Der letzte linke Kleingärtner, Teil 25: Un-Kraut vergeht nicht

Von unserer Partnerzeitung „Jungle World“ wird der letzte linke Kleingärtner im Dezember kompostiert. Bei uns wird seine Kolumne jedoch weiter gedeihen.

Eine glückliche Kuh? Traurige Kuhaugen jedenfalls hält der letzte linke Kleingärtner gar nicht gut aus. (Foto: Jens Brehl/CC BY-NC-SA 4.0)

Das große Finale rückt näher. Am 10. Dezember, am Tag der Menschenrechte, ist Schluss mit dieser Kolumne. Nein, nicht in der woxx, aber in deren Partnerzeitung „Jungle World“ aus Berlin, wo sie „Krauts und Rüben“ heißt. Ab dann bleibt das Feld des letzten linken Kleingärtners dort unbestellt und Teile der Linken überlassen die Agrarpolitik wieder den Ökos. Nach viereinhalb Jahren werde ich mit meiner Kolumne also zum Migranten, auf der Suche nach Asyl. Wo werde ich unterkommen, außer in der woxx? Wer wird mich aufnehmen?

Das alles sind Fragen, die die Welt bewegen. Ab sofort akzeptiere ich digitale und analoge Beileidsbekundungen, Worte der Anteilnahme sowie des Ausdrucks von Schmerz und großer Trauer über den großen Abschied aus dem kleinen Kosmos der deutschen Linken. Aber immerhin: Das Finale findet an einem großen Tag mit einem großen Thema statt. Den Menschenrechten. Das passt zu mir, da es meinem großen Thema, der Ernährung der Menschheit, ebenbürtig ist. Es geht um alles und dies global. Große Themen sind immer Chefsache, sonst wird daraus nichts. Und rechtzeitig vor dem Abschied des linken Kleingärtners regnet es wieder. Im Oktober sogar richtig ordentlich. Fast ist man geneigt, die letzten drei Jahre Trockenheit zu vergessen. Unsereins lässt sich gerne vom Zustand des Alltags blenden und vergisst schnell die 35 Monate kargen Rinnsals zuvor.

Als Kleingärtner lungere ich oft auf Bauernhöfen herum und schaue, ob dort alles seine Ordnung hat. Vieles hat sich in Sachen Tierhaltung deutlich zum Besseren entwickelt. Bei der von sensiblen Ökos kritisierten Anbindehaltung für Kühe, die in Bayern noch öfter vorkommt, ist das aber so eine Sache, die nur auf den ersten Blick eindeutig ist. Einerseits ist es schon richtig: Tiere sollten im Stall frei herumlaufen können und am besten viel Weidegang haben. Das ist bei den großen Bauernhöfen meist der Fall. Andererseits gibt es diese großen Höfe nur infolge kostspieliger Investitionen für neue Stallungen. Kleinere Betriebe, die am ehesten dem Ökoideal vom schnuckeligen Bauernhof nahekommen, können sich das nicht leisten. Wenn man diesen Widerspruch im eigenen alltäglichen Konsumverhalten nicht aushalten kann, hilft nur noch die Veganer- und Tierrechtsbewegungskeule, die alle Tierhaltung abschaffen möchte. Nein, da gehe ich nicht mit. Dafür bin ich zu konservativ, das ist mir alles zu radikal. Aber den Blick in die großen traurigen Augen der angebundenen Kuh möchte ich auch nicht aushalten.

Kühe mit Anbindehaltung oder ohne – die Diskussion darum ist ähnlich aufgeladen wie die, ob man Wölfe schießen soll oder nicht. Einerseits sind viele nette Verbraucher dafür, dass Kühe und Schafe so lange wie möglich auf der Weide grasen. Die gleichen netten Verbraucher sind aber ebenso dafür, dass Wölfe sich ausbreiten können und nicht geschossen werden dürfen. Wie beschränkt muss man sein, um nicht zu begreifen, dass dies ein Widerspruch ist? Ein Wolf oder ein Wolfsrudel werden sich immer an einer sich träge bewegenden Kuh oder einem Schaf schadlos halten. So eine wandelnde Fleischreserve ist doch viel bequemer zu fressen als zuvor mit zigfachem Kraftaufwand einem Reh hinterher zu hecheln. Ein Wolf ist ja nicht doof.

Kühe mit Anbindehaltung oder ohne – die Debatte darum ist ähnlich aufgeladen wie die, ob man Wölfe schießen soll oder nicht.

Also muss sich der nette Verbraucher entscheiden: Für die Kühe oder für die Wölfe. Dies macht er aber nicht und lässt stattdessen die Bauern die „Kohlen aus dem Feuer holen“ oder „die Zeche bezahlen“. Das ist Delegiertenprinzip.

Bin ich froh, dass ich solche Probleme in meinem kleingärtnerischen Kosmos nicht habe. Mir reicht es, meine fünf Hühner zu hegen und sie gegen Angriffe vom Boden durch Fuchs und Marder, sowie vor Angriffen aus der Luft durch Habicht und Bussard zu schützen. Und weil ich dies, wie so vieles andere, vorbildlich mache, beschenken sie mich täglich mit vier bis fünf Eiern.

Im Moment denken sie gar nicht daran, eine Pause einzulegen, die ihnen ihr Biorhythmus nahelegt. Mein leckeres Futter, das ich ihnen mit Hintergedanken zukommen lasse, mein charmanter Blick und ab und an zwei freundliche Worte sind verlockend genug. Solche Gesten möchte selbst das dümmste Huhn nicht missen, deshalb legt es Tag für Tag ein Ei. So soll es sein. Mit seinem Hühnermist macht das Federvieh mir noch ein weiteres großes Geschenk. Den arbeite ich seit Beginn des Jahres nicht mehr über den Umweg Kompost in den Gartenboden ein, sondern streue ihn direkt auf die abgeernteten Beete. Und siehe da, ich hatte noch nie so große Rote-Bete-Kugeln wie dieses Jahr und noch nie so üppige Kohlrabi sowie Weiß- und Grünkohlpflanzen. Das gleiche gilt für die Endivien- und Frisée-Salate. Wenn die Klimaerwärmung schon weiter wäre, würde der Winterfrost ausfallen und ich könnte den ganzen Winter über Salate und Mangold ernten.

Von all dem werden die Leser der „Jungle World“ nach dem großen Finale im Dezember nichts mehr erfahren. Die Folgen sind vorhersehbar. Die Bildungslücke in Sachen Ernährung und Pflanzenanbau wird Jahr für Jahr größer werden. Clevere und geschäftstüchtige NGOs werden bald Bezahlseminare anbieten, für die zu bloßen Verbrauchern herabgesunkenen Leser des agrarpolitisch verwaisten Blatts. Kinder bezahlen die Hälfte. Soll ich eigentlich bei meinem deutschen Abgang im Dezember das Corona-Virus mitnehmen? Ich bin ja für die großen Themen und die ganze Menschheit zuständig. Wäre dies eine Idee? Dann hätte mein Abgang noch etwas Gutes.


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