Baugemeinschaften: Wer darf vom Mehrfamilienhaus träumen?

Letzte Woche lancierte die Stadt Luxemburg Projekte für Baugemeinschaften, die Mehrfamilienhäuser zum Eigengebrauch gestalten wollen. Eine Schnapsidee in Krisenzeiten?

Ungefähr so soll das Wohnbauprojekt (Mitte) in Bonnevoie am Ende aussehen. (Copyright: Ballinipitt)

Die Stadt Luxemburg hat es wieder getan: Nach einer ersten Ausschreibung bereits im Jahr 2017, können sich ab sofort und noch bis zum 12. Januar 2024 erneut Baugemeinschaften um städtische Grundstücke bewerben, auf denen sie ihren Traum eines Mehrfamilienhauses verwirklichen können. Standen vor sechs Jahren nur zwei Parzellen in Bonnevoie und Belair zur Verfügung, sind es heute vier: zwei in Hollerich und jeweils eine in Merl sowie in Neudorf/Weimershof. Bewerben dürfen sich nur Privatpersonen, die in keinster Form über ein Eigenheim, Bauland oder ein dem Eigentum ähnliches Nutzungsrecht für Wohnräume verfügen. Sie müssen sich zu Baugemeinschaften zusammenschließen, die sich dazu verpflichten, die Wohnräume dauerhaft zu bewohnen; eine Vermietung ist untersagt.

Das Projekt geht auf eine Initiative von DP und Déi Gréng zurück. François Benoy (Déi Gréng), Abgeordneter und Mitglied des hauptstädtischen Gemeinderats, erinnert sich im Gespräch mit der woxx an sein starkes Interesse für die erste Ausschreibung. „Bei der Einführung des Projekts gab es eine positive Dynamik. Es ist schade, dass dieser Elan gebrochen wurde und die blau-schwarze Majorität nicht schnell genug mit einer zweiten Ausschreibung nachgelegt hat“, kommentiert er den zweiten Aufruf. Der Zeitpunkt scheint nicht nur deshalb schlecht gewählt: Seit Jahren grassiert eine Wohnungskrise; der Bausektor und der Immobilienmarkt stecken seit der Pandemie in großen Schwierigkeiten; Privatpersonen erhalten aufgrund explodierender Zinssätze immer seltener Kredite bei der Bank oder geraten bei der Rückzahlung bestehender Darlehen in Bedrängnis.

Im Juli sprachen die Chambre des métiers (CDHM) und die Fédération des artisans (FDA) in einer gemeinsamen Pressemeldung von einer historischen Krise: Das autorisierte Bauvolumen sei im ersten Trimester 2023 um 33 Prozent gesunken; der Verkauf von neuen Wohnungen um satte 72 Prozent. So tief lag das Bauvolumen zuletzt 1987. Das entspricht konkret einem Verlust von 1.500 Wohnräumen und schätzungsweise 4.600 Arbeitsplätzen. Die CDHM und die FDA fordern Staat und Gemeinden dazu auf, Bauprojekte umzusetzen, besonders im Hinblick auf den öffentlichen Wohnbestand.

„Wir sind eben jetzt bereit, das Projekt zu starten“

Die Stadt Luxemburg schreibt derweil vier Projekte für bis zu 27 Wohnräume aus. „Die Vorbereitungen zur Projektausschreibung laufen seit Jahren, das sind langwierige Prozesse. Wir sind eben jetzt bereit, das Projekt zu starten“, verteidigt Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP) den Startpunkt der zweiten Ausschreibung. Natürlich sei sich die Stadt Luxemburg der diversen Krisen bewusst. Es würden sich trotzdem Menschen für das gemeinschaftliche Bauen interessieren und dem Bedürfnis wolle man nachkommen.

Bleiben die Kandidaturen aus, will die Gemeinde die Grundstücke für eigene Projekte nutzen. Warum das Bauland nicht gleich zur Konstruktion von sozialem oder erschwinglichem Wohnraum nutzen, der dringend benötigt wird? Polfer kontert mit einem Verweis auf die „vielen sozialen Wohnprojekte“, die die Stadt derzeit angeht. Der Stadt Luxemburg stehen eigenen Angaben nach 620 Wohnimmobilien zu erschwinglichen Preisen zur Verfügung. „Unser Hauptanliegen ist es, mit unterschiedlichen Wohnprojekten für soziale Diversität zu sorgen“, so Polfer. „Das gelingt durch die Umsetzung verschiedener Konzepte.“ Dazu gehöre der soziale Wohnungsbau genauso wie die Baugemeinschaften. Immerhin sei es wichtig, auch den privaten Wohnungsmarkt zu unterstützen, denn wenn dieser „huste“, gebe es ein Problem.

