Farbe des Carnet de santé: Eine Lappalie für die Ministerinnen?

Der Abgeordnete François Benoy (déi Gréng) stößt sich an den „Carnet de santé“ in rosa und blau: Für ihn zementiert das Farbschema Geschlechterstereotypen. Die darauf angesprochenen Ministerinnen Paulette Lenert und Taina Bofferding treten mit ihren Antworten auf Benoys parlamentarische Anfrage zum Thema von einem Fettnäpfchen ins nächste.

In den 1990er-Jahren erstrahlte auch das Carnet médical scolaire für die „filles“ in rosa. COPYRIGHT: Isabel Spigarelli/woxx

Eine der längsten Schlachten im Kampf um die neutrale Darstellung von Geschlecht und Gender wird im Farbtopf ausgetragen: Die Welt von Mädchen wird oft in rosa, die von Jungen in blaue Töne getaucht – und das beginnt laut dem Abgeordneten François Benoy schon auf der Geburtenstation im Krankenhaus.

In einer parlamentarischen Anfrage an die Gesundheitsministerin Paulette Lenert und an die Gleichstellungsministerin Taina Bofferding störte sich der Grünen-Politiker an dem „Carnet de santé“: Eltern von Babys mit weiblichem Geschlecht erhalten nach der Geburt ein rosafarbenes und die von Babys mit männlichem Geschlecht ein blaues Heft mit ersten Angaben zur Gesundheit des Kindes.

Benoy spricht in seinem Schreiben an die Ministerinnen von einer Gewohnheit, die sexistische Stereotypen bekräftigt. Außerdem würde dieses binäre Geschlechtermodell intersex Kinder ausschließen. Der Abgeordnete schlägt als Alternative die Einführung eines neutralen „Carnet de santé“ vor.

Die Problematik, die Benoy aufwirft, scheint die Ministerinnen bisher nicht beschäftigt zu haben oder sie nicht zu interessieren: Ihre Antworten sind ausweichend, um nicht zu sagen am Ziel vorbei.

Auf die Frage, ob sie Benoys Ansicht teilen, dass die zweifarbigen „Carnet de santé“ Stereotypen reproduzieren, antworten sie mit einem Verweis auf die Bemühungen der Regierung um Geschlechterparität. „La naissance d’un enfant constitue un moment propice pour sensibiliser les parents la thématique de l’égalité“, schließen sie ihre Antwort ab. Ob sie Benoys Einschätzung damit bejahen oder verneinen ist Interpretationssache.

Statt wenige Zeilen weiter sofort auf Benoys Vorschlag eines „Carnet de santé unique“ einzugehen gibt es für den Abgeordneten zunächst Nachhilfe in luxemburgischer Gesetzesschreibung. Das Heftchen gebe es seit 1977, schreiben die Ministerinnen. Es sei im Zuge eines Gesetzes eingeführt worden, das die medizinische Kontrolle von Schwangeren und Kleinkindern etablierte sowie die bestehende Gesetzgebung zur Geburtsbeihilfe abänderte. Das Gesetz wurde 2008 wieder aufgehoben. Die Anordnung der Untersuchung schwangerer Personen, die von Kleinkindern und das „Carnet de santé“ sind aber nach wie vor im Code de la sécurité sociale verankert.

Später heißt es, die Einführung eines „Carnet de santé unique“ würde inhaltliche Veränderungen mit sich bringen. Dabei geht Benoy in seiner Anfrage nicht über den Umschlag des Heftes hinaus: Er spricht an keiner Stelle davon, dass der Inhalt des „Carnet de santé“ geändert werden soll. Die Ministerinnen schreiben zur Farbe zögerlich: „[I]l est possible d’envisager l’introduction d’un carnet de même couleur pour tous les enfants quel que soit leur genre.“

Für die Ministerinnen geht diese Möglichkeit mit dem Gedanken einer Generalüberholung des Hefts einher – die sie offensichtlich ablehnen. Sie halten mit dem Argument geschlechtsspezifischer Unterschiede in der Entwicklung der Kinder am Inhalt des „Carnet de santé“ fest, der sich an dem weiblichen oder männlichen Geschlecht des Kindes orientiert.

Mit dieser ungefragten Meinungsäußerung tun die Ministerinnen sich keinen Gefallen, denn mit dem Verweis schließen sie einmal mehr intersex Kinder, die Gegenstand der parlamentarischen Anfrage sind, aus ihrem Denkprozess aus. Umso weniger verwunderlich ist es, dass es dem medizinischen Personal auf der Geburtenstation offensteht, in welcher Farbe es den Eltern von intersex Kindern das „Carnet de santé“ mitgibt. Eine Regelung gibt es nicht.


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