Frauenfußball-WM: „Vous venez pour le foot?“

Die woxx war in Lyon vor Ort, als die US-Amerikanerinnen das Endspiel der Frauenfußball-WM in Lyon mit 2:0 gegen die Niederlande gewannen und somit ihren Titel verteidigten. Wir ziehen Bilanz.

Gute Stimmung in der Fan Zone vor dem Finale der Frauenfußballweltmeisterschaft in Lyon. (Fotos: Tessy troes)

Lyon ist das Zuhause des besten Frauenfußballklubs in Europa: Mit 16 Spielerinnen stellte kein Verein mehr Nationalspielerinnen bei dieser WM als Olympique Lyonnais, welcher seit 2016 ununterbrochen die Champions League – sozusagen die europäische Meisterschaft – gewinnen konnte. Im Zentrum sprechen die Einheimischen einen mit „Are you coming for the football“, an – die Freude an der WM ist ansteckend: „Die ganze Familie verfolgt dieses Turnier mit. Wir sind so froh, dass es in Lyon stattfindet, dass es die Frauen sind, die hier spielen.“ Die Gedanken werden kritischer: „In Frankreich gab es schon einen Funken Interesse und es wurde über das Turnier gesprochen, aber ob es das ganze große Publikum erreicht hat, weiß ich nicht.“

Etwa 20.000 Amerikaner*innen sind in Lyon, viele von ihnen haben diese Reise fast ein Jahr im Voraus geplant und profitieren nun von der „triple bill“ – binnen sechs Tagen zwei Halbfinale und das Finale. Für die etwas spontaner Angereisten bleiben nur Last-Minute-Hotelzimmer, die sich bei näherem Hinschauen eher als ein BDSM-Studio oder eine seit Wochen nicht geputzte WG herausstellen.

Nichtsdestotrotz bleibt Lyon der Fanfavorit: „Man merkt der Stadt an, dass sie ein Finalspiel ausrichten wird. Wir waren in Paris, dort war es schwer, überhaupt herauszufinden, dass eine WM stattfindet“, so eine junge Amerikanerin auf der Place Belleville. Auch die Guardian-Kolumnistin Suzanne Wrack übt Kritik: In Paris sei mehr Werbung für die French Open und Freundschaftsspiele des Männerteams im September als für die WM zu sehen.

Im Zentrum jeder ausrichtenden Stadt wurde auch eine sogenannte Fifa Fan Zone eingerichtet. Laut Tourismusbüros fanden diese unter der Woche wenig Anklang bei den Besucher*innen. Am letzten Wochenende spielten ein paar Jugendliche unter der drückenden Sonne ein Mini-Turnier, die größte Schlange gab es beim Coca-Cola Stand, wo gratis Getränke verteilt wurden. Richtige Euphorie brach nicht aus, was, neben den fast 37 Grad auch daran liegen mochte, dass die Zone – anders als bei der Männer-WM 2018 – nicht zum Public Viewing genutzt wurde und der große Bildschirm während der Spiele dunkel blieb.

Französisches Frauenfußballfieber

Die richtige Fußballstimmung kommt am Samstagnachmittag ab 17 Uhr in den Pubs entlang der Saône auf. England spielt gegen Schweden um den dritten Platz. Auf der Grundlage eines einfachen „I really like your team“ werden, unabhängig von der Nationalität, Lebensgeschichten ausgetauscht. Ein Schotte hat sich unter die englischen Fans gemischt und strahlt: „Ich war eigentlich durch Zufall in Frankreich, unterwegs auf einer Businessreise, und habe mich vom Fußballfieber anstecken lassen. Ich liebe alles: das Land, die Frauen, den Fußball.“ Auch packender Fußball in den letzten Minuten kann die Engländerinnen nicht mehr retten, sie unterliegen Schweden mit 1:2. Das ist kaum ein Gemütsdämpfer, es überwiegt das positive Gefühl, eine Mannschaft mit Zukunft und das beste Tor des Turnieres durch Lucy Bronze gesehen zu haben. Man zieht los in eine lange Nacht – die englischen und australischen Fans kennen sich in der Stadt aus, treffen sich mit Einheimischen in ihren neuen Stammkneipen, die eigens für das Turnier improvisierte Begrüßungs- und Warnschilder auf Englisch angebracht haben.

