Geflüchtete LGBTIQA+ in Kenia: Schutzlos im Lager

Kenia ist das einzige Land in der Region, das die Kriminalisierung von LGBTIQA+ als Fluchtgrund anerkennt. Im dortigen Flüchtlingscamp Kakuma haben sich die Betroffenen organisiert, doch sie werden immer wieder Ziel von Anschlägen. Nun will die Regierung das Lager schließen. Was aus den dort Untergebrachten werden soll, ist ungewiss.

Mitglieder der Organisation „Refugee Flag Kenya”, die geflüchtete LGBTIQA+ unterstützt, protestieren vor den Büros des UNHCR in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Zuvor waren andere Mitglieder der NGO festgenommen worden, nachdem sie am selben Ort gegen den ihrer Meinung nach unzureichenden Schutz und mangelnde Versorgung der LGBTIQA+-Flüchtlinge durch den UNHCR im Flüchtlingscamp Kakuma demonstriert hatten. Unser Bild und die damit verbundenen Vorfälle datieren auf den Mai 2019. (Foto: EPA-EFE/Daniel Irungu)

Die Nachricht war ein Schock, insbesondere für stark gefährdete Geflüchtete. Am 30. Juni sollen die beiden Flüchtlingscamps Kakuma und Dadaab schließen, in denen zusammen über 430.000 Menschen leben. Das hatte die kenianische Regierung im April vergangenen Jahres nach Verhandlungen mit den Vereinten Nationen entschieden.

In Kakuma im Nordwesten Kenias leben mehr als 180.000 Geflüchtete, vor allem aus Somalia und dem Südsudan, darunter offiziellen Schätzungen zufolge etwa 300 Geflüchtete mit sogenanntem LGBTIQA+-Profil. Sie haben sich im Camp organisiert und feierten im Juni 2018 sogar eine öffentliche Pride Parade. Doch die Sichtbarkeit hat auch ihre Schattenseite: Vermehrt sind sie Ziel von Gewalttaten und Anschlägen geworden.

So auch am 15. März 2021, als Rauchschwaden den 30-jährigen Ugander Chriton Atuhwera, Bewohner Kakumas und schwuler Menschenrechtler, nach einem Brandanschlag aus dem Schlaf rissen. Zwar entkam er dem Feuer noch, erlag am 12. April 2021 jedoch seinen schweren Brandverletzungen. Das Lagerpersonal in Kakuma habe zu spät reagiert, die medizinische Versorgung nicht ausgereicht, berichteten Freunde Atuhweras nach seinem Tod. Ein Jahr zuvor hatte dieser einen ähnlichen Anschlag überlebt. „Der Geruch von Benzin hat mich geweckt“, hatte er im Januar 2021 im Gespräch mit der woxx gesagt. „Alles ist abgefackelt, außer mir. Sie haben geschworen, uns alle umzubringen.“

Atuhwera war vor homophober Gewalt aus Uganda geflohen, so wie viele vor ihm infolge der dort seit 2009 verfolgten Gesetzesinitiativen. Ein berüchtigtes Gesetz, das in der Alltagssprache unter dem Namen „Kill the Gays“ bekannt ist, sollte jegliche homosexuelle Aktivität zunächst unter Todesstrafe stellen; später wurde das Strafmaß zu lebenslanger Haft abgeändert. Das ugandische Verfassungsgericht erklärte das im Februar 2014 nach Unterzeichnung durch Präsident Yoweri Museveni in Kraft getretene Gesetz zwar wenige Monate später für ungültig. Die Gesetzesinitiative befeuerte jedoch landesweit Bloßstellungen und Lynchmorde, oft durch die Familie oder das soziale Umfeld der Opfer.

„Sie ahnen, dass ich schwul bin, sobald sie herausfinden, dass ich aus Uganda komme.“

Auch in Kenia werden aus Uganda geflüchtete LGBTIQA+ gebrandmarkt und werden Opfer von Gewalttaten. „Sie ahnen, dass ich schwul bin, sobald sie herausfinden, dass ich aus Uganda komme“, sagte Atuhwera im Januar 2021. Da kein Krieg in Uganda herrscht und es keine größere Fluchtbewegung von dort gibt, gilt, wer aus Kenias Nachbarland flieht, als homosexuell. Kenia wiederum ist das einzige Land in der Region, das die Kriminalisierung Homosexueller als Fluchtgrund anerkennt. Das betonte auch Eujin Byun, Pressesprecherin des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) in einem Gespräch mit der woxx. Paradoxerweise sind in Kenia selbst homosexuelle Handlungen zwischen Männern seit der britischen Kolonialherrschaft dennoch strafbar.

