„Untouchable“ schildert den Aufstieg und Fall des Produzenten Harvey Weinstein. Dabei verpasst der Film es, sexualisierte Gewalt in einem größeren Kontext zu thematisieren.
Wer einmal Opfer von Missbrauch wurde, weiß um die unzähligen Faktoren, die eine solche Erfahrung noch traumatischer machen: Die Selbstvorwürfe, nicht vorsichtig genug gewesen zu sein, die Tat durch das eigene Verhalten irgendwie mitverschuldet zu haben. Das Gefühl, mit seiner Erfahrung alleine zu sein und niemanden zu haben, der versteht, was man gerade durchmacht. Die Angst, dass es wieder passieren könnte, dass einem nicht geglaubt wird oder geholfen werden kann. Und dann das Wissen um die Menschen, die einfach nur tatenlos zusehen und dadurch das Missbrauchsverhalten implizit befürworten.
Um all diese Dinge geht es in „Untouchable“. Eineinhalb Jahre nachdem „The New Yorker“ mit dem Artikel „From Aggressive Overtures to Sexual Assault: Harvey Weinstein’s Accusers Tell Their Stories“ das jahrzehntelange Missbrauchsverhalten des Hollywoodproduzenten öffentlich bekannt machte, lässt die Dokumentation zahlreiche seiner Opfer und früheren Mitarbeiter*innen zu Wort kommen.
Oft würden wir uns als Gesellschaft auf die groteskesten Fälle fokussieren, diese bekämpfen und denken, dass das Problem anschließend gelöst sei, beschreibt eines der Opfer eine weit verbreitete Haltung im Umgang mit Weinstein. „Untouchable“ ist diesbezüglich nicht ganz unschuldig: Zwar blendet der Film nicht aus, dass das toxische System Hollywood Weinsteins monströses Verhalten wesentlich begünstigte. Dadurch, dass sich Regisseurin Ursula Macfarlane jedoch ausschließlich auf den ehemaligen Produzenten konzentriert, trägt auch dieser Film zu einer Kultur bei, die nur die besonders schlimmen Fälle zur Kenntnis nimmt.
In vielerlei Hinsicht war Harvey Weinstein eine Ausnahmeerscheinung und „Untouchable“ verwendet nicht wenig Zeit darauf, dies zu vermitteln. Am besten funktioniert der Film jedoch in Momenten, in denen er die Gemeinsamkeiten zwischen extremen Fällen wie diesem und sehr viel alltäglicheren aufzeigt. „He really thinks he’s telling the truth“, meint eine Person im Film. Weinstein gehe davon aus, dass wenn er bekomme, was er wolle, dies einvernehmlich passiere. Ein Phänomen, das immer wieder anzutreffen ist, wenn es um sexualisierte Gewalt geht: Menschen, die sich keiner Schuld bewusst sind, weil das Opfer sich nicht merklich gewehrt hat.
Der Film hätte durchaus weitergehen können. Es ist schade, dass er keine Informationen oder Perspektiven enthält, die nicht ohnehin schon längst bekannt sind. In dieser Hinsicht enttäuscht „Untouchable“ im Vergleich zu „Leaving Neverland“ (2019), einem Film über zwei Opfer Michael Jacksons, der anhand psychologischer Inputs Ursachen und Folgen von Kindesmissbrauch thematisierte.
Seine Wirkung verfehlt „Untouchable“ trotzdem nicht. Es ist eindrucksvoll zu hören, wie Weinsteins Opfer ihr Verhältnis zum Produzenten beschreiben, die Angst, die er einzuflößen vermochte und das Gefühl, als Frau keine andere Wahl zu haben, als das von ihm aufgezwungene Spiel mitzuspielen, wenn man in Hollywood Karriere machen wollte. „I had made it clear that I wasn‘t ‚that’ kind of actress“, erzählt Schauspielerin Erika Rosenbaum im Film. Mit „that“ meint sie, eine Schauspielerin, die Sex mit Männern hat, um ihre Karriere anzukurbeln. Wie Rosenbaum auf schmerzhafte Weise erfahren musste, ist die Situation keineswegs so schwarz-weiß, wenn junge, mittellose Schauspielerinnen sexuelle Begegnungen mit mächtigen Produzenten erleben.
„Untouchable“ zeigt nichts Neues, in Zeiten von MeToo ist der Film aber eine wirkmächtige Erinnerung daran, dass Missbrauch viele Gesichter hat und nicht immer auf Anhieb erkannt wird – nicht einmal von den Betroffenen selbst.
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