Egalitäre Elternschaft: „Männer in ihrer Vaterrolle bestärken“

Anlässlich des internationalen Männertags am 19. November haben wir mit fünf Vätern und einer Elternschaftsexpertin über Charakteristiken und Herausforderungen moderner Vaterschaft gesprochen.

In heterosexuellen Beziehungen gilt nach wie vor: Väter sind zwar heute präsenter – aber immer noch nicht so präsent wie die Mütter. (Fotos: www.piqsels.com)

„Kann man sich auf die Geburt seines Kindes vorbereiten?“, lautet die rhetorische Frage eines Vaters, den wir über die Zeit befragten, in der seine Partnerin schwanger war. Ein ähnliches Bild geben die anderen von uns befragten heterosexuellen Väter ab: Weder Internetrecherche noch das Lesen von Elternratgebern standen bei ihnen auf dem Programm. Man habe die Geburt lieber einfach auf sich zukommen lassen; wenn jemand sich vorbereitete, dann war es stets die Partnerin. „Darum kümmert sich meine Frau“ – auch dieser Satz fiel in beinahe jedem unserer Interviews. Vor allem vorm Windelnwechseln scheinen sich viele drücken zu wollen. Manche tun es sogar: „Ich kann mich dazu einfach nicht überwinden“, erzählt uns der Stiefvater eines Einjährigen. Auch der Besuch bei Kinderärzt*innen sowie das Unterstützen beim Lernen sind scheinbar Aufgaben, die gemeinhin den Müttern überlassen werden. Das liegt wohl auch daran, dass es jeweils immer die Frauen waren, die ihr Arbeits-pensum nach der Geburt des Kindes reduzierten.

Egalitär ist Elternschaft auch im Jahr 2021 noch nicht. Insgesamt bestärken die Gespräche aber den Eindruck, den auch schon die Männerforschung herausgearbeitet hat: Mit den Veränderungen in den Geschlechter- und Familienverhältnissen hat sich auch Vaterschaft verändert. Vielen Männern ist es heute wichtig, ein präsenter, emotional involvierter Vater zu sein.

Die meisten der insgesamt fünf von uns Interviewten erzählen uns, sich bewusst von ihren eigenen Vätern abgrenzen zu wollen. „Mir ist es wichtig, nicht die Fehler zu machen, die mein Vater gemacht hat“, antwortet einer. „Mein Vater hat nicht besonders viel mit uns Kindern kommuniziert, das will ich besser machen“, sagt ein anderer. Auch der größtenteils abwesende Vater, der die Kinderbetreuung ausschließlich der Mutter überließ, wird erwähnt. Bei der jüngeren Vatergeneration scheint das anders zu sein: Mehrfach wurde uns gegenüber der Vorsatz geäußert, die eigenen Kinder beim Aufwachsen aktiv begleiten zu wollen. Auch wenn einzig der von uns befragte alleinerziehende Vater sein Arbeitspensum reduzierte: Ihre Hobbies schraubten alle von uns interviewten Männer nach der Geburt ihres ersten Kindes drastisch zurück.

„Die Rolle des Vaters hat sich in den letzten 30 Jahren stark verändert“, davon ist Jeannine Schumann, Vorsitzende der Eltereschoul Janusz Korczak, überzeugt. Schon allein, weil die Zahl arbeitstätiger Frauen stieg, musste sich die Aufteilung innerhalb der Familien ändern. „Väter sind heute viel anwesender“, stellt Schumann fest.

In der Eltereschoul habe man zwar den Vorsatz gefasst, nicht über die Väter zu urteilen, betont Jeannine Schumann, in der Gesellschaft würden unterschiedliche Vater-Profile jedoch noch nicht ausreichend akzeptiert. Von den von uns interviewten heterosexuellen Vätern, egal ob geschiedener, alleinerziehender oder Stiefvater wurde noch keiner mit negativen Vorurteilen konfrontiert. Anders sah es dagegen bei einem schwulen Paar aus. Nach der Geburt ihres Kindes durch eine Leihmutter in den USA hätten sie viel Kritik einstecken müssen. Sogar Kund*innen hätten sie in ihrem gastronomischen Betrieb deshalb verloren. Davon abschrecken lassen sie sich nicht: „Vorurteile ziehen sich wie ein roter Faden durch unser Leben, das ist nichts Neues. Was andere über uns denken, ist nicht unser Problem“, befindet einer der beiden Väter.