Statt ihre Sexualität oder Geschlechtsidentität zu verbergen, hat sich ein Teil der LGBTIQA+-Geflüchteten in Kakuma zusammengeschlossen. „Block 13“ ist der wohl größte und bekannteste Zusammenschluss dort, er ist nach dem gleichnamigen Lagerabschnitt benannt. Die Gruppe um Atuhwera konnte ein internationales Solidaritätsnetzwerk aufbauen, das Spenden sammelt und Druck auf die kenianische Regierung sowie den UNHCR ausübt, um LGBTIQA+-Geflüchtete besser zu schützen.

Der UNHCR in Kenia blickt eher ablehnend auf die insbesondere von „Block 13“ immer wieder ausgehenden Protestaktionen. „Es ist gefährlich, Kenia, Kakuma oder der Polizei Homophobie vorzuwerfen“, sagt Byun. „Die Regierung kann ihnen jederzeit das Asylrecht nehmen. Die eigenen Gesetze wären als Begründung ausreichend dafür.“ Widerstand sei ein Spiel mit dem Feuer. Die Geflüchteten sollten lieber die Füße stillhalten und sich „in die Gemeinschaft integrieren“, rät Byun und verweist dabei auf zahlreiche LGBTIQA+-Geflüchtete, die keinen aktiven Widerstand leisteten.

Kenias Präsident Uhuru Kenyatta, der seit 2013 im Amt ist, drohte bereits 2015 mit der Schließung der beiden Flüchtlingscamps Kakuma und Dadaab, offiziell wegen des Verdachts, die somalische Terrorgruppe al-Shabaab organisiere sich dort, doch auch andere politischen Motive dürften eine Rolle gespielt haben. Kenyatta übt sich schon seit Jahren aus innenpolitischen Erwägungen heraus in einem Kräftemessen mit der sogenannten internationalen Gemeinschaft – besonders in der Migrationspolitik. Nun rückt der 30. Juni und damit die Schließung immer näher, doch die kenianischen Behörden schweigen darüber, was mit den Geflüchteten passieren soll. „Der UNHCR ist überzeugt, dass die Regierung und die Bevölkerung Kenias den Flüchtlingen weiterhin ihre großzügige Gastfreundschaft erweisen werden, wie sie es seit fast drei Jahrzehnten tun“, heißt es hoffnungsvoll in einer Stellungnahme des UNHCR vom 6. Juni auf Nachfrage der woxx.

Hinweise darauf, wie die mögliche Schließung Ende des Monats umgesetzt werden soll, könnte das im Februar in Kenia in Kraft getretene Flüchtlingsgesetz geben, das die ökonomische Integration der Geflüchteten vorbereiten soll. Anstatt von „Lagern“ ist in dem Gesetz von „ausgewiesenen Gebieten“ die Rede, in denen sich Flüchtlinge weiterhin aufhalten müssen. Damit wäre keine Evakuierung, sondern eine Eingemeindung zu erwarten. Kalobeyei, ein abgesonderter Teil des Kakuma-Komplexes, könnte hierfür ein Modellprojekt sein. Um an der regionalen Ökonomie teilhaben zu können, erhalten die Menschen statt Sachleistungen finanzielle Unterstützung. Solch eine Umstrukturierung würde durch vereinfachte Erteilung von Arbeitserlaubnissen flankiert, wie es das neue Gesetz vorsieht.

Der UNHCR befürwortet diesen Kurswechsel. Öffentlichkeitswirksam brüstet man sich mit den Erfolgsgeschichten neuer Ausbildungsstätten und Start-ups. Doch der Verweis auf neue Aufstiegschancen steht im Kontrast zur Realität der materiellen Verelendung im Camp. Denn seit Jahren werden die Zuwendungen gekürzt. Nun reichten die monatlichen Essensrationen, die jede Person bekomme, bloß noch für wenige Tage, berichtete eine Geflüchtete, die sich Eva Kakuma nennt und als Transperson besonders vom Mangel betroffen ist: „Die Diskriminierung von Transpersonen ist so stark, dass ich nicht einmal medizinische Hilfe oder Essensversorgung in Anspruch nehmen kann, ohne angegriffen zu werden“, so Kakuma gegenüber der woxx.

Eine größere Krise zeichnet sich ab. „Unsere Sachbearbeiter verlassen ihre Büros, die LGBTIQA+-Krankenschwester hat aufgehört zu arbeiten“, schrieb der homosexuelle ugandische Geflüchtete Austin Salit der woxx Anfang Mai aus Kakuma. Pressesprecherin Byun bestätigt, dass viele Stellen gestrichen würden.

„Wir können nicht begreifen, warum sich so viel verändert, sicher ist nur, dass wir unter den Konsequenzen leiden werden“, so Salit. Nahrung, Gesundheit, Unterkunft, Asyl – nichts ist für jene Geflüchteten sicher. Konstant ist nur die Angst, dass sie nach dem 30. Juni noch weniger auf Schutz vertrauen können, sollten die bestehenden Sicherheitsstrukturen des Lagers wegfallen.


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