Am Tag danach ist es um die Station Jean Jaurès herum schwer zu glauben, dass hier in wenigen Stunden eines der größten Sportevents des Jahres stattfinden soll. Die lokale Bevölkerung lässt sich relativ teilnahmslos von der Metro, inmitten von Anzeigen für die WM hat, hin- und herschaukeln. Die Fußball-WM, obwohl so nah, scheint nur eine untergeordnete Rolle in ihrer Agenda zu spielen. Um sie herum haben sich die Fans, einheimische wie internationale, – so scheint es – ihre eigene Blase kreiert. Und diese beinhaltet nicht einmal die ganze Fußballwelt: Von der Fifa abgesegnet finden am 7. Juli auch die Finals von zwei Männerturnieren – dem Gold Cup und der Copa América – statt. In der Tram auf dem Weg zum Stadion sieht man aber einen Querschnitt der Frauenfußballblase: bunt, familienfreundlich und sehr divers. Bertrand Paquette, Organisator der WM, bestätigt dies gegenüber Le Monde: „On n’était pas sur le même public que sur une compétition masculine, on a vu beaucoup de femmes et d’enfants. On a brassé tous les publics et toutes les tranches d’âges. On voulait que ce Mondial soit convivial, bon enfant et cela a été le cas.“

Stunden vor Spielbeginn begegnet man schon Anhänger*innen vor dem Stadion. Ob wegen der von der Fifa eingerichteten Fan Zone oder der Angst, das Lyoner Transportsystem könnte dem Ansturm kurz vor Spielbeginn nicht standhalten, weiß niemand so genau. Es gibt VR-Experiences, Foto-Ops, Fan-Merchandise. Amerikanische Fans kaufen fleißig ein und das obwohl die meisten ohnehin schon Besitzer*in eines Trikots der US-Frauenmannschaft sind – das Jersey wurde zum meistverkauften aller Zeiten auf nike.com. Posieren kann man vor den Bannern und Zelten der Sponsoren der Fifa: Qatar Airways, Hyundai, Coca-Cola. Jeglicher Gedanke daran, wie progressiv dieses Turnier ist, kriegt dabei einen bitteren Beigeschmack. Die indische Fotojournalistin Gitika Talukdar schießt vor dem Stadion Fotos für einen der Sponsoren ihrer Reise – es dauert keine zwei Minuten, bis ein Offizieller der Fifa sie unfreundlich darauf hinweist, dass nur von der Fifa akkreditierte Sponsoren vor dem Stadium zur Schau gestellt werden dürfen.

An ihrer Seite arbeitet die nigerianische Journalistin Chidiebere Ezeani. Für beide ist dieses Turnier und die europäische Einstellung zum Frauenfußball eine Inspiration: „Letztes Jahr war ich auch bei der WM in Russland mit dabei, aber ich konnte niemals erahnen, wie viel Interesse die Frauen in Europa generieren“, so Talukdar.

Niederländischen Fans auf dem Weg ins Stadion, um ihr Team zu unterstützen.

Mehr Liebe, weniger Hass

Für Fans ohne Ticket konnte das Finale zu einem teuren Spaß werden: Die Eintrittskarten, die im Dezember 2018 für 30 bis 90 Euro verkauft wurden, werden Stunden vor dem Spiel für das Fünf-, Sechs-, Siebenfache gehandelt. Als ich mich weigere, eins zu kaufen, wird mir vorgeworfen, ich wüsste den Wert der Frauenfußballspiele nicht zu schätzen.

In einem Imbisshof abseits des Stadions konkurrieren über Lautsprecher „Jup Jup Holland“ mit „Born in the USA“. Getanzt, getrunken und gelacht wird aber gemeinsam. In der Innenstadt war eigens die Place Antonin Poncet für die holländischen Fans vorgesehen, die Sonne scheuchte die Fans mit bis zu 35 Grad aber frühzeitig in die naheliegenden Bars. Auch die Amerikanerinnen machen den Holländer*innen am Finaltag einen Strich durch die Rechnung. Die Europameisterinnen schlagen sich in der ersten Hälfte tapfer, die taktische Überraschung, mit einer zurückgezogenen Starstürmerin, Vivianne Miedema, das Mittelfeld dicht zu machen, zahlt sich aus. In der Halbzeit skandieren die Fans „Sari Sari“, um die Torhüterin Sari van Veenendaal zu feiern, die nach dem Spiel zu Recht als Torhüterin des Turniers ausgezeichnet wird. In der zweiten Hälfte durchbrechen die Amerikanerinnen die holländische Mauer zuerst mit einem Elfmeter und legen dann das 2:0 nach. Die Chancen auf einen Sieg der Niederländerinnen schwinden genauso wie die Sonne, gleich nach dem Schlusspfiff fängt es an zu regnen und die holländischen Familien verlieren sich in den engen Gassen der Lyoner Altstadt. Der Tag gehört am 7. Juli den Amerikanerinnen und vor allem: Megan Rapinoe.

