Fall Monica Semedo: Gewalt und Machtmissbrauch

Auf die Sanktionierung der EU-Parlamentarierin Monica Semedo haben manche Medien und Politiker*innen mit verharmlosenden Kommentaren reagiert. Damit füttern sie verbreitete Fehldarstellungen psychologischer Gewalt.

Foto : dp.lu

Am Montag wurde die luxemburgische EU-Abgeordnete Monica Semedo für 15 Tage suspendiert. Sie darf in dieser Zeit zwar noch an Abstimmungen teilnehmen, nicht aber an Sitzungen des Plenums sowie an Ausschüssen. Zudem erhält sie kein Tagesgeld. Der Vorwurf: psychologische Belästigung gegenüber ihren früheren Assistent*innen. Die drei – zwei Frauen und ein Mann – hatten Anfang 2020 gekündigt, sechs Monate nach ihrer Einstellung. Die anschließende Untersuchung eines hausinternen Anti-Belästigungs-Gremiums sowie eine Anhörung der Beschuldigten dienten dem Präsidenten des EU-Parlaments, David Sassoli, als Basis für seine am Montag verkündigte Entscheidung.

Die offiziell kommunizierten Informationen gehen nicht darüber hinaus, Details zu den vorgebrachten Vorwürfen gibt es keine. Semedo ihrerseits verzichtet auf die Möglichkeit, gegen die Sanktion Berufung einzulegen, wie sie in einer Stellungnahme mitteilte. In dem Schreiben entschuldigte sie sich zudem bei ihren ehemaligen Assistent*innen, äußerte Bedauern gegenüber den „unüberwindbaren Spannungen“ und betonte, wie gut sich die Zusammenarbeit mit ihren gegenwärtigen Assistent*innen gestalte.

Der Text war im Endeffekt vielmehr Rechtfertigung als Entschuldigung. Das befanden zumindest die Femmes socialistes, warfen sie Semedo in einem Presseschreiben doch Victim Blaming vor. So hatte die Parlamentarierin in ihrem Schreiben die „Spannungen“ damit erklärt, dass ihre Assistent*innen ihren hohen Anforderungen nicht gerecht geworden seien. Sie implizierte damit, dass die Inkompetenz ihrer Mitarbeiter*innen sie zu ihrem Verhalten veranlasst habe.

Im Gegensatz zu den Femmes socialistes scheinen andere sich weniger an Semedos Haltung zu stören. Zahlreiche Medien übernahmen kritiklos ihre Behauptung, sich entschuldigt zu haben. DP-Generalsekretär Claude Lamberty bekräftigte RTL gegenüber die Darstellung, nach welcher es zwischen Semedo und ihrem Team „Spannungen“ gegeben habe. Mit ihrer Entschuldigung sei der Fall nun abgeschlossen.

Ein wirkliches Bewusstsein für die schwere der Vorwürfe ist an diesen Reaktionen nicht erkennbar. Auch die unterlassenen Stellungnahmen zeugen von der Unfähigkeit, angemessen auf den Vorfall zu reagieren. Es ist unverständlich, warum die DP nicht am Montag bereits eine parteiübergreifende Position parat hatte. Es geht ums Prinzip: Solange die DP das Verhalten Semedos nicht verurteilt, verharmlost sie es. Um sich bewusst zu werden, wie gefährlich das ist, braucht man sich nur die diversen Leser*innen-Kommentare zum Fall durchzulesen. Hier wird davon gesprochen, dass Semedo Luxemburg blamiert habe, einige tun kund, sie schon immer unsympathisch und inkompetent gefunden zu haben. Andere ziehen ihren Fall heran, um den Rückgriff vieler Parteien auf VIP-Kandidat*innen mit wenig bis keiner Politikerfahrung in Frage zu stellen.

Das alles tut aber nichts zur Sache: Psychologische Belästigung hat nichts mit einem Mangel an Charisma oder Kompetenzen zu tun, wer sie begeht, hat sich nicht blamiert. Psychologische Belästigung ist eine Form von Gewalt, findet sie gegenüber Untergebenen statt, handelt es sich schlicht um Machtmissbrauch. Bezögen sich die Vorwürfe auf Semedos inhaltliche Leistungen, wäre es durchaus legitim, einen Kausalzusammenhang zu ihren Qualifikationen zu ziehen. Anders verhält es sich bei dem aktuellen Fall: Man fängt nicht automatisch an andere zu mobben, nur weil man überfordert ist.

Selbst wenn ihre Entschuldigung aufrichtig gewesen wäre, stellt sich die Frage nach deren Wert. Monatelanges Mobbing sind kein Patzer, da steckt System dahinter. Sowohl Politik als auch Medien sollten jetzt der kollektiven Verharmlosung psychologischer Gewalt entgegensteuern. Wer signalisieren will, das Problem ernst zu nehmen, sollte Position beziehen, die Dinge beim Namen nennen und jegliche Euphemismen unterlassen. Mobbing ist genauso wenig mit Spannungen gleichzusetzen, wie der ungewollte Blumenstrauß vom Ex mit einer romantischen Geste oder eine Vergewaltigung mit Sex. Was bringt es, sich von jeder Form von Mobbing zu distanzieren, wie Claude Lamberty es auf Twitter formulierte, wenn damit keine Distanzierung von der Person, die sie ausgeübt hat, einhergeht?


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