Fall Monica Semedo: Fehler, Ablenkung, Schlammschlacht

In den vergangenen Wochen haben sich weder Monica Semedo noch die DP mit Ruhm bekleckert. Die Problematiken, die dadurch zutage befördert wurden, sind vielfältig. Umso wichtiger, sie nicht gegeneinander auszuspielen.

Von positiver Presse wie nach den Europawahlen 2019 kann die DP aktuell nur träumen. 
Ihre Fehler in der Affäre 
Monica Semedo wird sie jetzt erst mal wieder ausbügeln müssen. (Fotos © DP)

In den knapp zwei Wochen seit der Sanktionierung der EU-Abgeordneten Monica Semedo war die Kommunikation der Demokratischen Partei (DP), um es gelinde auszudrücken, chaotisch. Innerhalb weniger Tage wurde der Fall für beendet erklärt, eine eingehende Analyse angekündigt, zur Ruhe aufgerufen und ein Gutachten des „Comité des sages“ bezüglich der Mitgliedschaft Semedos in der DP angefragt. Noch bevor man allerdings fertig war, sich angesichts dieser haarsträubenden Entwicklungen die Augen zu reiben, kam schon die nächste Neuigkeit: Am Dienstag kündigte Semedo öffentlich ihre DP-Mitgliedschaft, weil sie in ihrer Partei keinen Rückhalt mehr habe. Am Mittwoch reagierte diese darauf mit einer Pressemitteilung und drückte ihr Bedauern darüber aus, dass Semedo den Dialog abgebrochen habe. Die EU-Parlamentarierin ihrerseits hatte in ihrem Facebook-Post geschrieben, sich demnächst in einem Interview zu der Angelegenheit äußern zu wollen. Nach zahlreichen Fehlgriffen beider Seiten deutet sich nun also auch noch eine öffentliche Schlammschlacht an.

Um die rezentesten Geschehnisse besser einordnen zu können, ist es hilfreich, einige wichtige Etappen der letzten beiden Wochen Revue passieren zu lassen. Die wohl hervorstechendste war das Video, das die DP Anfang dieser Woche veröffentlichte, in dem DP-Präsidentin Corinne Cahen und DP-Generalsekretär Claude Lamberty den erwähnten Weisenrat ins Spiel brachten. „Mir akzeptéieren net, dass een op senger Aarbechtsplaz harceléiert gëtt“, betonte darin Cahen. Anders als davor, blieb es diesmal nicht bei einer pauschalen Verurteilung von Mobbing. „Et ass fir d’DP inakzeptabel, dass déi fréier Assistente vum Monica Semedo mental sou ënner Drock gesat goufen, datt sie allen dräi démissionnéiert hunn.“ Solange der „Comité des sages“ keine Entscheidung gefällt habe, so Cahen weiter, dürfe Semedo nicht mehr an Parteigremien teilnehmen. Abschließend hob Lamberty hervor, dass Semedo nicht nur eine Politikerin, sondern auch ein Mensch sei, und die DP niemanden fallen lasse, ohne „in Ruhe und mit den zuständigen Gremien gesprochen zu haben“. Er verurteilte die rassistischen Beleidigungen gegenüber Semedo infolge ihrer Sanktionierung.

So überfällig diese Ankündigung auch war: Sie erfolgte zu spät und vermittelte den Eindruck, dass man erst Reaktionen von Öffentlichkeit und Presse hatte abwarten wollen. Wenn Lamberty von den „Werten der DP“ spricht, derentwegen der Weisenrat einberufen wurde, fragt sich: Wie stand es um ebendiese Werte als er die Affäre eine Woche zuvor kleinredete und für abgeschlossen erklärte?

Frau Semedo ist arm dran

In einigen zentralen Punkten blieb die DP mit dem Video ihrer Linie der Tage zuvor jedoch treu. Das betrifft zum einen die Hervorhebung der Opferposition Semedos. So spricht Lamberty im Video vom „Gegenmobbing“, das diese in den Tagen nach ihrer Sanktionierung erfahren habe. Ein Shitstorm von einer Woche ist aber kein Mobbing – schon gar kein „Gegenmobbing“, was auch immer das sein soll. Hier wird auf künstliche Weise versucht, Parallelen herzustellen, wo keine sind.

Am vergangenen Freitag war auch schon Xavier Bettel diese Schiene gefahren: Man müsse jetzt ein wenig Ruhe einkehren lassen, Semedo sei momentan „am Boden“. War das Beharren Bettels auf dem Gemütszustand Semedos vordergründig ein Appell an Nachsichtigkeit gegenüber Semedo einerseits und Geduld bezüglich einer klaren Stellungnahme der Partei andererseits, so hatte es im Rahmen der Pressekonferenz am Freitag noch einen anderen Effekt: Die Aussage fiel als Reaktion auf die Frage von 100,7-Journalistin Michèle Sinner, ob er als Premierminister es tragbar finde, dass Semedo das Amt einer EU-Abgeordneten für die DP bekleide und ob man dadurch nicht Mobbing billige. Daraufhin rang Bettel zwei Minuten lang nach Worten, bevor er die schlechte Verfassung Semedos mit Nachdruck betonte. Gegenüber Bettels einfühlsamen, beschützenden Worten konnte weiteres Nachhaken der Journalist*innen nur kaltblütig und rücksichtslos wirken.

