Auch moderne Gewerkschaften wollen mitmischen im kapitalistischen Finanzkrimi. Seit letztem Wochenende wissen wir: Das kann ins Auge gehen. Wichtiger ist jedoch die Frage: Hatte die FSFL wirklich nichts Besseres zu tun?
Ein Kommentar von Richard Graf und Danièle Weber
Hoch die kapitalistische Spekulation! Solide Fonds statt Arbeitersolidarität. So oder ähnlich könnten Forderungen moderner Gewerkschaften klingen. Jener Gewerkschaften, die endlich verstanden haben, nach welchen Regeln der Kapitalismus funktioniert. Die, statt sich um verstaubte Werte wie Arbeiterrechte zu kümmern, sich ganz offensiv neuen Aufgabengebieten stellen. Und dabei auch den Gang zur Börsenspekulation nicht scheuen. Wer wagt gewinnt, ein Leitspruch, den sich vor allem Börsenmakler gerne zu Eigen machen.
So viel steht im Skandal um den Präsidenten der Luxemburger Briefträgergewerkschaft, Jos Nickts, fest: Die FSFL hat verloren. Ob es jetzt fünf Millionen Euro sind oder noch mehr: Die Summe der veuntreuten Gelder wird nicht nur die Briefträgergewerkschaft in eine tiefe Krise stürzen.
Schuster bleib bei deinen Leisten, dürften sich dieser Tage so manche Luxemburger ArbeitnehmerInnen gedacht haben. Oder auch: Aus einem Briefträger wird noch lange kein guter Banker, nur weil er auf einmal statt ein paar Tausender mehrere Millionen zu verwalten hat. Zumindest für überzeugte MarxistInnen dürfte das Weltbild wieder ein Stück weit zurechtgerückt worden sein: Kapital und Arbeit, das passt nicht zusammen.
Wie ist so etwas möglich? fragen jetzt viele Kommentatoren in den Medien. Der joviale, stets braungebrannte und alles andere als geizige Jos Nickts war über ein Jahrzehnt lang unangefochten für die Geschicke der Briefträgergewerkschaft verantwortlich und durfte nebenbei auch noch die Spareinlagen der Mitglieder in einer Höhe von 20 Millionen Euro verwalten. Dabei ist ein solch paternalistischer Führungsstil bei politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsträgern in Luxemburg keine Seltenheit. Auch nicht eine völlig intransparente Betriebspraxis.
Das Aufstellen millionenschwerer Sparfonds ist ebenfalls nichts Ungewöhnliches. Keine Lehrerkonferenz, keine Bürogemeinschaft, keine Arbeiterbrigade, die nicht wegen ein oder zwei Prozent mehr Zinserträgen einen Teil des Gesparten zusammenlegt. Bei Gewerkschaften, die ja sozusagen „Massenorganisationen“ sind, zählt der Effekt der Vervielfachung umso mehr. Und die Briefträgergewerkschaft ist längst nicht der einzige Interessenverband, der versucht, durch diverse „Dienstleistungen“ die Mitgliedschaft etwas attraktiver zu gestalten. Längst gleicht so manche Gewerkschaftszentrale eher einem Reisebüro oder einer Bausparzentrale denn einer Syndikatsstätte, wo der Arbeiterkampf organisiert wird. Es gilt schließlich auch in diesem Geschäft, die Konkurrenz auszuschalten.
Obwohl den Betroffenen unser Mitgefühl gilt: Der eigentliche Skandal in der FSFL-Affäre besteht weniger im stümperhaften oder gar kriminellen Umgang mit ihrem Geld. Die FSL wird sich möglicherweise auflösen – dies ist nicht nur ein juristisch notwendiger, sondern auch ein konsequenter Schritt. Eine gute Gelegenheit, ganz neu anzufangen und sich noch einmal gründlich über sinnvolle Aufgaben und Dienstleistungen einer Gewerkschaft zu besinnen. Wie glaubhaft ist eine Gewerkschaft, die sich für bessere Arbeitsbedingungen, gegen Entlassungen oder Lohnkürzungen einsetzen will und nebenbei auf dem Aktienmarkt die großen Geschäfte macht?
Das Beispiel US-amerikanischer Pensionsfonds, die weltweit ausschwärmen, um möglichst rentable Geschäfte zu machen und dabei auch vor Rationalisierungen und Massenentlassungen nicht zurückschrecken, zeigt, dass der Interressenkonflikt vorprogrammiert ist. Für einzelne Verbände, die finanziell besonders gut dastehen, mag ein möglichst geschicktes Finanzgebaren unter dem Strich sinnvoll sein. Eine Gesamtsicht der Dinge zeigt allerdings schnell, dass überdurchschnittliche Gewinne auf dem Aktienmarkt immer zu Lasten anderer gehen. Wenn nicht die KollegInnen von nebenan, dann vielleicht die aus fernen Ländern.
Die Affäre Nickts ist eine gute Gelegenheit, über die juristische und gesellschaftspolitische Definition der Gewerkschaften und ihrer Daseinsberechtigung (im Kapitalismus) neu nachzudenken. Denn nur weil etwas nicht verboten ist, ist es auch gleich sinnvoll.