Im Gespräch mit ihm schälen sich noch weitere auffallende Unterschiede zu den heterosexuellen Vätern heraus: „Bei uns gibt es keine Rollenverteilung wie bei Heteropaaren. Wir teilen uns vom Wickeln bis hin zum Arztbesuch alles gleichmäßig auf.“ Schon vor der Geburt ihres Sohnes überließen die beiden nichts dem Zufall. „Wir kamen mit Sack und Pack im Krankenhaus an. In unserer Nervosität hatten wir alles bis ins letzte Detail durchorganisiert.“ Aufgrund der rigorosen Vorbereitung auf die Geburt sei die eigentliche Pflege ihres Sohnes ein Kinderspiel für sie gewesen. Bei noch einem weiteren Punkt fiel das schwule Paar aus dem Rahmen: Während die heterosexuellen Väter erzählten, ihre Kinder tagsüber von Tagesmüttern, Großeltern oder in der Kita betreuen zu lassen, wird der kleine Louis nur in der Nacht von einer Nanny betreut. „Wir sind beide arbeitstätig und brauchen unseren Schlaf“, begründet einer seiner Väter die Entscheidung.

Knackpunkt Arbeitswelt

Wie Jeannine Schumann uns erzählt, erfahren Eltern nach wie vor eine unterschiedliche Behandlung in der Arbeitswelt. „Mehr Väter als Mütter berichten uns von der Schwierigkeit, ihren Elternurlaub so nehmen zu können, wie sie es wünschen.“ In der Arbeitswelt sei es etabliert, dass eine Frau sich nach der Geburt ihres Kindes um dieses kümmere. „Leider hat sich die Vorstellung, dass auch Väter das tun wollen, noch nicht gleichermaßen durchgesetzt.“

Seit 2016 ist es möglich, den Elternurlaub beliebig zu staffeln: Etwa Vollzeit über sechs Monate, Teilzeit während einem Jahr oder einen Tag pro Woche während 20 Monaten. Von den Vätern, mit denen wir gesprochen haben, hat die Hälfte von dieser Möglichkeit profitiert oder plant, dies noch zu tun. Einer erzählt uns, aus Angst vor Karriereeinbußen darauf verzichtet zu haben. Als Lehrer empfinde er seinen Beruf ohnehin als bequem mit der Familienarbeit vereinbar. Ein anderer verzichtete aus finanziellen Gründen auf den Elternurlaub. Die Option, sich Elternurlaub nehmen zu können, hatte einer der von uns befragten Väter nicht: Zwar übernimmt er bereits seit über einem Jahr eine Erzieherrolle für seinen 16-Monate alten Stiefsohn, da er jedoch nicht als Vater eingetragen ist, hat er keinen Anspruch auf die Dispens.

„Es muss jetzt etwas passieren, Frauen müssen unbedingt entlastet werden.“

Wie Schumann uns erzählt, stelle die Vereinbarung von Job und Familie die größte Sorge von Männern in Bezug auf ihre Vaterschaft dar. Genau deshalb wird die Eltereschoul auch in Betrieben aktiv, wo sie regelmäßig während der Mittagspause ein- bis zweistündige Workshops hält. Das im Rahmen der „Actions positives“, die Firmen absolvieren können, um das entsprechende Label vom Ministerium für Gleichstellung zwischen Frauen und Männern zu erhalten oder zu erneuern. „Damit können Betriebe ihren Angestellten zeigen, dass sie ihr Familienleben respektieren und sie bei ihrer Elternschaft unterstützen.“ In diesen Workshops würden zunächst Grundlagen vermittelt: Die Teilnehmenden werden über den legalen und den betrieblichen Rahmen informiert. In einem letzten Teil werden sie unter anderem dazu angeregt, untereinander solidarisch zu sein. „Wir raten ihnen zum Beispiel, die Ankündigung eines Vaters, dass er seine Kinder aus der Kita abholen müsse, einfach unkommentiert zu lassen.“