Rapinoe steht für die amerikanische Arroganz. Sie steht für LGBTIQA-Rechte, die dem Männerfußball so fremd und den Frauen so nah sind. Sie steht für Provokation. Und da sie ihren Worten auch Taten auf dem Feld folgen lässt, liegt ihr die Fußballwelt zu Füßen. Ihre Aussage, dass sie einer Einladung Trumps ins Weiße Haus nicht folgen werde, sorgt schon während des Turniers für Aufruhr, ihre Rede zwei Tage nach dem Gewinn des Titels bei der Siegerinnenfeier in New York über mehr Liebe und weniger Hass geht viral.

Football is coming home

Das Vermächtnis des US-amerikanischen Teams ist groß: Auf dem Platz sind sie mit vier Weltmeisterinnenschaftstiteln das erfolgreichste Team aller Zeiten. Abseits des Platzes bringen sie den Slogan „equal pay equal play“ ins Rampenlicht. Im März hatte das gesamte Team eine Genderdiskriminationsklage gegen den eigenen Verband eingereicht. Als Fifa-Präsident Gianni Infantino letzte Woche inmitten anderer Versprechen auch erwähnte, dass das Preisgeld bei der nächstem WM auf 60 Millionen Dollar verdoppelt werden könnte, fand Rapinoe das nett, wies aber darauf hin, dass der Abstand zwischen Männern und Frauen dennoch größer würde, weil auch bei den Männern das Preisgeld erhöht wurde.

Die Frage ist nun, wie das Vermächtnis dieser WM aussehen wird. Die weltweite Zuschauer*innenreak-tion (die BBC verbuchte während der WM etwa das meistangeschaute Programm des Jahres) macht Hoffnung auf eine dauerhafte Anerkennung des Frauenfußballs. Mehrere Studien über Olympische Spiele widerlegen jedoch, dass das Moment um ein großes Turnier sich direkt in eine erhöhte Sportpartizipation verwandelt. Dafür braucht es Geld und dauerhaftes Fanengagement. Zumindest für Ersteres scheint es positive Ansätze zu geben: Budweiser hat sein Sponsoring der amerikanischen Nationalmannschaft auf die heimische Liga ausgedehnt, um Frauenfußball „tagtäglich zu unterstützen“. Die Fifa plant eine Milliarde Dollar in die Frauenfußballbasis zu investieren. Der englischen Liga spendiert Barclays eine Finanzspritze von zehn Millionen Pfund, der Verband hat eine eigene Strategie, um Mädchen zwischen fünf und elf Jahren für die Sportart zu begeistern. Dieser Aufschwung muss sich nun auch in Zuschauer*innenzahlen zeigen und in Fans, die gewillt sind, einen engeren Diskurs mit der Sportart zu führen.

In den Gassen von Lyon hat man sich ein Versprechen gegeben: Es gibt ein Wiedersehen – bei der EM 2021 in England. Football’s coming home.

Tessy Troes lebt in Barcelona und schreibt regelmäßig über spanische und katalanische Politik für die woxx. Und manchmal auch über Fußball.

Leseempfehlung

„Under the Lights and in the Dark – Untold Stories of Women’s Soccer“ (Gwendolyn Oxenham)

Journalistin und Fußballspielerin Gwendolyn Oxenham begibt sich auf eine Reise durch die Welt des Frauenfußballs: per Autostopp zum Training des legendären Fußballvereins FC Santos in Brasilien, mit Allie Long, der diesjährigen Weltmeisterin durch die Untergrundligen der Männer in New York oder zum professionellen Fußball in Voronezh, Russland. Oxenham findet Geschichten über Neuanfänge, Daseinskämpfe und unbelehrbare Frauen mit Leidenschaft für Fußball und Gleichberechtigung.


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