverhütung sowie gegenüber dem Benutzen von Kondomen im Kampf gegen Aids fest, so der Vatikan-Experte und La Repubblica-Journalist Marco Puliti.
Zugegeben, wirklich überraschen tut diese Nachricht nicht. Die Haltung der Führung der katholischen Kirche zur Empfängnisverhütung und Homosexualität ist schon seit vielen Jahrzehnten bekannt – und hat sich entgegen gesellschaftlicher Trends hin zu mehr sexueller Selbstbestimmung nicht geändert. 34 Jahre ist es her, dass der Vatikan mit der höchst umstrittenen Enzyklika „Humanae Vitae“ das Anti-Baby-Pillenverbot festgeschrieben hat – trotz aller Einwände von Menschenrechtsorganisationen und BevölkerungswissenschaftlerInnen. Besuche in den ärmsten – und bevölkerungsreichsten – Ländern der Welt, Protestbriefe, Kirchenaustritte zu Tausenden, – all das konnte den Papst nicht beeindrucken. Ebenso wenig die Mahnungen von Glaubensbrüdern, geänderte Lebensgewohnheiten, Frauenrechte und die Gefahr einer ungebremsten Bevölkerungsentwicklung anzuerkennen. Johannes Paul II hielt an der reinen Lehre und seiner rückwärts gewandten Sexualmoral, die Sex nur innerhalb der Ehe und ohne jegliche Verhütungsmethode erlaubt, fest.
Vor dem Hintergrund von HIV/Aids bekommt die „Wojtyla-Doktrin der Sexualmoral“, wie Putini das geplante Schreiben nennt, eine zusätzliche drastische Dimension. Es ist noch nicht lang her, dass UN-Aids in ihrem jüngsten Jahresbericht die aktuellen Zahlen der Aids-Pandemie veröffentlicht hat: Etwa 20 Millionen Aids-Tote in den vergangenen 20 Jahren, weltweit über 40 Millionen HI-Infizierte, Tendenz rasant steigend. Internationale ExpertInnen sind sich einig: Die tödliche Immunschwäche kann nur gestoppt werden, wenn Aidsprävention in der Agenda von PolitikerInnen endlich prioritär behandelt wird. Wie zynisch, wie verantwortungslos ist es angesichts dieser dramatischen, für Millionen von Menschen lebensbedrohlichen Situation, die Benutzung von Kondomen im Kampf gegen Aids abzulehnen.
Die katholische Kirche mauert trotzdem, für sie steht fest: HIV und Aids sind Ergebnis einer auf die Spitze getriebenen sexuellen Befreiung, die christliche Werte ignoriert. Aids als Geißel Gottes für die Ungläubigen und SünderInnen. Als besten Schutz gegen Aids werden deshalb Treue innerhalb der Ehe und Enthaltsamkeit der Unverheirateten proklamiert.
„Jetzt ist es amtlich: Treue und Keuschheit bekämpfen Aids am besten“ zitiert der katholische Nachrichtendienstes Kath.net eine Studie der Weltbank über Ugandas erfolgreiches Aids-Präventionsprogramm. Die Untersuchung wurde jedoch entweder nicht richtig gelesen – oder bewusst fehlinterpretiert.
Tatsache ist, und darin sind sich Weltbank, UN-Aids und WissenschaftlerInnen der John-Hopkins-University in Baltimore, einig: Die sinkenden Infektionsraten in dem südafrikanischen Land sind auf einen kombinierten Präventionsansatz zurückzuführen. Gemeinsam mit Gemeinden, NGOs, religiösen Gruppen (christliche und muslimische) sowie Jugendgruppen verfolgt die ugandische Regierung eine Dreifach-Strategie: Neue Werte bestehend aus Abstinenz, Monogamie und (!) Kondomgebrauch sollten das riskante Sexualverhalten in der Bevölkerung verändern. Das ambitiöse Vorhaben gelang, heute ist Uganda das Vorzeigeland in Sachen Aids-Prävention – und eines mit der höchsten Kondomgebrauchsquote in ganz Afrika.