Angela Steidele: In Männerkleidern

Angela Steidele porträtiert in der Biografie „In Männerkleidern“ das Leben von Catharina Linck: Sie war die letzte Frau Europas, die aufgrund einer lesbischen Beziehung hingerichtet wurde.

Die Autorin Angela Steidele befasst sich in ihrer Arbeit mit historischen Zeugnissen lesbischen Begehrens. (Copyright: Amrei-Marie, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

1721 wurde Catharina Margaretha Linck in Halberstadt hingerichtet, nachdem sie sich jahrelang als Mann ausgab und Frauen liebte. Die Autorin Angela Steidele widmete ihr 2004 die Biografie „In Männerkleidern. Das verwegene Leben der Catharina Margaretha Linck alias Anastasius Lagrantinus Rosenstengel, hingerichtet 1721“. Zum dreihundertsten Jahrestag erschien das Buch 2021 als ergänzte Neuauflage im Insel Verlag, samt zahlreicher Quellen und Anhänge. „Tatsächlich hat mich ihre Geschichte noch weit länger nicht losgelassen, als ich damals ahnen konnte“, schreibt Steidele im Vorwort zur Neuausgabe über Linck. Die Arbeit an der Biografie inspirierte sie 2015 zu ihrem Debütroman „Rosenstengel. Ein Manuskript aus dem Umfeld Ludwigs II.“. Doch was ist so fesselnd an Catharina Margaretha Lincks Schicksal?

Linck entpuppt sich allein aufgrund ihrer Dreistigkeit und ihrer Herkunft als interessante historische Figur. Ihr Schicksal bietet Einsicht in die prekäre Lebenslage von Frauen und unteren Gesellschaftsschichten im 18. Jahrhundert. Steidele interessiert sich für jede von Lincks Lebensphasen und die damals geltenden gesellschaftlichen Umstände, etwa die Geschlechterrollen dieser Zeit oder Konflikte zwischen unterschiedlichen Glaubensgemeinschaften. Letzteres mag Leser*innen, die das Buch primär in die Hand nehmen, um mehr über Lincks lesbisches Begehren und ihre Geschlechtsidentität zu erfahren, teilweise zu weit gehen. Doch selbst wenn Steidele abschweift, behält sie Linck im Blick und erzählt ihr Leben trotz zahlreicher historischer Fakten gut lesbar nach.

Linck wurde als uneheliches Kind in ärmliche Verhältnisse geboren. Ihre Mutter war alleinerziehend, musste zeitweise Sexarbeit leisten, um über die Runden zu kommen. Als Linck neun Jahre alt war, erhielt die Mutter eine Anstellung in einem neu gegründeten pietistischen Waisenheim. Während sie im hauswirtschaftlichen Bereich tätig war, erfuhr ihre Tochter dort eine äußert strenge und religiöse Erziehung. Bereits als Jugendliche flüchtete sie mehrmals aus dem Heim.

Als Fünfzehnjährige begann sie Männerkleider und einen Lederdildo zu tragen, gab sich fortan als Anastasius Rosenstengel aus. Als solcher schlief sie nicht nur mit Frauen, sondern wanderte auch als Prophet einer pietistischen Sekte durch das Land und kämpfte als Musketier im Spanischen Erbfolgekrieg. Dabei schloss sie sich unterschiedlichen Truppen an, die sie meist irregulär verließ, indem sie desertierte oder nach einer Gefangennahme nicht zurückkehrte. Jedes Mal wechselte sie ihren Namen. „Alle diese Namen sprechen (…) eine selbstironische Sprache: Verwies ʽBeuerleinʾ auf seine niedere Geburt, so kokettierte ʽHubschʾ, dem nur zwei ü-Punkte fehlten, mit seiner von Grumbkow überlieferten « beau visage »“, gibt Steidele Beispiele.

„Frauenverachtung rettete ihr das Leben.“

1708 wurde Linck zum ersten Mal zum Tode verurteilt: Sie wurde als Deserteur festgenommen und nach geltendem Kriegsrecht verurteilt. Unterm Galgen bat sie um ein letztes Gespräch mit einem Pfarrer, dem sie sich als Frau zu erkennen gab. Zwar soll sie ihn an seine Schweigepflicht erinnert und um die Vertuschung der Umstände zum Schutz ihrer Familie gebeten haben, doch das hält Steidele für Kalkül. Linck habe darauf gepokert, dass das Geständnis und die vermeintliche Sorge um Angehörige den Pfarrer sanftmütig stimmen würden. Der Plan ging auf: Der Pfarrer petzte; die Militärrichter betrachteten Linck als Frau – und die hatte für sie weder etwas im Krieg zu suchen noch konnte sie als Deserteur verurteilt werden. „Frauenverachtung rettete ihr das Leben“, kommentiert Steidele dies zynisch.

