Gleichstellung: Die Qual mit der Quote

Vergangene Woche präsentierte Lydia Mutsch ihre Pläne, die Quote gesetzlich zu verankern und Betriebe wie Parteien bei Nicht-Einhaltung zu sanktionieren. Ein Stück Gleichstellungsgeschichte?

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Für sie führt kein Weg an der Quote vorbei. Lydia Mutsch am Rande der Vorstellung ihrer Pläne im Chancengleichheitsministerium. (Foto: woxx)

Am 23. September feierte der Nationale Frauenrat (CNFL) sein 40-jähriges Bestehen mit einer Veranstaltung, bei der sich die überwiegend arrivierten Anwesenden eifrig auf die Schultern klopften. Doch die Zeiten, in denen der CNFL noch Frauenrechte erkämpft hat, sind längst passé. Zwar wurde Frauen in Luxemburg schon vor rund 97 Jahren qua Verfassungsreform, und aus pragmatischen Gründen, das Wahlrecht zugestanden (am Vorabend des Referendums über die Monarchie), was im Vergleich zu Frankreich, wo dies erst 1944 (!) geschah, fast als fortschrittlich gelten kann. Doch erst 1967 saß ein weibliches Mitglied auf den Regierungsbänken, und auch die zivilrechtliche Gleichstellung von Frauen ließ lange auf sich warten. Erst vor vierzig Jahren wurde die Regelung eingeführt, dass im Falle einer Scheidung die Rente zwischen den Ehepartnern aufgeteilt wird. Dies war freilich auch ein Verdienst des CNFL. Mehr als 30 weitere Jahre sollten ins Land gehen, bis die Chancengleichheit in der Verfassung festgeschrieben wurde (2006). Und doch war der Begriff in Luxemburg bisher auf der Ebene der politischen Entscheidungsträger mehr Zierde als wirklich gewolltes politisches Ziel im Lebensalltag.

Nun scheint die sozialistische Gleichstellungsministerin in punkto Gleichstellung Nägel mit Köpfen machen zu wollen. Bereits bei den 40-Jahr-Feierlichkeiten des CNFL kündigte Lydia Mutsch an, dass die Regierung gerade eine wichtige Etappe auf dem Weg zu einem wirklichen Gleichgewicht zurückgelegt habe. Ihr Vorentwurf zum Gesetzesprojekt sieht unter anderem eine verbindliche Quote von 40% für die Kandidatinnen auf den Listen der Legislativwahlen und paritätische Listen für die Europawahlen vor – bei Nicht-Einhaltung drohen Kürzungen der Parteifinanzierung. Eine staatliche Regulierungsmaßnahme zugunsten der Gleichstellung, die zumindest in den Reihen der wenigen liberalen Verfechter unter den sogenannten Liberalen auf Kritik(er) stoßen könnte.

Sie hoffe aber, so die Ministerin, dass es bei den nächsten Wahlen eine Ehrensache für die Parteien sein werde, die neue Direktive umzusetzen.

Vergangenen Dienstag legte Mutsch der Presse nun die Details der geplanten Gesetzesreform dar und erklärte ganz ohne falsche Bescheidenheit, dass mit dem Gesetzesentwurf auch ein Stück Chancengleichheitsgeschichte geschrieben werde. Sollte Mutschs Vorhaben den Staatsrat passieren und in Gesetzesform gegossen werden, so könnte es die umstrittene Quote möglicherweise ein Stück weit richten.

