Jenny Offills Roman „Weather“: Unfit für den Weltuntergang

Wie soll man bloß eine Apokalypse durchstehen? Mit dieser Frage beschäftigt sich die amerikanische Autorin Jenny Offill in ihrem Roman „Weather”. Spannend ist, wie sich in dem fragmentarisch erzählten Werk der vermeintliche Zusammenbruch der allgemeinen Ordnung auch im Privaten widerspiegelt.

Wie bereitet man sich auf das Ende der Welt vor? Wie wird aus einer Thunfischdose eine Öllampe? Warum kann Kaugummi auch als Fischköder dienen? Die New Yorker Bibliothekarin Lizzie Benson verdient sich ein Zubrot damit, besorgte Zuschriften von Menschen zu beantworten, die sich auf den Weltuntergang vorbereiten. Angeheuert wurde sie von ihrer früheren Universitätsprofessorin, die mittlerweile mit Vorträgen über den Klimawandel durch die USA tourt.

Dabei ist die Existenz der Menschen, die sich an sie wenden, noch nicht direkt bedroht. Ihre Dörfer sind nicht überflutet, sie leiden keinen Hunger und sie müssen auch nicht in Schlauchbooten vor Terror und Bürgerkrieg flüchten. Erst im Jahr 2047 werde New York zum ersten Mal von extremen Wetterphänomenen betroffen sein, so heißt es. Die jüngsten Ereignisse nach den verheerenden Überflutungen in unseren Gegenden und der extremen Hitzewelle im Westen der USA und Kanada haben indes gezeigt, dass alles vielleicht doch schneller gehen könnte als gedacht. Alte Sicherheiten erodieren. Dies bekommt auch Lizzie zu spüren, besonders in einem Amerika, das gerade Donald Trump zu seinem Präsident gewählt hat.

„Are you sure you’re my mother? Sometimes you don’t seem like a good enough person.”

Die Protagonistin von Jenny Offills jüngstem Roman „Weather“ ist gleichzeitig Mutter, Ehefrau, Schwester und Tochter. Lizzies Mutter hat nicht genügend Geld, um ihre Zahnprobleme behandeln zu lassen, stattdessen fährt sie durch die Stadt und verteilt Geld und Socken an Obdachlose. Auf dem Gewürzregal in Lizzies Küche müssen regelmäßig die Hinterlassenschaften der Mäuse weggeschrubbt werden, die angefangen haben, sich in der Wohnung einzunisten. Lizzies ehemals drogensüchtiger und psychisch labiler Bruder wird als frischgebackener Vater von Alpträumen gequält, in denen er sein Kind in einem überhitzten Auto vergisst. Nach einer Strafpredigt sagt Lizzies kleiner Sohn Eli zu seiner Mutter: „Are you sure you’re my mother? Sometimes you don’t seem like a good enough person.”

All das sind gleichwohl die Sorgen der Angehörigen einer relativ privilegierten Mittelklasse, die sich ihre Jobs aussuchen können und neben Beruf und Familie noch genügend Zeit haben, Meditationskurse zu besuchen. Ist ihr Weltuntergang der gleiche, den auch die Trump-Wähler*innen fürchten?

Es gibt in „Weather” keinen Plot im klassischen Sinne, keinen roten Faden, es ist vielmehr ein diffuses Gefühl der Bedrohung, das die kurzen Abschnitte zusammenhält. Die Autorin versetzt ihre Prosa mit Zitaten, Fragebögen, Gleichnissen, ja, sogar Witzen: „How does a Unitarian walk on water? She waits for winter.“

Mark Twain behauptete in einem bekannten Zitat, der Unterschied zwischen dem richtigen und dem fast richtigen Wort sei ungefähr so groß wie der Unterschied zwischen „the lightning bug and the lightning”. Offill findet immer genau das richtige Wort. Beeindruckend daran ist vor allem, dass das bei ihr so mühelos wirkt. Ihr Buch ist gleichermaßen poetisch und kaustisch, beängstigend und klug, im Tonfall lakonisch, nie moralisierend, und vor allem beeindruckend präzise. Ihre Protagonistin bereitet sich akribisch auf das mögliche Ende vor, erkennt dann aber, als sie atemlos und schweißgebadet gerade noch den Bus erwischt, dass sie physisch keinesfalls in der Lage ist, einen Weltuntergang durchzustehen. „I will die early and ignobly.”

„Weather ist der dritte Roman von Jenny Offill, die mit ihrer Familie in New York lebt. Die Tochter zweier Englischlehrer engagiert sich neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit auch politisch und unterstützt Umweltschutz-Organisationen, wie zum Beispiel das „Center for Biological Diversity“, welches sich um den Erhalt bedrohter Arten bemüht. Bislang schaffte es jedes ihrer Werke auf zahlreiche Best-of-Listen und war in der engeren Auswahl namhafter Buchpreise, so zum Beispiel des „Women’s Prize for Fiction”. Daneben hat sie auch mehrere Kinderbücher geschrieben. Die Idee zu dem aktuellen Roman entstand, als ihr selbst klar wurde, dass sie zwar oft über den Klimawandel und dessen Konsequenzen nachdachte, die Dringlichkeit der Bedrohung jedoch nicht wirklich fühlen konnte. Anfangs habe sie das Buch „Learning to die” nennen wollen, sagte sie der Literaturzeitschrift „Paris Review.

Am Ende findet sich die scheinbare Antwort auf existenzielle Fragen wie so oft im Privaten, in der Familie. Lizzie Benson findet Sicherheit bei Mann und Kind. Doch die vermeintliche Erlösung ist zugleich auch eine Last. Wer die Apokalypse überleben will, sollte keine Kinder haben, so heißt es. So ist die Familie Schutz und Bedrohung zugleich. „Freedom is just another word for nothing’s left to lose”, sang Janis Joplin. In „Weather” geht es um Menschen, denen unbegrenzte Freiheit und materieller Wohlstand versprochen wurde – und die nun alles zu verlieren haben.

Jenny Offill: Weather. Knopf, 224 Seiten.

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