Am 2. Juni findet in Büchel eine Protestveranstaltung gegen die dort stationierten Atomwaffen statt. Um welche Waffen handelt es sich und was macht sie besonders gefährlich?
Büchel ist ein kleiner Ort in der Eifel, weniger als 100 Kilometer Luftlinie von der Stadt Luxemburg entfernt in Richtung Koblenz. Vielen woxx-Leser*innen dürfte der Name des Dorfs bekannt sein, seit 2018 eine Delegation der Luxemburger Friedensbewegung am dortigen Ostermarsch teilgenommen hat, woraus dann die Friddens- a Solidaritéitsplattform Lëtzebuerg enstand. Am 6. April dieses Jahres organisierte die neue Plattform, gemeinsam mit dem OGBL, zum ersten Mal seit langem wieder einen luxemburgischen Ostermarsch. Nun ruft die Friddensplattform dazu auf, am 2. Juni wieder in Büchel zu protestieren.
US-Bomben in deutscher Hand
Warum Büchel? Weil derzeit die Bedrohung durch Atomwaffen eines der wichtigsten Anliegen der Friedensbewegung ist und in Büchel die 20 letzten Atombomben Deutschlands lagern. Wohlgemerkt handelt es sich nicht um deutsche, sondern um US-amerikanische Waffen, die im Rahmen der „nuklearen Teilhabe“ von Deutschland mitverwaltet werden. „Für den Einsatz dieser schrecklichen Waffen werden Soldat*innen der Bundeswehr ausgebildet; sie üben mit deutschen Tornados, die Atombomben zu transportieren und abzuwerfen“, beschreibt ein Flyer der Friedensbewegung dieses System, ein Überbleibsel aus der Zeit des Kalten Krieges.
Vor 1989 waren in Europa Tausende von solchen „Teilhabe“-Atomwaffen stationiert. Dabei bleiben die Codes zur Zündung unter US-amerikanischer Kontrolle, die Trägersysteme wie Flugzeuge oder Raketen aber werden von Nato-Partnerländern gestellt. Dass die USA ihre teuren Atomwaffen den Alliierten auf diese Weise zur Verfügung stellen, soll demonstrieren, dass der Schutz durch nukleare Abschreckung auch für die europäischen Länder gilt. Der Aufwand für die Trägersysteme wiederum unterstreicht, dass die europäischen Partner finanziell und politisch die nukleare Strategie der Nato unterstützen – damit verbunden ist auch ihre Beteiligung an der Planung und Organisation dieser Strategie.
Von den „Teilhabe“-Waffen – es gab sogar atomare Granaten und Flugabwehrraketen – sind heute nur noch die Bomben vom Typ B61 übrig. Davon lagern etwa 200 Stück in der Türkei, in Italien, in den Niederlanden, Belgien und Deutschland. Die Bomben haben eine variable Sprengkraft von bis zu 170 Kilotonnen, die 13-fache Zerstörungskraft der Hiroshima-Bombe. Die Friedensbewegung erinnert daran, dass „in einem Beschluss vom 26. März 2010 alle Parteien des Bundestages [sich] darauf einigten, den Abzug der in Deutschland stationierten Atombomben mit Nachdruck zu verfolgen“.
Nukleare Zielscheibe in der Eifel
Die Veranstaltung am 2. Juni ist Teil einer Kampagne für den endgültigen Abzug der letzten Atomwaffen in Deutschland. Sie richtet sich auch „gegen den zunehmenden nuklearen Rüstungswettlauf sowie für einen Abzug und ein Verbot der Atomwaffen“. Ab 11 Uhr wird am Haupttor des Fliegerhorstes Büchel eine „Friedenstafel“ gedeckt und es findet ein „friedenspolitisches Frühstück“ statt mit „Abrüstungsbrunch“ und „Keine-Atomwaffen-Kaffee“. Aufgerufen hierzu haben mehrere deutsche Friedens-NGOs und das interregionale Friedensnetzwerk Quattropax mit lokalen NGOs aus Frankreich, Deutschland und Luxemburg.
Von Luxemburg aus betrachtet ist Büchel nicht nur der nächstgelegene Ort, um gezielt gegen Atomwaffen zu demonstrieren; der US-Stützunkt stellt, neben dem AKW Cattenom, eine existenzielle atomare Bedrohung für das Großherzogtum dar. Denn im Falle eines Krieges wäre Büchel nicht nur potenzieller Startpunkt eines nuklearen Angriffs, sondern auch eine wichtige Zielscheibe für gegnerische Präventivschläge. Falls diese mit Atomwaffen erfolgen, wäre, je nach Stärke und Umständen der Explosion auch das Staatsgebiet Luxemburgs betroffen.
Mehr Raketen, neue Bomben?
Die Organisator*innen erinnern auch daran, dass am 1. Juni 1988 der INF-Vertrag in Kraft trat, der dem Wettrüsten bei den Mittelstreckenraketen ein Ende setzte. Donald Trump hatte den Vertrag im vergangenen Jahr aufgekündigt, und auch Russland will sich künftig nicht mehr daran halten. „Der INF-Vertrag muss gerettet und der UN-Vertrag zur weltweiten Vernichtung atomarer Waffen von Deutschland unterschrieben und global umgesetzt werden. Wir fordern eine Abrüstungsspirale. Die NATO-Staaten können damit beginnen, weil sie weltweit mit Abstand die größten Rüstungsausgaben bestreiten“, heißt es im Aufruf für den 2. Juni.