Der Vorentwurf sieht neben der pflichtmäßigen verstärkten Repräsentation im parlamentarischen Bereich unter anderem auch Veränderungen im Arbeitsrecht vor. Finanzielle Sanktionen sollen die Unternehmen bei Nicht-Einhaltung zur Räson bringen. So könnten in Zusammenarbeit mit der Gewerbeaufsicht (ITM) und dem Arbeitsgericht bei Nicht-Einhaltung der Quote künftig Strafmaßnahmen in Höhe von bis zu 25.000 Euro verhängt werden. Auch das Modell der „Actions positives“, Lieblingsinstrument ihrer Amtsvorgängerin Hetto-Gaasch, will Mutsch weiterführen. Unternehmen konnten bisher und können zukünftig freiwillig an ihnen teilnehmen. Sie werden mit finanziellen Zuschüssen in Höhe von 9.000 Euro pro Jahr belohnt, sofern sie nachweisen können, dass ihr Betrieb Anstrengungen in Sachen Lohngleichheit unternimmt. Hierzu müssten Betriebe sich konkrete, nachweisbare Ziele setzen – insbesondere bei der Besetzung der Verwaltungsräte und Direktionskomitees, erklärte Mutsch. Denn bisher sei oftmals kaum nachzuprüfen, ob die Ziele tatsächlich erfüllt wurden. In einer weiteren Modifikation des Arbeitsrechts soll festgelegt werden, dass die Subventionierungs-Prozeduren künftig nicht mehr über das Gleichstellungs-Ministerium, sondern direkt über das Arbeitsministerium abzuwickeln sind. Mutsch erhofft sich davon eine Reduzierung des administrativen Aufwands.

Nicht zuletzt will die Gleichstellungsministerin bei der politischen Partizipation mit einer Quote nachhelfen. Schon im Koalitionsprogramm hatte die amtierende Regierung, von deren 15 Ministern nur vier Frauen sind, die mit recht klassischen Dossiers (Kultur, Familie, Gleichstellung, Gesundheit und Nachhaltigkeit) abgespeist wurden, festgeschrieben, dass man künftig 40 Prozent Frauen auf die Wahllisten nehmen wolle. Der zweite Teil des Gesetzesprojektes betrifft die Einführung einer Quote für die KandidatInnenlisten der Parteien, auf denen Frauen zu zumindest 40% repräsentiert sein müssen. Von 60 Kandidaten müssten also mindestens 24 Frauen sein, so die Formel für die Legislativwahlen, die jedoch erst bei den übernächsten Wahlen (ab 2023) voll zum Tragen kommen soll. Bei den kommenden Nationalwahlen 2018 soll sie nur halb gelten, sodass bei einem Verstoß allenfalls die Hälfte des Strafbetrages anfällt. Mit dieser Übergangsphase will Mutsch den Parteien etwas Luft geben, sich auf die Änderungen einzustellen und das Modell wirklich umzusetzen. Eine Gnadenfrist auch für die eigene Partei angesichts der Tatsache, dass gerade die LSAP bei den letzten Legislativwahlen nur insgesamt 15 Frauen hatte aufstellen können – auf der Wahlliste im Norden des Landes fand sich sogar nur eine Frau unter zehn Kandidaten. Ein Misstand, den seinerzeit allein Alex Bodry schönzureden versuchte. Sie hoffe aber, so die Ministerin, dass es bei den nächsten Wahlen eine Ehrensache für die Parteien sein werde, die neue Direktive umzusetzen.

Abseits der alten sozialistischen Ausrichtung auf die Arbeitsgesellschaft, die in ihrer produktivistischen Ideologie ja sehr kapitalismuskompatibel ist, mag die Gleichstellungsministerin Emanzipation auch nicht konsequent zu Ende denken.

Bei den Europawahlen sollen die Parteien künftig paritätische Listen aufstellen. Auch hier droht bei Nichteinhaltung eine Kürzung der Parteienfinanzierung. Eine verpflichtende Quote auf Gemeindeebene ist jedoch vorerst nicht vorgesehen. Die Durchsetzung einer solchen Quote durch die Drohung von Zuwendungskürzungen ist auf kommunaler Ebene nicht wirksam, weil die Parteienfinanzierung bei den Kommunen nicht greift. In den Gemeinden ist der Missstand bei der Gleichstellung allerdings im Schnitt noch desaströser als auf nationaler Ebene: Der Frauenanteil liegt hier bei gerade einmal knapp 25%, in den Schöffenräten bei 19%, und nur gut 11% Frauen bekleiden das Amt des Bürgermeisters. Diesem Mißverhältnis will Mutsch durch finanzielle Prämien für Gleichstellungsinitiativen entgegenwirken. Ein etwas hilfloser und vermutlich recht folgenloser Ansatz.