Bei der Eltereschoul überraschenderweise nur wenig gefragt sind Workshops, die sich gezielt an geschiedene oder getrennte Eltern richten. Schumann vermutet, dass sich Betroffene oft zu sehr dafür schämen, um vor anderen darüber reden zu wollen. Die zwei geschiedenen Väter, mit denen wir sprachen, haben sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Einer der Befragten teilt sich das Sorgerecht gleichmäßig mit seiner Ex-Partnerin, was seiner Ansicht nach gut klappt. Bei einem anderen war es schon komplizierter: Nach seiner Scheidung beanspruchte seine Ex-Frau erst das vollständige Sorgerecht, irgendwann wollte sie jedoch überhaupt keines mehr. Der Betroffene wurde zum alleinerziehenden Vater. Dass er dadurch die Steuerklasse wechseln und sein Arbeitspensum reduzieren musste, traf ihn, wie er uns erzählt, finanziell sehr hart.

Getrennte Väter, so Schumann, begegne die Eltereschoul fast ausschließlich in fragilen Kontexten, etwa bei Aktivitäten mit Drogenabhängigen oder der „Stëmm vun der Strooss“. Bei den hier anwesenden Männern sei es dann oft so, dass diese um ihre Vaterschaftsrechte kämpften oder diese verloren hätten. Manche Väter nähmen an Workshops der Eltereschoul teil, um im Sorgerechtsstreit einen entsprechenden Nachweis vorweisen zu können.

Väter gezielt ansprechen

Bei aller positiver Entwicklung gibt es eine Sache, die Jeannine Schumann Kopfzerbrechen bereitet: An den Aktivitäten, die sich an werdende Eltern richten, nähmen viele Väter teil, sobald das Kind jedoch auf der Welt sei, ändere sich das. „Spätestens bei den Workshops, die sich an Eltern von Schulkindern richten, begegnen wir nur noch Müttern“, bedauert Schumann. 2021 hätten insgesamt 800 Mütter und 200 Väter an Workshops der Eltereschoul teilgenommen. Väter stellten zudem viele technische Fragen über Mutterschafts-, Vaterschafts- oder Elternurlaub. Mütter seien dagegen mehr daran interessiert, wie sie diese Dispens möglichst sinnvoll nutzen könnten.

Eine spezifische Aktivität der Eltereschoul findet in letzter Zeit ungewöhnlich viel Zuspruch bei Vätern: das „Elterecafé“ in Esch-Alzette. Hier können sich Eltern einmal die Woche treffen, um sich über Erziehungsmethoden auszutauschen und andere Eltern kennenzulernen. Seit der Pandemie nähmen viele Väter teil an den Elterecafés, eine Entwicklung, die Schumann sehr begrüßt. „Ich habe das Gefühl, dass Väter mehr als Mütter das Bedürfnis haben, während ihres Elternurlaubs die Gesellschaft anderer aufzusuchen.“

Auch wenn dies begrüßenswert ist, will die Eltereschoul künftig proaktiv versuchen, mehr Väter anzusprechen. Die bei der Eltereschoul vermittelten Inhalte seien die gleichen, egal ob der Elternteil männlich oder weiblich sei, so Schumann. „In dieser Logik haben wir es bisher auch vermieden, Kurse speziell für Väter anzubieten.“ Das wolle man aber nun ändern: Ab nächstem Frühjahr werden gezielt Onlinekurse für Väter angeboten, auch thematisch wird das Angebot stärker auf die Vaterrolle ausgerichtet. Eins dieser Themen sei die Wichtigkeit des Vaters für seine Kinder. „Es ist für uns ein kleines Experiment und wir hoffen, dass es Früchte trägt“, so Schumann. Als zu Beginn der Pandemie erste Studien auf die angestiegene Belastung von Müttern hinwiesen, habe das sie persönlich sehr getroffen. „Es muss jetzt etwas passieren, Frauen müssen unbedingt entlastet werden. Dazu müssen Männer in ihrer Vaterrolle bestärkt werden.“


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