In der Mitteilung, in der sie ihre Mitgliedschaft kündigte, bediente auch Semedo diese Diskursverschiebung: Sie verlässt die Partei nicht, um dieser nicht weiter zu schaden, sondern weil sie sich von ihr im Stich gelassen fühlt. Wenig verwunderlich versucht sie von ihrem eigenen Fehlverhalten abzulenken, indem sie jenes der DP hervorhebt.

Doch zurück zum DP-Video: Stirnrunzeln verursacht auch die Ankündigung, mit den zuständigen Gremien reden zu wollen. Erst einmal wird nicht präzisiert, von welchen Gremien die Rede ist. Dass damit der „Comité des sages“ gemeint ist, ist klar. Aber falls auch das Vorhaben bestand, mit dem Anti-Mobbing-Rat des Europaparlaments zu reden, stellt sich die Frage: wieso?

Kein Einblick ins Dossier

Bezüglich letzterem wurde in den letzten Tagen immer wieder eine gewisse Skepsis geschürt. Unter anderem auch von Xavier Bettel. Er respektiere zwar die Entscheidung, Semedo zu sanktionieren, könne aber nichts Abschließendes über den Fall sagen, da ihm der Inhalt des Berichts, der dieser zugrunde liege, nicht bekannt sei.

Nun ist es durchaus berechtigt, die Kompetenzen oder die Zusammenstellung solcher Anti-Belästigungsgremien in Frage zu stellen. Nur weil ein Komitee auf eine bestimmte Weise funktioniert, heißt das nicht, dass kein Besserungsbedarf besteht. So kann man kritisieren, dass bei Mobbingvorwürfen im Europaparlament kein Audit durch externe Expert*innen erfolgt, sondern eine Gruppe aus Parlamentarier*innen und Assistent*innen die Untersuchung vornehmen.

Vorerst gilt aber: Der Anti-Mobbing-Rat des EU-Parlaments behandelt die zusammengetragenen Beweismittel und Aussagen berechtigterweise vertraulich, Außenstehenden bleibt also nichts anderes übrig, als seiner Analyse zu vertrauen. Gäbe es gute Gründe dies nicht zu tun, hätte eine solche Instanz keine Existenzberechtigung.

Letztendlich dominiert der Eindruck, dass der Verweis der DP auf diffuse Gremien nur erfolgte, um auf Zeit zu spielen. Man musste ja irgendwie rechtfertigen, dass man immer noch keine klare Ansage gemacht hatte.

Zweite Chance

Im Kommuniqué der DP vom Mittwoch wird zweimal das Wort „Chance“ benutzt. Einmal geht es darum, dass Semedo dem Dialog sowie ihrer einstigen Partei keine Chance gelassen habe. Wozu genau, wird nicht präzisiert. Das andere Mal steht es in folgendem Satz: „D’DP ass och eng Partei, déi jidderengem eng Chance gëtt a keen einfach fale léisst“. Auch hier ist unklar, worauf sich „Chance“ genau bezieht. In Kombination mit dem zweiten Teil des Satzes könnte man interpretieren, dass es um das geht, was gemeinhin als „zweite Chance“ bezeichnet wird.

Generell spricht nichts dagegen, Menschen die Gelegenheit zu geben, aus ihren Fehlern zu lernen. Auch gewählten Volksvertreter*innen wird immer wieder dieses Recht zugestanden. Sie nach jedem Fauxpas abzustrafen oder doch zumindest abzuschreiben, würde wahrscheinlich niemandem helfen. Dennoch ist es wichtig, bei Forderungen nach einer solchen zweiten Chance, die Art und Schwere der Vorwürfe zu berücksichtigen. Im Falle von Monica Semedo – monatelang währender, potenziell strafbarer Umgang mit Assistent*innen – birgt der Aspekt der zweiten Chance doch eine gewisse Absurdität. Mobbing ist per Definition ein Verhaltensmuster, das systematisch und über einen längeren Zeitraum erfolgt, mit dem Ziel, die Empfänger*innen einzuschüchtern. Jede Arbeitswoche erhielt Semedo eine erneute Chance, sich zu bessern – eine Chance, die sie offenbar nicht ergriff.

Man könnte es auch so sehen: Nach der Sanktionierung war ihre Stellungnahme eine Chance, um zu zeigen, dass sie sich ausgiebig mit ihrem Fehlverhalten auseinandergesetzt und daraus gelernt hatte. Davon war allerdings nichts zu erkennen. Es stellt sich nach wie vor die Frage: Hat sie in den vergangenen Monaten an einem Präventionstraining gegen Belästigung am Arbeitsplatz teilgenommen, die das Europaparlament für Abgeordnete anbietet? Hatte sie sich bereits bei ihren früheren Assistent*innen entschuldigt, bevor die öffentlich gemachte Sanktionierung ihr keine andere Wahl mehr ließ? Wieso verliert sie in ihrer Mitteilung kein Wort über deren Wohlergehen? Abgesehen davon, dass sich die DP in den nächsten Tagen und Wochen ausgiebig mit ihrem Versagen in dieser Affäre wird auseinandersetzen müssen, ist auch für Semedo ein Strategiewechsel nötig, wenn sie ihr Gesicht wahren will.

Es wäre wichtig alle drei Diskussionen zu führen: Die über Semedos Verhalten, die über die Reaktionen der DP und die über die rassistischen Kommentare gegenüber der EU-Abgeordneten. Weder ist es sinnvoll all diese Themen zu vermischen, noch sollte zugelassen werden, dass das eine je nach Interessenlage gegen das andere ausgespielt wird.


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