Die Baugemeinschaften können sich für ein Nutzungsrecht oder für den Kauf des Grundstücks entscheiden. Wählen sie die erste Option, bleibt das Bauland für 99 Jahre im Besitz der Stadt Luxemburg, die Nutzer*innen teilen sich jährlich die anfallenden Kosten. Hier liegt der Höchstbetrag in der aktuellen Ausschreibung bei insgesamt 32.800 Euro für das Nutzungsrecht des Grundstücks in Merl. Entscheiden sich die Baugemeinschaften hingegen für die Kaufoption – die Preise variieren von 1 bis zu über 3 Millionen – genießt die Gemeinde 30 Jahre lang ein Vorverkaufsrecht. Das heißt: Wollen die Besitzer*innen das Bauland und das Wohnhaus abgeben, müssen sie die Gemeinde zunächst formell darüber informieren und einen Kaufpreis vorschlagen. Die genauen Bestimmungen sind im „Cahier des charges“ vermerkt.

Diese Option gab es bereits 2017, genutzt hat sie jedoch keine der beiden Baugemeinschaften. Die Frage, warum sie dennoch angeboten wird, quittiert Polfer mit einer Gegenfrage: „Warum denn nicht?“ Fraglich ist, vor allem, weshalb die Gemeinde sich das Vorkaufsrecht nur für eine solche Frist einräumt. So droht sie nach deren Ablauf das Grundstück zu verlieren. Das bedeutet im Umkehrschluss weniger Bauland in öffentlicher Hand. Für Polfer ist das eine Angelegenheit, mit der sich die Gemeindeverwaltung zu gegebenem Zeitpunkt auseinandersetzen muss. Was in 30 Jahren passiere, könne jetzt niemand regeln oder vorausahnen. Auch das Nutzungsrecht erlösche nach 99 Jahren, hier müsse die Stadt langfristig den Überblick behalten.

Dies müssen aber auch die Baugemeinschaften, denn allein die Bewerbung setzt eine gewisse Expertise und finanzielle Rücklagen voraus: Dem Dossier sollen Angaben zum Konzept, aber auch erste Entwürfe zur Umsetzung sowie Finanzierungspläne beiliegen. Wurde ihnen eins der Grundstücke zugesprochen, gehen die einzelnen Mitglieder einen Vertrag mit der Stadt Luxemburg ein; untereinander müssen die Baugemeinschaften eine „société civile immobilière“ gründen und eine rechtliche Vereinbarung treffen.

Die Bewerber*innen müssen zudem jeweils 2.000 Euro Bearbeitungsgebühr an die Stadt Luxemburg zahlen, sobald sie ein Grundstück reserviert haben. Diese Kosten fallen nicht für die Gruppe, sondern pro Mitglied an. Damit soll unter anderem verhindert werden, dass sich Menschen bewerben, ohne sich das sorgfältig überlegt zu haben. „Es ist eine Garantie, dass die Baugruppe es ernst meint“, sagt Sonja Gengler, Chefarchitektin der Gemeinde Luxemburg. „Wenn die Baugemeinschaft schon an dieser Hürde scheitert, ist es schwer, das Projekt umzusetzen.“ Für Shaaf Milani-Nia, Leiterin des Service urbanisme der Gemeinde Luxemburg, dient die Bearbeitungsgebühr, die bei anderen Projekten nicht anfällt, aber auch der Entschädigung: Die Betreuung der Bewerber*innen, die Organisation der Ateliers – das alles stelle einen großen Aufwand für die Gemeindemitarbeiter*innen dar. Die Gebühr wird im weiteren Verlauf des Projekts allerdings zurückerstattet.

Foto: Canva

„Im Grunde geht es darum, ein breitgefächertes Angebot an Wohnkonzepten anzubieten, um jedem Zugang zu Wohnraum zu gewährleisten.“

Der Architekt Claude Ballini hat all das bereits hinter sich: Er bewarb sich 2017 erfolgreich mit einer Baugemeinschaft, bestehend aus drei Familien, auf das Grundstück in Bonnevoie. Bald soll das Mehrfamilienhaus für 12 Personen, verteilt auf drei Haushalte, stehen. Er tut sich schwer damit zu beantworten, wie kompliziert die Prozeduren sind. „Wir waren Vorläufer, deswegen ist es klar, dass wir auf administrative und juristische Hindernisse gestoßen sind“, sagt er. „Wir mussten unser Drehbuch selber schreiben. Damit haben wir den Hausgemeinschaften, die sich jetzt bewerben, hoffentlich den Weg geebnet.“ Es sei bei der Umsetzung eines solchen Projekts von Vorteil, Fachpersonal aus dem Bausektor oder dem Projektmanagement mit an Bord zu haben. „Was das Team nicht selbst mit an den Tisch bringt, muss hinzugezogen werden“, so Ballini. Ein Bauvorhaben bedeute Zeitaufwand und sei keine Freizeittätigkeit. Er begreift das Projekt, an dem er beteiligt ist, als Beweis, dass das Konzept aufgehen kann und es Banken gibt, die mitziehen. In Belair, dem zweiten Projekt, beginnt zwar erst jetzt der Bau, doch auch hier wurde das Projekt trotz diverser Hürden nie auf Eis gelegt.

