Historischer Moment für queere EU-Bürger*innen

Die Europäische Kommission hat gestern die erste EU-Strategie zur Gleichstellung von LGBTIQ-Menschen seit Bestehen der Union vorgelegt. Ein Moment zwischen „Juhu“ und „Naja“.

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„Ich kenne kein Pardon, wenn es darum geht, eine Union der Gleichberechtigung zu schaffen,eine Union, in der jeder und jede sich selbst treu bleiben und lieben kann, wen er oder sie will – ohne Angst vor Verleumdung oder Diskriminierung“, sagte die EU-Präsidentin Ursula Von der Leyen im September 2020 in ihrer Rede zur Lage der EU. Sie kündigte eine europäische Strategie zur Gleichsstellung von LGBTIQ-Menschen an, zum Teil als Reaktion auf die andauernde Queerfeindlichkeit Polens und Ungarns. Die Strategie wurde gestern von der EU-Kommission vorgestellt.

Im Zeitraum von 2020 bis 2025 gilt es Maßnahmen in diesen vier Bereichen umzusetzen: Bekämpfung von Diskriminierung, Gewährleistung der Sicherheit, Schutz von Regenbogenfamilien und Gleichstellung von LGBTIQ-Menschen weltweit. Darüber hinaus unterstützt und fördert die EU-Kommissarin für Gleichheitspolitik, Helena Dalli, die Bekämpfung der Diskriminerung von LGBTIQ-Menschen „in allen Politikbereichen und wichtigen Initiativen der EU“, wie es in der Pressemitteilung zur Strategie heißt.

Die Vorhaben

Die Kommission nimmt derzeit eine Bestandsaufnahme im Arbeitsbereich vor und geht der Frage nach, wie gut die seit 2000 bestehenden Richtlinien zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf umgesetzt werden. Bis 2022 soll ein Bericht vorliegen. Anschließend will die Kommission Rechtsvorschriften erarbeiten, die vor allem die Rolle von Gleichsstellungbeauftragten stärken soll. In der Pressemitteilung heißt es zudem, dass die EU einen Rechtsrahmen präsentieren möchte, „in dem speziell auf die mit Systemen der künstlichen Intelligenz verbunde Gefahr von Vorurteilen und Diskiminierung eingegangen wird“. Warum der Fokus in Sachen Diskriminierung auf dem Arbeitsbereich liegt und was das mit der künstlichen Intelligenz konkret bedeutet, ist unklar.

In Sachen Sicherheit ist für nächstes Jahr die Veröffentlichung einer erweiterten Liste der EU-Straftaten geplant. Sie soll unter anderem um Hassdelikte und Hetzte gegen LGBTIQ-Menschen erweitert werden. Die Kommission stellt in dem Kontext Finanzierungmöglichkeiten für Initiativen bereit, die gegen diese Formen von Gewalt vorgehen.

Ein weiterer Punkt, den Von der Leyen in ihrer Rede ansprach, wird umgesetzt: die grenzüberschreitende Anerkennung gleichgeschlechtlicher Elternschaft. „Wenn Sie in einem Land Vater oder Mutter sind, sind Sie in jedem Land Vater oder Mutter“, sagte die Präsidentin. Dem ist derzeit nicht so, denn es gibt Unterschiede zwischen den nationalen Rechtsvorschriften. Die gleichgeschlechtliche Elternschaft kann bei einem innereuropäichen Umzug gegebenfalls aberkannt werden. Die Kommission will eine Gesetzgebungsinitative zur gegenseitigen Anerkennung der queeren Familien erstellen und Maßnahmen zur Förderung der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften prüfen. Dass konservativ geführte Staaten wie Polen oder Ungarn sich hier kooperativ zeigen, ist allerdings äußerst fragwürdig.

Grunsätzlich will sich die EU auch fernab eigener Grenzen für LGBTIQ-Menschen stark machen, wie es in der Pressemitteilung heißt: „Die Kommission wird im Rahmen des Instruments für Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und internationale Zusammenarbeit, des Instruments für Heranführungshilfe und des Asyl- und Migrationsfonds Maßnahmen zur Gleichsstellung von LGBTIQ unterstützten.“

Die Vorstellung der Strategie ist ein Grund zur Freude, muss aber auch Gegenstand einer kritischen Analyse sein. Es gibt Aspekte, die wenig durchdacht erscheinen. Ein großes Problem: Nichts ist verpflichtend. Wie werden die Mitgliedsstaaten sanktioniert, die sich nicht an die Richtlinien halten und kein Interesse an der Gleichstellung haben? Gibt es Bestrebungen, die Diskriminierung im familiären und im schulischen Bereich zu bekämpfen? Was ist mit dem Schutz von LGBTIQ-Jugendlichen, die auf ein Zusammenleben mit homo- und queerfeindlichen Erziehungsberechtigten angewiesen sind und schlimmstenfalls auf der Straße landen? Der Eurobarometer 493 zur Diskiminierung in der Europäischen Union (2019) hält immerhin fest, dass nur 55 Prozent der Befragten sich beim Gedanken wohlfühlen, dass ihr eigenes Kind eine gleichgeschlichte Beziehung führt. Das Wohlbefinden sinkt beim Gedanken an intersex Partner*innen auf 44 Prozent, bei dem an trans Partner*innen auf 43 Prozent. Das offenbart zum einen, dass die Akzeptanz von Homosexualität und Queerness im Privatbereich gering ist. Andererseits zeigt es, dass trans und intersex Menschen stärker diskiminiert werden und deshalb prominenter in der Strategie auftauchen sollten. Eine ausführliche Besprechung der Strategie erfolgt kommende Woche in der Print-Ausgabe (1607) der woxx.


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