Queere Menschen in Polen: Kommt Zeit, kommt Rat – oder was?

Die Erkenntnisse der Delegation des Europarats zur Situation queerer Menschen in Polen sind ein schlechter Witz.

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Anfang der Woche traf eine Delegation des Europarats digital auf polnische Vertreter*innen aus der Politik und NGOs, um über die Lage queerer Menschen in Polen zu sprechen. Das Treffen wurde Ende Oktober angekündigt, wie die woxx berichtete. In einem öffentlichen Schreiben zeigt sich die Delegation nun beunruhigt und nennt die sexuelle Orientierung ein Thema, das in der polnischen Gesellschaft polarisiere – „you don’t say“, wie es so schön auf Englisch heißt.

Im September kam es in der ostpolnischen Stadt Lublin bei einer Pride-Parade zu heftigen Auseinandersetzung zwischen queerfeindlichen Gegendemonstrant*innen und den Teilnehmer*innen. Mehrere Menschen, darunter auch Journalist*innen, wurden verletzt. Im August wurden mindestens 48 Aktivist*innen bei Demos für LGBTIQA+ – Rechte festgenommen. Seit der liberale Warschauer Bürgermeister Rafał Trzaskowski 2019 eine Deklaration zur Verteidigung queerer Rechte unterschrieben hat, erklärten sich um die hundert Gemeinden und Regionen Polens als „LGBT-freie Zonen“ (Stand: Juni 2020). Die EU lehnte deshalb im August Förderanträge sechs betroffener Gemeinden im Rahmen eines Städtepartnerschaftsprogramms ab. Die polnische Regierung umging die Strafe der EU allerdings, indem sie den Gemeinden die Gelder – sogar mehr als die angefragten Beträge – aus dem Fonds zur Unterstützung von Gewalt- und Justizopfern auszahlte, der auf eine EU-Richtlinie zurückgeht.

Wer die Geschehnisse der letzten Monate verfolgt hat, kann über das von der Delegation benutzte „polarisieren“ deshalb nur müde lächeln. Es tobt vielmehr ein politischer Kampf zwischen der EU und Polen sowie ein physischer und verbaler zwischen den Befürworter*innen der Regierung unter Staatschef Andrzej Duda und queeren Menschen.

Die Delegation hebt in ihrem Schreiben hervor, dass Polen 1993 die Europäische Menschenrechtskonvention ratifiziert hat. Artikel 14 untersagt explizit die Diskriminierung von LGBTI Menschen und fordert die lokalen Autoritäten zu deren Schutz auf. Umso erstaunlicher ist es, dass die Beobachtungen der Delegation erst Anfang nächsten Jahres in einen Bericht des Europarats „zur Rolle und Verantwortung lokaler Autoritäten im Schutz von LGBTI Menschen“ einfließen sollen. Polen verstößt offensichtlich – darüber war sich die Mehrheit der EU-Abgeordneten bei einer Plenarsitzung zum Thema im September einig – gegen die Menschenrechtskonvention. Sanktionen bleiben trotzdem aus.

Stattdessen betreibt die polnische Regierung mitten in Europa nicht nur offen, frech und fast ungehindert eine queerfeindliche Politik. Sie will auch Frauenrechte beschneiden. Zuerst drohte sie mit der Aufhebung der IstanbulKonvention, die unter anderem Gewalt gegen Frauen verurteilt, jetzt nahm das Verfassungsgericht einen Gesetzesentwurf an, der den Schwangerschaftsabbruch bei kranken oder irreversibel geschädigten Föten verbietet. Nach einem Bericht der Tagesschau vom 30. Oktober, will Staatschef Duda nach heftigen Protesten dazu einen neuen Gesetzesentwurf vorlegen. Dieser soll den Abbruch erlauben, wenn es nach medizinischem Gutachten voraussichtlich zur Totgeburt kommt oder die Lebenserwartung des Kindes niedrig ist. In demselben Artikel heißt es jedoch auch: „Bereits jetzt [haben] viele Frauen in Polen (…) bei vorliegender medizinischer Indikation große Schwierigkeiten, einen Schwangerschaftsabbruch im örtlichen Krankenhaus zu bekommen. Denn das polnische Recht ermöglicht es Ärzten und Pflegepersonal, diese Eingriffe per Gewissensentscheidung abzulehnen.“

Und was macht die EU? Erstmal beobachten, zumindest was die Sache mit der Queerfeindlichkeit angeht. Erhobene Zeigefinger schrecken die polnische Regierung nicht davor zurück, die Rechte marginalisierter Personen einzuschränken. Es bedarf jetzt klarer Zeichen und der konsequenten Verteidigung der Menschenrechte. Ohne Wenn und Aber.


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