Was die Ausgaben angeht, will Ballini keine genauen Zahlen nennen, weil das Projekt noch nicht abgeschlossen ist, doch selbstverständlich erfordere der Bau ein bestimmtes Budget. Auch Sonja Gengler kann im Gespräch mit der woxx keine Summe präzisieren. Sie nennt die Kreditfähigkeit der Baugemeinschaft und die Vorstellungen des Projekts als ausschlaggebende Faktoren. Die allgemeinen Ausgaben sollen jedoch schätzungsweise zwischen 15 und 20 Prozent geringer ausfallen als beim klassischen Wohnungs- und Häuserbau, immerhin erübrigen sich die Kosten für eine Agentur und die Bauträger*innen. Im besten Falle verfügt die Baugemeinschaft selbst über Kompetenzen in den unterschiedlichsten Bereichen, was Mehrkosten verhindert. Ballini hat einen weiteren Tipp, um die Kosten zu senken: „Die kompetente Koordination eines Bauprojekts ist eine nachhaltige Investition, die sich auf die Endkosten auswirken kann: Durch eine kluge Wahl der Baufirmen oder der Materialien lassen sich Kosten einsparen.“

Und doch lenkt das Gespräch über die benötigten finanziellen Rücklagen erneut den Blick auf die Zielgruppe, die die Ausschreibung der Stadt Luxemburg anvisiert. Menschen, die keine finanziellen Rücklagen haben oder gar in einer Notlage sind, können sich eine Teilnahme nicht leisten. Die sind aber auch nicht gemeint, wie Lydie Polfer zu verstehen gibt. Wer die Anforderungen für eine Sozialwohnung erfülle, gehöre zu einer anderen Klientel. „Die Ausschreibungen richten sich an Menschen, die für andere Wohnkonzepte welche die Stadt Luxemburg anbietet, nicht wahlfähig sind, jedoch nur schwer eine Wohnung auf dem freien Markt erwerben können“, präzisiert Shaaf Milani-Nia. „Im Grunde geht es darum, ein breitgefächertes Angebot an Wohnkonzepten anzubieten, um jedem Zugang zu Wohnraum zu gewährleisten.“ Auch was die finanziellen Mittel anginge, käme es ganz auf die Baugemeinschaften an. Im Ausland gebe es Projekte, bei denen wohlhabende und finanziell schwächer gestellte Menschen zusammenfänden. „Zwar verfügen die Haushalte mit mehr Budget dann über mehr private Wohnfläche, aber es gibt zum Beispiel eine gemeinsame Dachterrasse oder andere Gemeinschaftsräume, die alle nutzen können – unabhängig von ihrem Budget“, erklärt Milani-Nia. Am Ende sind die Projekte also so sozial, wie die Mitglieder ihrer Baugemeinschaften.

Womit wir wieder bei der Eingangsfrage sind: Wem nützt ein solches Projekt, ausgeschrieben von einer öffentlichen Institution, zu Krisenzeiten? François Benoy spricht den Baugemeinschaften eine bedeutende Rolle im Kampf gegen die Wohnungskrise zu. „Natürlich sind Baugemeinschaften nicht die einzige Antwort auf das gesamte Wohnungsproblem, aber sie sind ein wichtiges Puzzlestück. Die Gemeinde kann auf diese Weise Baulücken mobilisieren, die für eigene Projekte uninteressant sind.“ So könne sie sich auf größere Vorhaben konzentrieren und trotzdem Wohnraum schaffen. „Nein, das ist kein sozialer Wohnungsbau, aber durch die Zurverfügungstellung von Grundstücken können dennoch Menschen ihr Bauprojekt verwirklichen, die sonst nicht die Möglichkeit dazu hätten“, hebt Benoy hervor.

Die Stadt Luxemburg sieht sich in ihrem Vorhaben bestätigt, zumindest feiert sie die Edition von 2017 auf ihrer Website als Erfolg. Damals seien sieben Kandidaturen für zwei Grundstücke eingegangen. Angeblich soll auch das Interesse an den Informationsateliers im Rahmen der diesjährigen Ausschreibungen groß sein. Die Stadt Luxemburg bietet diese am 20. und am 28. September sowie am 4. Oktober an. Eine Anmeldung ist bis zu sieben Tage vor dem jeweiligen Termin möglich; die Workshops beginnen um 18 Uhr im Gebäude „Rocade“ (3, rue du Laboratoire).

Am Ende sind die Projekte also so sozial, wie die Mitglieder ihrer Baugemeinschaften.

Claude Ballini gibt der Gemeinde jedenfalls Recht, wenn sie von einem Erfolg spricht. Er zieht vor allem den Vergleich zu vorangehenden gemeinschaftlichen Bauprojekten, bei denen er mitgewirkt hat. „Eine Gemeinde braucht Mut, um diese Projekte zu lancieren.“ „Adhoc“, die erste Baugenossenschaft Luxemburgs, sei zum Beispiel mit vielen Gemeindeverwaltungen im Gespräch gewesen, die wenigsten hätten sich für ihr Konzept interessiert. Dort steht Wohnrecht statt Eigentum im Vordergrund. „Andere Gemeinden waren begeistert, haben aber trotzdem nichts in die Wege geleitet“, sagt Ballini. Durch die Ausschreibung der Stadt Luxemburg kämen jetzt endlich andere Bauträger*innen zum Zug.


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