Arm trotz Mindestlohn

von | 29.01.2020

In Luxemburg erreicht der Mindestlohn nicht einmal 60 Prozent des mittleren Einkommens. Laut Europäischem Gewerkschaftsbund gilt dies auch für 16 weitere Staaten mit gesetzlichem Mindestlohn. Dieser müsse ein auskömmliches Leben ermöglichen, so die Forderung an die EU-Kommission.

In 17 der 22 EU-Ländern mit gesetzlich verankertem Mindestlohn leben die so bezahlten Vollzeitbeschäftigten unter der Armutsgrenze. (Bildquelle: ETUC/OECD)

In der Mehrheit der EU-Länder mit gesetzlichem Mindestlohn schützt dieser nicht vor einem Leben in Armut. Das geht aus einem Bericht hervor, den der Europäische Gewerkschaftsbund ETUC hinsichtlich eines von der Europäischen Kommission geplanten EU-weiten gesetzlichen Mindestlohns veröffentlicht hat. Ein solcher Mindestlohn kann laut den von der ETUC veröffentlichten Zahlen ein menschenwürdiges Leben nur garantieren, sofern er zum allgemeinen Lohnniveau und den Lebenshaltungskosten im jeweiligen Land im Verhältnis steht.

Im Gespräch ist derzeit unter anderem der Vorschlag, den Mindestlohn auf 60 Prozent des mittleren Einkommens im jeweiligen Land festzulegen, was zugleich eine Definition der Armutsgrenze ist. Dieses auch als Medianlohn bezeichnete Einkommen befindet sich genau in der Mitte aller betrachteten und nach Gehaltsgröße sortierten Einkommen einer Gesellschaft, ist also in der Regel niedriger als der Durchschnittslohn. Denn die hohen und höchsten Einkommen liegen um ein Vielfaches über den mittleren Einkommen, während die niedrigen Einkommen weniger weit davon entfernt sind.

Wie eine von der „Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ (OECD) vorgelegte Statistik zeigt, erreichen 17 der 22 EU-Mitgliedsstaaten, in denen ein gesetzlicher Mindestlohn gilt, die 60-Prozent-Grenze nicht. Darunter auch Luxemburg, wo der zur Zeit der Erhebung geltende Mindestlohn von 2.071 Euro 54 Prozent des damaligen mittleren Einkommens in Luxemburg entsprach (seit 1.1.2020 sind es 2.141,99 Euro, rückwirkend auf das Jahr 2019 wurde der Mindestlohn zudem per Juli 2019 in Kraft getretenem Gesetz auf 2.089,75 Euro angehoben; 2018 waren es 2.071,10 Euro).

In zehn EU-Ländern erreicht der Mindestlohn nicht einmal 50 Prozent des mittleren Einkommens, darunter Schlusslicht Spanien, wo die gesetzliche Lohnuntergrenze gerade einmal 41 Prozent des Medianlohnes beträgt.

Vorstoß der EU-Kommission

Allerdings reicht das Geld auch in einigen Ländern, wo die 60-Prozent-Marke erreicht wird, zum Leben nicht aus. Darauf wies Nicolas Schmit, der für das Thema zuständige EU-Kommissar, im Gespräch mit der woxx unlängst hin: „In Bulgarien verdient man fast sechsmal weniger als in Luxemburg, aber die Lebenshaltungskosten sind dort nicht sechsmal niedriger – das allgemeine Lohnniveau ist einfach zu niedrig“, so Schmit.

Die Stellungnahme der ETUC erfolgt im Rahmen eines Konsultationsprozesses, den Nicolas Schmit als Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte eröffnet hat. Mitte Januar hatte Schmit für die EU-Kommission die Idee einer EU-weit geltenden Regelung zur Lohnfestsetzung präsentiert, die allerdings nicht im Sinne eines in allen Ländern gleich hohen Betrags zu verstehen sei. Binnen sechs Wochen sollen Gewerkschaften und Unternehmerverbände den bislang recht vage gehaltenen Vorstoß kommentieren. Laut Schmit geht es bei der Initiative vor allem darum, dass der gesetzliche Mindestlohn „auch eine würdige Lebensführung ermöglicht“.

„Wenn jemand in Vollzeit arbeitet, sollte er sich nicht zwischen einer Mahlzeit oder einer warmen Wohnung entscheiden müssen“, kommentierte die stellvertretende ETUC-Generalsekretärin Esther Lynch die Realität in vielen EU-Ländern mit und ohne Mindestlohn. Jede und jeder zehnte EU-Bürger*in zählt mittlerweile zu den sogenannten „working poor“. Die EU-Kommission müsse daher Klartext reden, was sie sich unter einem fairen gesetzlichen Mindestlohn vorstellt. „Es ist notwendig, diese Schwelle adäquat an das Preisniveau der Waren und Güter anzugleichen“, so Lynch. Nur so lasse sich gewährleisten, dass der Mindestlohn auch ein auskömmliches Leben ermöglicht.

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