Mrs. Davis: Wundertüte aus Plot-Twists und Referenzen

Eine Nonne zieht in den Kampf gegen eine allmächtige künstliche Intelligenz namens „Mrs. Davis“. Auch wenn es nicht sofort erkennbar ist, bleibt Damon Lindelof, der die Serie zusammen mit Tara Hernandez geschaffen hat, seinem Stil treu.

Bei ihrem Versuch „Mrs. Davis“ auszuschalten, scheut Simone keine Müh’. (Foto: Peacock)

Auf den ersten Blick haben die Serien des US-amerikanischen Regisseurs und Drehbuchautors Damon Lindelof nur wenig gemeinsam. „Lost“ (2004 – 2010) handelt von einer Gruppe von Menschen, die nach einem Flugzeugabsturz auf einer mysteriösen Insel ums Überleben kämpfen. Bei „The Leftovers“ (2014 – 2017) geht es um ein katastrophales Ereignis, bei welchem sich 140 Millionen Menschen in Luft auflösen, und den Konsequenzen, die dies für die Hinterbliebenen hat. In „Watchmen“ (2019), einer Fortsetzung der 1986 gestarteten Graphic-Novel-Serie gleichen Namens, werden historische und fiktionale Elemente kombiniert, um den Umgang mit Rassismus in den USA zu analysieren. Und in „Mrs. Davis“ geht es um eine Nonne namens Simone (Betty Gilpin), die sich, gemeinsam mit ihrem Ex-Partner Wiley (Jake McDormand), dem Gründer einer Anti-KI-Resistenzgruppe, aufmacht, die übermächtige künstliche Intelligenz „Mrs. Davis“ abzuschalten.

Der Hauptgrund, weshalb die vier Serien so unterschiedlich wirken, ist der Schauplatz, an dem sie jeweils stattfinden. Jedes Mal erfindet Lindelof eine alternative Realität mit eigenen, sehr spezifischen Regeln. Der Filmemacher hat eine große Vorliebe für das Übernatürliche, was sich wesentlich auf die Bandbreite an möglichen Handlungsverläufen auswirkt. Diese Bandbreite ist bei jeder Produktion anders definiert: In „Lost“ reisen die Figuren durch die Zeit, in „The Leftovers“ ist es möglich, einen kurzen Abstecher ins Nachleben zu machen, in „Watchmen“ gibt es Superheld*innen und in „Mrs. Davis“ existiert besagte künstliche Intelligenz, die die Menschheit unentwegt berät und auf Missionen schickt.

Die surrealistischen Settings von Lindelofs Serien sind dabei nie reiner Selbstzweck. Vielmehr nutzt der Filmemacher sie, um philosophischen Fragen nachzugehen, nicht zuletzt derjenigen nach dem Sinn des Lebens. Die Protagonist*innen in Lindelofs Serien sind Teil von etwas Übergeordnetem, alles, was sie tun, hat weitreichende Folgen. Jede dieser Figuren scheint auf ihre Weise Ausdruck der Angst vor der eigenen Irrelevanz, der eigenen Sterblichkeit zu sein.

Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Lindelofs Produktionen ist der Input, auf den er jeweils zurückgreift: „The Leftovers“ und „Watchmen“ basieren auf literarischen Vorlagen, die originellen Ideen für „Lost“ und „Mrs. Davis“ arbeitete Lindelof dagegen jeweils zusammen mit einem sogenannten „Co-creator“ aus. Bei ersterer war das J.J. Abrams, bei letzterer Tara Hernandez, die zuvor Teil des Autor*innen-Teams hinter „The Big Bang Theory“ (2007 – 2029) und „Young Sheldon“ (2017 – 2024) war.

Mehr Comedy als Drama

Bisher waren Lindelofs Serien – allen voran „The Leftovers“ – für ihren tristen Tonfall bekannt. Trotz cleverer, teils humorvoller Dialoge waren die Produktionen zudem stets dem Drama-Genre zuzuordnen. Wich Lindelof davon ab, dann eher in Richtung Thriller oder Horror. „Mrs. Davis“ ist dagegen in erster Linie eine lustige Serie. Dass der Einfluss von Tara Hernandez damit zusammenhängt, ist mehr als wahrscheinlich.

An Anspruch steht „Mrs. Davis“ Lindelofs vorherigen Serien allerdings in nichts nach: Für Mainstreamproduktionen eher untypisch, wird die Geduld der Zuschauer*innen in den ersten drei Folgen – von denen jede eine Laufzeit von fast einer Stunde hat – gehörig auf die Probe gestellt. Vor allem die ersten Szenen wirken wie eine Aneinanderreihung unzusammenhängender Situationen, jede mit anderen Figurenkonstellationen. Von historischem Drama und Western über Survival-, Spionage-, Apokalypse- und Sci-Fi-Film bis hin zu Romanze und Road-Movie ist alles dabei. Die Sequenzen, bei denen sich der Handlungsverlauf wohl noch am leichtesten nachvollziehen lässt, spielen in dem Kloster, in welchem die Protagonistin anfangs lebt. Egal ob beim Gebet, der Erdbeerernte oder dem Baseballspielen: Simone scheint ein zufriedenes, unbeschwertes Leben zu führen. Doch auch hier häufen sich die unerklärlichen Vorfälle allmählich. Die Realität außerhalb des Klosters – zu welcher auch das komplizierte Verhältnis zu ihren Eltern zählt – wird Simone, so wird zumindest angedeutet, nicht mehr lange ausblenden können.

Zu sagen, worum es in „Mrs. Davis“ geht, fällt auch nach der zweiten oder dritten Folge noch schwer. Dennoch dürfte für die meisten spätestens zu dem Zeitpunkt klar sein, ob die Serie etwas für sie ist. Denn obwohl man hier noch einen dramaturgischen roten Faden vermisst: Dass hinter der Produktion Menschen stecken, die etwas von ihrem Handwerk verstehen, ist nicht zu übersehen. Auch wenn man noch nicht weiß, wo die Reise hingeht, so kann jede Sequenz zunächst als handwerklich einwandfrei umgesetzter Kurzfilm genossen werden.

Dass die Serie trotz haarsträubender Storyline, in die sich nur durch eine gewisse Anstrengung eine tiefere Bedeutung hineininterpretieren lässt, funktioniert, ist vor allem den Schauspielleistungen zu verdanken. Allen voran Betty Gilpin in der Rolle der Schwester Simone übertrifft sich in jeder der insgesamt acht Folgen selbst. Dabei wird ihr viel abverlangt, muss sie doch sowohl in Slapstick als auch in ernsten, dramatischeren Szenen überzeugen. Sich auf die Serie einzulassen, ist nur möglich, weil Gilpin vollen Einsatz zeigt. Dass sie eine vielseitig begabte Schauspielerin ist, dürfte Fans der Netflix-Produktion „Glow“ wohl kaum überraschen. In „Mrs. Davis“ stellt sie zusätzlich durch Mimik, Blicke und Tonfall ihr hervorragendes komödiantisches Timing unter Beweis.

Zunächst wirkt es so als enthielte „Mrs. Davis“ genug Ideen, um daraus drei unterhaltsame Serien herzustellen. Spätestens im Staffelfinale versteht man aber, wieso jedes Element ein unverzichtbares Puzzleteil innerhalb der Gesamterzählung darstellt. Wer also Geduld aufbringt, wird dafür belohnt. Wie so viele von Damon Lindelofs Serien ist auch „Mrs. Davis“ letztlich eine berührende Erzählung darüber, wie Menschen mit Trauma und Verlust umgehen.

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