Doch scheint es der Ministerin neben der seit Regierungsbeginn propagierten Quote, von deren provokativer Affen-Gleichstellung-Kampagne sich manche Männer vor den Kopf gestoßen fühlten, weitgehend an Ideen zu fehlen. Oder anders gesagt: Abseits der alten sozialistischen Ausrichtung auf die Arbeitsgesellschaft, die in ihrer produktivistischen Ideologie ja sehr kapitalismuskompatibel ist, mag sie Emanzipation auch nicht konsequent zu Ende denken. Auf die Frage eines Kollegen, was sie Frauen zu tun empfehle, damit diese im Rentenalter nicht am Hungertuch nagen müssen, antwortete Mutsch schlicht: „Ich rate ihnen, full-time zu arbeiten.“

Anlässlich der Pressekonferenz verwies die Ministerin zwar immer wieder auf den positiven Trend, doch ändere sich die Situation der Ungleichheit insgesamt nur langsam. Man müsse Frauen eben zu einem frühen Zeitpunkt motivieren und ihnen die Chance geben, in Gremien und Verwaltungsräten mitzuwirken, riet Mutsch und empfahl damit in gewisser Weise ihren eigenen Lebensweg als Vorbild. In den letzten Wochen habe sie mit einer Reihe von Parteimitgliedern gesprochen und festgestellt, dass der Wille da sei, sich Instrumente zu schaffen, um mehr Frauen auf die Listen zu nehmen. Das Reservoir werde größer. Ein Scheitern im Staatsrat oder gar eine Kampfabstimmung scheint für das Gesetzesvorhaben also eher unwahrscheinlich.

Der Nationale Frauenrat hieß die Anstrengungen der Regierung in Sachen Gleichstellung denn auch gut und warb auf seiner Geburtstagsfeier für seine neue Initiative. Mit seinem Projekt „Rues au féminin“ will der CNFL die Gemeinden dazu bewegen, verstärkt Frauen bei der Wahl von Straßennamen in neuen Vierteln zu berücksichtigen. Ein Vorhaben, das mit gutem Willen, Sensibilität und einem entsprechenden Bildungs-Background funktionieren kann, wie der Schöffenrat in Düdelingen bewies.

Dass selbst eine Straßenbenennung noch die tiefsitzenden Kastrationsängste der an die 80 Prozent-Quote gewöhnten Männer mobilisieren kann, zeigt ein Vorfall aus Differdingen.

Anlässlich der 40-Jahr-Feierlichkeiten wurde das Engagement des sozialistischen Düdelinger Bürgermeisters vom CNFL auch ausdrücklich gelobt, zumal Dan Biancala 100% der letzten Straßen-Neu- oder Umbenennungen im Viertel „Lenkeschléi“ ausnahmslos nach Frauen benennen ließ. Animiert durch die CNFL-Initiative, hatte der Schöffenrat in Düdelingen schon vor etwa zwei Jahren seine Absicht bekundet, alle Straßen in dem neuen Wohnviertel nach Frauen zu benennen, um so der Gleichstellung wenigstens auf diesem Gebiet ein wenig näher zu kommen. Die Dienststelle für Gleichstellung hatte darum Vorschläge gesammelt und Frauen-Biografien recherchiert. So ergaben sich zehn mögliche Straßen-Namensgeberinnen, die einen direkten Bezug zu Düdelingen hatten, berichtet die Gleichstellungsbeauftragte Düdelingens, Annabelle Laborier-Saffran. Nachdem im Februar 2015 der Gemeinderat dem Vorschlag zugestimmt hatte, wurden fünf Straßen und ein Platz nach Frauen benannt, die in Düdelingen gelebt oder gewirkt haben.

Die Zeiten des Gleichstellungskampfes sind wohl vorüber. Festakt zu 40 Jahren Nationaler Frauenrat.

Die Zeiten des Gleichstellungskampfes sind wohl vorüber. Festakt zu 40 Jahren Nationaler Frauenrat.