Grund zur Sorge ist auch die geplante Modernisierung der in Büchel stationierten Waffensysteme. „Die neu konstruierten Bomben vom Typ B61-12 gehören dann zu den modernsten Nuklearwaffen der USA. Die Sprengkraft der Bomben wird erhöht und sie werden mit steuerbaren Heckflossen versehen“, erläutert ein Flyer der Friedensbewegung. Die neuen Waffen erhöhen die Gefahr eines Atomkriegs, denn: „Der Gefechtskopf kann auf diese Weise zielgenauer zum Einsatz gebracht werden. Hierdurch sinkt die Hemmschwelle des Einsatzes.“
Rückenwind hat die Friedensbewegung 2017 bekommen, als der Verbotsvertrag für Atomwaffen von über 120 Staaten auf UN-Ebene angenommen wurde. Der Vertrag verbietet Herstellung, Besitz und Einsatz solcher Waffen, aber auch die Drohung mit einem Nuklearschlag und die Stationierung fremder Atomwaffen. „Davon wären auch die in Büchel stationierten US-Atomwaffen betroffen“, hält ein Flyer der Kampagne „Büchel ist überall! Atomwaffenfrei jetzt!“ fest, und fordert, dass Deutschland dem Vertrag beitritt. Wie in der woxx bereits zu lesen war, haben sämtliche Nato-Mitglieder, auch Luxemburg, bisher nur versucht, diesen Vertrag zu blockieren. Die im 100 Kilometer entfernten Büchel gelagerten Atombomben wären ein auch guter Grund für Luxemburg, dem Vertrag beizutreten.
Die überflüssigsten Bomben der Welt
Am 2. Juni demonstriert auch die Luxemburger Friedensbewegung in Büchel in der Eifel gegen die dort gelagerten Nuklearwaffen. Krieg ist absurd, Atomkrieg noch absurder, die Bücheler Bomben aber …
Zwar sind aus pazifistischer Sicht alle Bomben irgendwie unsinnig, manche jedoch erscheinen selbst nach militaristischen Kriterien als überflüssig. In dieser Hinsicht rekordverdächtig sind allerdings die im Rahmen der „nuklearen Teilhabe“ in Büchel stationierten Bomben.
Von sich reden gemacht haben diese Bomben vom Typ B61 in letzter Zeit vor allem, weil sie die Beschaffung eines neuen Bundeswehr-Kampfflugzeugs als Nachfolger des Jagdbombers „Tornado“ verkompliziert haben. Lange hatte es so ausgesehen, als ob man sich im deutschen Verteidigungsministerium für die amerikanischen F-35 Mehrzweckflugzeuge entscheiden würde – die unter anderem für den Abwurf von Atombomben zertifiziert sind. Im Februar 2019 wurde dann bekannt, dass man nur noch die Beschaffung von Boeing F/A-18 oder Eurofightern in Betracht ziehe. Ersteres Modell ist veraltet, das europäische Flugzeug aber nicht zertifiziert. Sträuben sich die USA aus industriepolitischen Gründen dagegen, eine Zertifizierung vorzunehmen, dann muss Deutschland entweder doch noch amerikanische Flugzeuge kaufen oder auf die nukleare Teilhabe verzichten (siehe Telepolis-Beitrag).
Nukleare Teilhabe dank B61?
Man kann sich durchaus fragen, was von dieser nuklearen Teilhabe, insbesondere der Beteiligung an der Planung bzw. der Entscheidung über die nuklearen Einsätze, heutzutage noch übrig ist. Die „America First“-Doktrin des jetzigen amerikanischen Präsidenten lässt Zweifel am Sinn des gesamten Arrangements aufkommen. Außerdem stellen die Entwicklungen seit dem Ende des Kalten Krieges die Eignung des eingesetzten Waffentyps grundsätzlich in Frage. Die Doktrin der flexiblen, limitierten Nukleangriffe gilt als überholt, und Präzisionsschläge können auch mit konventionellen Waffen ausgeführt werden – ein Grund, warum der INF-Vertrag über Mittelstreckenraketen leider in Frage gestellt wurde.
Doch schon im Kalten Krieg war der Einsatz von nuklearen Abwurfbomben wenig glaubwürdig: Die sowjetische Luftabwehr hätte den Tornados kaum eine Chance gelassen – wenn sie nicht durch einen präventiven Angriff auf Büchel bereits am Boden zerstört worden wären. Das dürfte gegen Russland immer noch gelten, nicht einmal bei den F-35 mit Tarnkappen-Technologie sind sich die Expert*innen über die „Erfolgsaussichten“ eines Angriffs auf russische Ziele einig.
Nicht zuletzt war die „Teilhabe“ schon immer eine Mogelpackung – die letztendliche Verfügungsgewalt lag immer nur bei den USA. So kann Deutschland, selbst wenn es wollte, die USA nicht zwingen, als Antwort auf einen schwerwiegenden Angriff gleich welcher Art, die Bücheler Atombomben einzusetzen. Umgekehrt kann Deutschland zwar den Einsatz seiner Tornados verweigern – die USA könnten aber trotzdem, wenn sie wollten, einen Angriff mit den B61-Bomben von den eigenen F-16 der benachbarten Airbase Spangdahlem fliegen lassen. Letzteres ist sehr beunruhigend angesichts der Modernisierung der B61, die darauf abzielt, die „Einsetzbarkeit“ zu „verbesseren“.