Noch vor Jahresende könnte das umstrittene Freihandelsabkommen mit Mercosur im EU-Rat abgestimmt werden. Umweltschutz-NGOs fordern die Ablehnung des Abkommens, das seit 25 Jahren verhandelt wird.

Im abgegrenzten Gebiet des Nambikwara-Volkes breitet sich der Bergbau weiterhin illegal aus. Wird das Abkommen ratifiziert, könnte die Abholzungsrate im Amazonasgebiet um rund fünf Prozent im Jahr steigen, warnt der brasilianische Verbund indigener Bevölkerungsgruppen „Apib“. (Foto: Fabio Bispo/Greenpeace).
Die EU-Kommission versucht mit einer Änderung des Abstimmungsprozesses das EU-Mercosur-Freihandelsabkommen so schnell wie möglich in Kraft zu setzen, obwohl es seit langem Kritik von Umwelt-NGOs und Landwirtschaftsverbänden gibt. Seit Ende der 1990er-Jahre verhandelt die EU mit den vier Mercosur-Ländern Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay über das Vertragswerk. Vorgesehen sind Zollausnahmen und -senkungen bei über 90 Prozent der Waren sowie eine erhöhte Importanzahl von bestimmten Produkten wie Rindfleisch. Nun betont die Kommissionspräsidentin, das Abkommen sei nötig, um unabhängiger von Importen aus China – allen voran seltene Erden wie Lithium, die für den Ausbau erneuerbarer Energien gebraucht werden – zu werden und die EU-Wirtschaft zu stärken.
Solche Argumente überzeugen die NGOs nicht. Ein Wirtschaftsaufschwung etwa sei nicht zu erwarten, so Lis Cunha, die Expertin für europäische Handelspolitik bei Greenpeace Luxemburg gegenüber der woxx: „Selbst die EU-Kommission schätzt, das Abkommen werde bis 2040 nur zu 0,05 Prozent BIP-Wachstum innerhalb der EU führen.“ Die Kommission reagiere auf den Druck von Konzernen wie dem Fleischgiganten JBS, deren Holdinggesellschaften einen Sitz in Luxemburg haben. Vor allem die europäischen Automobil- und Chemieindustrien hoffen auf neue Exportmärkte. Heute schon exportiert die EU Pestizide, deren Einsatz sie selbst verboten hat, nach Lateinamerika. Die Lebensmittel landen dann – kontaminiert mit Pestizidrückständen – auf den Tellern von EU-Konsument*innen, wie eine Greenpeace-Recherche zeigt.
Für die NGO stellt das Abkommen deshalb eine „unmittelbare Bedrohung für die Ernährungssouveränität und das Klima“ dar. Sie warnt vor mehr Abholzung, mehr Treibhausgas- emissionen und mehr Verletzungen der Menschenrechte indigener Bevölkerungsgruppen. Am vergangenen Dienstag übergab Greenpeace deshalb dem Außenministerium eine Petition, mit bisher 1.122 Unterschriften. Sie fordert die Ablehnung des Abkommens und den unmittelbaren Schutz der Wälder. Die 2023 abgestimmte EU-Entwaldungsverordnung ist Anfang Dezember zum zweiten Mal um ein Jahr verschoben worden.
Auch europäische Landwirtschaftsverbände sind besorgt. Sie befürchten, mit den Lebensmitteln, deren Herstellung keine EU-Normen einhalten muss, nicht mithalten zu können. Die EU-Kommission hat deswegen vor einigen Monaten strengere Normen und Schutzgarantien für europäische Landwirt*innen in den Text eingebracht – nicht zuletzt weil Mitgliedstaaten wie Frankreich dies als Bedingung für ihre Zustimmung des Abkommens stellen. Das europäische Parlament soll am kommenden 16. Dezember über die Änderungen abstimmen.
Abstimmung ohne Vetorecht

„Das Ministerium hat deutlich gemacht, dass Luxemburg das Abkommen als positiv sieht, trotz unserer Sorgen um die Auswirkungen auf die Umwelt, die indigenen Menschen und das Klima“, so Lis Cunha von Greenpeace nach dem Überreichen der Petition an einen Beamten des Außenministeriums. (Copyright: Anaïs Hector und Lara d’Antonio/Greenpeace)
Im Gegensatz zu Luxemburg sind einige Mitgliedstaaten wie Polen und Irland dennoch weiterhin gegen das Abkommen. Eigentlich bräuchte es für dessen Abstimmung eine Einstimmigkeit. Im September hat die Kommission jedoch den Text in zwei geteilt: in einen Handelsteil und einen mit den politischen Details. Im Rat der EU kann der erste Teil nun schon mit einer Mehrheit von 15 Staaten, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, abgestimmt werden, was das Vetorecht der einzelnen Mitgliedstaaten aushebelt.
Diese Strategie kritisieren NGOs stark, die auch die mangelnde Transparenz der Verhandlungen bemängeln. Noch stehe kein offizielles Datum für die Abstimmung im Rat fest, so Cunha. Zwar findet vom 18. bis zum 19. Dezember ein EU-Gipfeltreffen statt. Doch „normalerweise ist das nicht die Art von Gipfel, wo über ein Handelsabkommen abgestimmt wird“, sagt die Expertin. „Das könnte aber ausnahmsweise passieren.“ Sollte eine Mehrheit des Rates sich vor Jahresende für das Abkommen entscheiden, wird danach das europäische Parlament abstimmen. Hier sei die Mehrheit dagegen, obschon „rund hundert Abgeordnete“ noch unentschieden seien, so Cunha. Eine vergangene Abstimmung zeige, dass von den sechs luxemburgischen EU-Abgeordneten nur Tilly Metz (déi gréng) gegen das Abkommen sei. Wird der Text abgestimmt, müssen die nationalen Parlamente das Abkommen noch ratifizieren – also auch die Chamber.