Von den Ereignissen unbeeindruckt, schloss sich Linck nach dieser Erfahrung unter neuem Namen preußischen Truppen an. Schon 1709 flog sie ein weiteres Mal auf und kehrte für kurze Zeit als Frau zurück in ihre Heimat. Später schlug sie sich erneut als Mann durch und heiratete 1717 als solcher Catharina Mühlhahn. Eine unglückliche und verhängnisvolle Ehe, denn am Ende war es Mühlhahns Mutter, die Linck zu Fall brachte. Besorgt um ihre erkrankte Tochter, zweifelte sie von Anfang an stark an Lincks Aufrichtigkeit und an ihrem Geschlecht. Eines Tages fesselte sie Linck an einen Stuhl und schlitzte ihr die Hose auf – der Lederdildo und das Horn, das Linck zum Urinieren im Stehen nutzte, wurden sichtbar. Mühlhahns Mutter zeigte Linck an; damit begann ein langwieriger Inquisitionsprozess gegen beide Eheleute.

An der Stelle liefert Steidele spannende Einblicke in die Entwicklung der juristischen Situation queerer Menschen, was sie später durch die medizinische Haltung gegenüber gleichgeschlechtlichem Begehren ergänzt. Gleichzeitig unterstreicht sie, wie weit strukturelle Misogynie und Lesbenfeindlichkeit zurückreicht. Sex zwischen Frauen wurde nämlich in juristischen Kommentaren im 18. Jahrhundert zu einer physischen Unmöglichkeit erklärt, weil der Phallus fehlte. Zwar blieb Sex zwischen Frauen bis 1851 strafbar, doch wurde er bis dahin eher als Fantasie abgetan.

Erneut hätten Frauenverachtung und Patriarchat Linck also fast in die Karten gespielt, wie Steidele zu berichten weiß: „Da es bei Catharina Lincks sexuellen Begegnungen mit Catharina Mühlhahn nicht zur Spermaverschwendung gekommen war, folgerten die Berliner Kriminalräte, dass die Todesstrafe nicht verhängt werden könne.“ Ihre anderen Vergehen standen nicht unter Todesstrafe. Und doch verurteilte der preußische König Friedrich Wilhelm I. sie zum Tod durch Enthauptung. Ihre Ehefrau, die bis zuletzt ihr Unwissen beteuerte, wurde zu drei Jahren Zwangsarbeit verpflichtet.

Steidele versetzt Catharina Linck im letzten Kapitel schließlich in die Gegenwart: Wo ist ihre Person aus heutiger Sicht auf dem LGBTIQA+-Spektrum zu verorten? „Ihre Herkunft aus ärmlichen Verhältnissen und ihre uneheliche Geburt waren Faktoren, die ihr Selbstverständnis (…) mehr geprägt haben als ihr Geschlecht und ihr Begehren“, antwortet Steidele. Sie geht dennoch auf die Frage ein, ob sich Linck als trans und/oder lesbisch kategorisieren lässt. Dabei erwähnt sie Kritik aus der Lesbenforschung, nach der Lesben durch Queer Studies unsichtbar gemacht würden, zum Beispiel indem maskuline Frauen per se als trans Männer gelesen werden. Steidele liefert Belege für beide Theorien, legt sich jedoch nicht fest. „Unsere Fragen erzählen uns mehr über uns selbst und unsere Zeit“, schlussfolgert sie.

Indiskutabel ist für sie, dass die Geschichten von Frauen, Lesben und trans Menschen keine „Spartengeschichten“ sind – sie müssen Einzug in die patriarchal geprägte Geschichtsschreibung halten. Lincks Geschichte sei gut dokumentiert und damit einzigartig für die „weitgehend ungeschriebene Geschichte der weiblichen Homosexualität und Transidentität im deutschen Sprachraum“. Nur wenige vergleichbare Fälle seien bekannt, einige davon zitiert Steidele in ihrem Nachwort. Sie selbst promovierte 2002 an der Universität Siegen mit einer Dissertation über Liebe und Begehren zwischen Frauen in der deutschsprachigen Literatur zwischen 1750 und 1850. Seit der Erstveröffentlichung von „In Männerkleidern“ publizierte sie außerdem mehrere Sachbücher über Frauen, die Frauen liebten – und verhilft damit bisher unbekannten Gesichtern zu mehr Sichtbarkeit.

Angela, Steidele: In Männerkleidern. 
Das verwegene Leben der Catharina Margaretha Linck alias Anastasius Lagrantinus Rosenstengel, hingerichtet 1721. Biographie und Dokumentation. Insel Verlag: 2021. 326 Seiten. 
ISBN: 978-3-458-17945-0.

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