EU-Migrationspakt: Im Panikraum

Ein neuer Pakt soll den migrationspolitischen Dauerstreit zwischen den EU-Mitgliedsstaaten beenden. Morgen wird der Entwurf in Brüssel vorgestellt.

Stecken als Resultat des EU-Türkei-Deals auf Lesbos fest: Flüchtlinge im neu aufgebauten Lager Moria. (Foto: Mora White Helmets)

Als Haus mit drei Stockwerken solle man sich die EU vorstellen. So hat Margaritis Schinas den Entwurf für einen neuen EU-Migrationspakt zu veranschaulichen versucht, der morgen in Brüssel vorgestellt wird. „Der erste Stock verfügt über einen großen Außenbereich, eingerahmt durch Abkommen mit verschiedenen Herkunfts- und Transitländern, um die Menschen für ein besseres Leben in ihren Ländern zu halten“, sagte der Vizepräsident der EU-Kommission Mitte September vor Journalist*innen. Der zweite Stock bestehe aus einem robusten, besser ausgestatteten Grenzschutzsystem, der dritte aus einem System „permanenter und effektiver Solidarität“. Das so beschriebene Haus wirkt alles andere als einladend, eher wie eine Mischung aus Festung und Panikraum, und so ist es wohl auch gedacht.

Etwas positiver nuancierte Ursula von der Leyen das Vorhaben, das unter anderem die sogenannten Dubliner Abkommen ersetzen soll, in ihrer Rede zur Lage der Union in der vergangenen Woche. Eine „humanere Herangehensweise“ in der Migrationspolitik versprach die EU-Kommissionspräsidentin. So sei beispielsweise die Seenotrettung keinesfalls „optional“. Was genau das bedeutet, ließ sie indes offen. Konkreter wurde sie vor allem dort, wo es darum ging, unerwünschte Besucher*innen des von Schinas beschriebenen Hauses zur Tür zu begleiten: „Wir werden eine engere Verzahnung von Asyl und Rückkehr sicherstellen“, sagte sie. „Wir müssen klar unterscheiden zwischen denen, die das Recht zu bleiben haben und denen, die dieses Recht nicht haben.“ Unter anderem ist offenbar geplant, im Fall eines ablehnenden Asylbescheids möglichst unmittelbar die Abschiebung der betreffenden Personen in die Wege zu leiten. Auch „freiheitsbeschränkende Maßnahmen“ seien während eines entsprechenden Prüfungsverfahrens denkbar, so die deutsche Bundesregierung, die derzeit den Vorsitz im Europäischen Rat innehat.

Die neuen Vorschläge für eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) sollen die Pläne der EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker ersetzen, die vor allem an der Verteilung der Flüchtlinge gescheitert waren. Länder wie Ungarn, die sich strikt weigern, Schutzsuchende aufzunehmen, dürfen nun womöglich ihre „Solidarität“ zumindest teilweise auf anderem Wege demonstrieren, etwa durch ein verstärktes Engagement zur Sicherung der EU-Außengrenzen. Zwar sei die Umsiedlung von Flüchtlingen ein wichtiger Bestandteil des neuen Migrationspakts, es müsse jedoch ein Weg gefunden werden, der für alle Mitgliedsstaaten akzeptabel sei, so die zuständige EU-Kommissarin Ylva Johansson vorige Woche gegenüber der Presse.

„Drecksarbeit vor den Grenzen Europas“

“Wir werden Schmuggler [von Flüchtlingen; Anm. d. Red.] bekämpfen, die Außengrenzen stärken, die Partnerschaften mit Drittländern vertiefen und legale Zugangswege schaffen“, hatte Kommissionspräsidentin von der Leyen in ihrer Rede angekündigt und damit die von Schinas dargestellte „Architektur“ bestätigt. Neben dem bereits angekündigten Ausbau der Grenzschutzagentur Frontex und einer an den Bedürfnissen des europäischen Arbeitsmarktes orientierten Einwanderungspolitik bedeutet das offenbar weitere Bündnisse nach dem Vorbild der Kooperation mit Libyen und der Türkei.

Zwar wurden die Details des Entwurfs bis zuletzt erfolgreich unter Verschluss gehalten, dennoch wird der geplante EU-Migrationspakt von Menschenrechtsorganisationen bereits scharf kritisiert. Die sich andeutende Regelung erlaube, dass sich „Staaten, die sich dem Gedanken der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet fühlen, die Hände waschen und die Drecksarbeit vor den Grenzen Europas auslagern und durch Staaten wie Ungarn ausführen lassen”, sagte etwa Günther Burkhardt, Geschäftsführer von „Pro Asyl“, gegenüber dem Nachrichtenportal „Euractiv“.

Tatsächlich hat die EU in den vergangenen Monaten die Zusammenarbeit mit Libyen weiter ausgebaut. Durch die Ausrüstung und Ausbildung der umstrittenen libyschen Küstenwache soll verhindert werden, dass Migrant*innen und Flüchtlinge von dort aus versuchen, in die Europäische Union zu gelangen. Der Küstenwache wird unter anderem vorgeworfen, Flüchtlinge, die aus Seenot gerettet wurden, in die berüchtigten libyschen Lager zu bringen, wo regelmäßig von gesundheitlicher Verwahrlosung, Folter, Vergewaltigung, Sklavenarbeit und auch Erpressung der Familienangehörigen der dort Internierten berichtet wird.

Die Zustände im zuletzt abgebrannten und derzeit neu aufgebauten Flüchtlingslager Moria auf Lesbos wiederum gehen auf den sogenannten Türkei-Deal der EU zurück. Er hatte unter anderem zum Inhalt, „irregulär“ nach Griechenland und damit in die EU geflüchtete Migrant*innen in die als sicheres Drittland eingestufte Türkei zurückzuführen und dafür die selbe Anzahl syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge aus der Türkei in die Mitgliedsstaaten der EU zu überführen. „In Moria ist das EU-Türkei-Abkommen mit seinem Hotspot-Ansatz krachend gescheitert“, schrieb hierzu Ramona Lenz von der Menschenrechtsorganisation „medico international“ in einem Kommentar. „Dennoch wird dieser Deal immer wieder als Blaupause für ähnliche Abkommen mit anderen Ländern gehandelt.“ Der EU-Migrationspakt könnte diese Entwicklung weiter untermauern.

In der Printausgabe von kommendem Freitag berichten wir über den EU-Migrationspakt, der morgen in Brüssel vorgestellt wird.


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