Dass selbst eine Straßenbenennung noch die tiefsitzenden Kastrationsängste der an die 80%-Quote gewöhnten Männer mobilisieren kann, zeigt ein Vorfall aus Differdingen. Höhnisches Gelächter erntete der linke Gemeinderat Gary Diederich, als er vor zwei Jahren, während der öffentlichen Gemeinderatssitzung vom 18. September 2013, (Tagesordnungspunkt 6 – „Dénomination de rues: rue accès vers les Terrasses de la Ville“) vorschlug, bei Straßenumbenennungen doch eine Anstrengung zu unternehmen, Straßen nach Frauen zu benennen. „Ist Ihnen „la terrasse“ nicht weiblich genug?“ („Dat heescht de fait, dat es la terrasse ass, gëtt iech net duer!“), kommentierte Claude Meisch, zu der Zeit noch Differdingens Bürgermeister, unter dem Gelächter seiner männlichen Parteikollegen.

Dass Macho-Gehabe in vielen Gemeinden eher die Regel ist, diese Erfahrung musste auch Corinne Cahen machen, als sich kürzlich ein Parteikollege aus der Südsektion in Bezug auf die geplante 40-Prozent-Quotenregelung ihr gegenüber beklagte: „Dann müssen wir jetzt also 40 Prozent kompetente Frauen finden!“ „Und 60% inkompetente Männer“, entgegnete ihm die Familienministerin darauf trocken.

Nun mag Sprücheklopfen in der Minette ziehen und auch in der Ära Juncker noch zum Umgangston gehört haben, doch allmählich scheint sich der Wind zu drehen. Und doch scheint in der Gesellschaft wie in den Medien noch immer die Tendenz zu bestehen, sich über unbezahlte Spanferkel-Rechnungen oder Fahrten mit dem Dienstwagen in den Ski-Urlaub bei Frauen in politischen Führungspositionen wesentlich stärker zu ereifern als bei Männern. Sogleich steht die Unterstellung der Inkompetenz im Raum. Wird hier mit gleichem Maß gemessen? Dass Frauen gerade in Spitzenpositionen fleißiger, ja besser sein müssen als Männer scheint noch immer selbstverständlich.

Zwar kann sich Schweden mit einer Vorzeigequote von 40 Prozent Frauenanteil im Parlament sehen lassen, doch verbirgt der sogenannte „Skandinavische Staatsfeminismus“ auch nach wie vor bestehende Ungleichheiten.

Gendersensibilität wird einem in Luxemburg sicher nicht mit in die Wiege gelegt, der Weg zur Gleichstellung ist steinig, und Quoten sind sicher nicht das Allheilmittel – dessen ist sich auch Lydia Mutsch bewusst. Und dennoch sind sie noch immer das pragmatischste Mittel, das sich auch in den Nachbarländern als effizient erwiesen hat. Nach der Einführung von Quoten 1999 in Belgien habe sich der Anteil der Frauen in der Regierung mehr als verdoppelt (von 19,3% auf 41,3%), berichtete Mutsch. Blicke man gar nach Skandinavien, so sei Gleichstellung dort längst Realität, so Lydia Mutsch. Zwar kann sich Schweden mit einer Vorzeigequote von 40 Prozent Frauenanteil im Parlament sehen lassen, doch verbirgt der sogenannte „Skandinavische Staatsfeminismus“ auch nach wie vor bestehende Ungleichheiten. So arbeiten Frauen dort meist im staatlichen Sektor, während das Gros der Männer die besser bezahlten Posten in der Privatwirtschaft innehat. Eine klaffende Schere bei den Löhnen und Gehältern ist die Folge davon. Zu hohe Erwartungen wird die Quote also nicht erfüllen, die gefestigte und systematische soziale Ungleichheit ist äußerst wirkungsvoll.

Wie etwa selbst bei „Full-time-Arbeit“ die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern bei gleicher Arbeit in Luxemburg – wo Frauen noch immer im Schnitt (laut Statec) acht Prozent weniger verdienen als Männer – künftig behoben werden kann, dafür fehlt es bisher an Rezepten. Ob es helfen wird, das Prinzip der Lohngleichheit im „Code du travail“ zu verankern? Am 13. Oktober will Mutsch ihren Gesetzesentwurf dem Parlament präsentieren. Sollte er das gnädige Placet ihrer männlichen Kollegen finden und vom Regierungsrat durchgewunken werden, so könnte das Gesetz vielleicht in der Tat ein Stück Gleichstellungsgeschichte schreiben.


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