Auf Netflix: Pretend It’s a City

In der Miniserie „Pretend It’s a City” lacht der Regisseur Martin Scorsese am lautesten – und zwar über seine Freundin: die Autorin und Kultfigur Fran Lebowitz.

In „Pretend It’s a City“ porträtiert Martin Scorsese die Kultfigur Fran Lebowitz. (Foto: Christopher Macsurak, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons)

Fran Lebowitz ist die Verwandte aus New York, die man sich entweder schon immer gewünscht hat oder die man bei Familienfeiern auslädt. Sie lässt keinen Raum für lauwarme Gefühle. Die Autorin und Rednerin ist schlagfertig, ehrlich, griesgrämig und hat zu allem eine Meinung – sogar zu zusammengerollten Yogamatten. Kein geringerer als der oscarprämierte Regisseur Martin Scorsese widmet ihr nach „Public Speaking“ (2010) jetzt eine siebenteilige Miniserie auf Netflix: „Pretend It’s a City”.

Lebowitz tut darin das, was sie unglaublich gut kann: reden. Sie spricht zusammen mit Scorsese über ihre Ankunft in New York im Jahr 1969 und über den Wandel beziehungsweise die Gentrifizierung der Stadt. Lebowitz echauffiert sich über Menschen, die auf der Straße nur Augen für ihre Handybildschirme haben, über ein Hunde-Mosaik in der U-Bahn-Station, über das Konzept Wellness und über vieles mehr. Scorsese, der dabei die meiste Zeit mit ihr an einem Tisch in einem Café sitzt, lacht sich schlapp. In Ausschnitten früherer öffentlicher Auftritte setzt Lebowitz reihenweise erfahrene Talkmaster rhetorisch schachmatt und treibt Sportfanatiker wie Spike Lee mit ihrem Hass auf Sport zur Weißglut.

Hinter den ganzen Pointen tauchen in der Miniserie aber auch immer wieder ernste Themen auf. In „Haushalt“ spricht Lebowitz darüber, was es in ihrer Generation – sie ist siebzig – hieß, eine Frau zu sein. „It is true that women of my age, when we were children, were absolutely not raised with the idea that we ever had to think about money“, sagt sie. Ihre Eltern wollten nicht, dass sie schreibt. Sie wollten vor allem, so Lebowitz, dass sie heiratet. Die Autorin erkennt in der geschlechtsspezifischen Erziehung den Grund für ihren desaströsen Umgang mit Geld. Sie erzählt darüber hinaus, warum sie nie als Kellnerin gearbeitet hat: Für Frauen sei es eine geläufige Einstellungsvoraussetzung gewesen mit dem Lokalmanager zu schlafen. Dem widersetzte sie sich und fuhr lieber Taxi. Die vorwiegend männlichen Fahrer hätten sie aufgrund ihres Geschlechts jedoch ausgegrenzt.

Die Witze und Anekdoten, mit denen Lebowitz diese Erfahrungsberichte schmückt, verringern die Tragik ihrer Erzählung nicht. Wenn Lebowitz in „Sport und Gesundheit“ über Extremsportler*innen herzieht, vergeht einem das Lachen. In einer Szene regt sie sich über Menschen auf, die sich freiwillig Herausforderungen, vor allem physischen, stellen. Das ist anfangs amüsant, bis Lebowitz sagt: „Real life has always been challenging to me.“ Zwar packt die Autorin diesen Satz erneut zwischen Gags über ihren ganz persönlichen Hindernislauf zum Wäschetrockner, doch schwingt in der Aussage ein gewisser Ernst mit. Lebowitz spricht in der Doku wenig oder nur oberflächlich über ihr Privatleben.

Auf verschiedenen Medienplattformen heißt es, Lebowitz stamme aus einer jüdischen Familie, sei aber seit ihrem siebten Lebensjahr Atheistin. In Interviews mit The Voice oder mit dem Sydney Opera House spricht Lebowitz über ihre Homosexualität und ihren Hang zu polygamen Beziehungen, der oft Streitthema mit Partner*innen gewesen sei. Im Gespräch mit dem Sydney Opera House sind außerdem ihr problematisches Verhältnis zu ihren Eltern und ihr Coming-out Thema. Alles Aspekte, die ihr Leben sicherlich geprägt und zu der Challenge gemacht haben, die sie in „Pretend It’s a City” andeutet.

Lebowitz lässt stellenweise aber auch diskussionswürdige Aussagen vom Stapel. In der Folge zu Gesundheit und Sport, spricht sie kurz über ein dreijähriges Mädchen, das sich selbst eine Frau genannt hat. Lebowitz scherzt, dass das Kind ein Mädchen und keine Frau sei. Auch wenn sich heute jede*r Frau nennen dürfe: selbst siebzigjährige Männer und Giraffen. Der verspottende Ton hat einen bitteren Beigeschmack, erinnert er doch an transfeindliche Kommentare.

Ähnlich polarisierend ist eine Passage aus der Folge „Bibliothek“. Allgemein ist dies eine der stärksten Folgen der Serie, da Lebowitz über ihre Leidenschaft für Bücher und das Lesen spricht und darin aufgeht. Doch bringt sie darüber hinaus unter anderem den Fall James Levine zur Sprache: Der amerikanische Dirigent und Komponist wurde 2017 wegen sexuellen Übergriffen an mehreren Männern angeklagt. Die Metropolitan Opera beendete die vierzigjährige Zusammenarbeit. Lebowitz unterstützt Levines’ Kündigung, doch spricht sie sich dafür aus, seine Kunst weiterhin zu konsumieren. Eine Ansicht, die bei manchen Zuschauer*innen für Gesprächsstoff sorgen dürfte.

Die Doku verursacht demnach gleich aus mehreren Gründen Bauchschmerzen. Einerseits, weil man sich vor Lachen krümmt. Andererseits, weil manche Aussagen der Kultfigur problematisch sind. Vielleicht macht das die Doku aber auch so wertvoll und gelungen: Scorsese will niemanden davon überzeugen, dass Lebowitz toll ist. Weder romantisiert er sie noch zieht er sie ins Lächerliche. Es geht mehr um Authentizität. An Scorseses Seite entdeckt das Publikum Lebowitz wie eine Stadt – ihre dunklen, dreckigen, schönen und leuchtend hellen Ecken.

Auf Netflix.

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