Klimabedingter Weltuntergang: Umwelt kaputt, Mensch kaputt

Es ist durchaus rational, in Sachen Klimawandel mit dem Schlimmsten zu rechnen. Ein bedachtsamer Blick in die Geschichte bestätigt die Verwundbarkeit hochentwickelter Gesellschaften und liefert Ansätze für den Umgang mit existenziellen Krisen.

Den Untergang Roms nachvollziehen: Handzettel des Landesmuseums, Trierer Ausstellungskatalog, Konfliktsimulation der Spätantike.
 (Foto: lm)

Anfang August dieses Jahres veröffentlichte ein internationales Forschungsteam seine Analyse über die katastrophalen Folgen der Erderwärmung. Eine Analyse unter Hunderten könnte man meinen, und also kaum eine Meldung wert … Doch Luke Kemp von der Universität Cambridge und sein Team haben einen Aspekt der Klimaforschung aufgegriffen, der ihrer Ansicht nach zu oft beiseitegelassen wird: die Gefahr, dass der Klimawandel am Ende zum Aussterben der menschlichen Spezies führt. Denn auch wenn die neue Generation von Klimaaktivist*innen im Zeichen dieser Zukunftsangst steht, so beschränkt sich die Wissenschaft häufig auf den Hinweis, dass solche extremen Folgen des Klimawandels unwahrscheinlich sind. Im Fokus der Forschungsberichte stehen eher einschneidende, aber präzise eingrenzbare Veränderungen wie die Häufigkeit lokaler Wetterereignisse oder das Verschwinden einzelner Lebensformen.

Apokalypse als Weckruf

In seiner Analyse versucht das Team um Kemp keineswegs, die apokalyptischen Szenarien als besonders wahrscheinlich darzustellen. Sie ist ein Plädoyer dafür, dass auch weniger wahrscheinliche Ereignisse Beachtung verdienen, wenn sie besonders gravierende Folgen haben. Außerdem weist das Team auf Wechselwirkungen hin, mit denen sich negative Entwicklungen gegenseitig beschleunigen können. Dabei geht es nicht nur um geophysikalische Kippeffekte, sondern auch um Interaktionen von Klimaveränderung und Ernährungssicherheit, Weltwirtschaft, sozialer Stabilität sowie Geopolitik. Nicht zuletzt könnte ein größeres Bewusstsein für Katastrophenszenarien auch zu verstärktem Engagement für den Klimaschutz führen. Die Analyse, noch vor dem Ukrainekrieg konzipiert, erinnert daran, wie die Forschungsergebnisse zum „nuklearen Winter“ in den 1980er-Jahren die Diskussionen über atomare Abrüstung veränderten.

Ist die von Kemps Team befürwortete Dramatisierung wirklich eine gute Idee, um die Aufmerksamkeit der breiten Bevölkerung zu erregen? Es ist gewiss sinnvoll, Klimaszenarien zu erstellen und zu kommunizieren, die zwar nicht die wahrscheinlichsten sind, aber durchaus in den Bereich des Möglichen fallen.

Die Idee, gerade diese in den Vordergrund zu rücken, um die Menschen wachzurütteln, birgt allerdings auch Gefahren. Klimaskeptiker*innen könnten auf die Unwahrscheinlichkeit der Szenarien verweisen und argumentieren, die Umweltschützer*innen würden „wieder einmal übertreiben“. Das wäre umso bedauerlicher, als die wahrscheinlichen Szenarien schon für sich genommen erschreckend genug sind. So stellen die bei einer Erderwärmung um „nur“ 1,5 Grad zu erwartenden durchschnittlichen Schäden alles andere als einen glimpflichen Ausgang für Natur und Mensch dar, wie bereits der Sonderbericht des IPCC von 2018 belegte.

Überhaupt ist die Idee von Kipp- und Lawineneffekten nicht neu, so wenig wie die Taktik, den Teufel an die Wand zu malen, um für Klimaschutz zu mobilisieren. Bereits in den 1990er-Jahren wurde von manchen NGOs die kleinste Hitzewelle als Beweis für die Realität des Klimawandels gedeutet, obwohl die in den Kinderschuhen steckende Attributionsforschung solche Zusammenhänge damals, anders als heute, nicht hergab. Was dann dazu führte, dass jeder strenge Winter oder verregnete Sommer von den Klimaskeptiker*innen als Gegenbeweis benutzt wurde.

Kollaps im Kopf

Die Weltuntergangsszenarien als Hauptargument für Klimaschutz zu instrumentalisieren, setzt die Bewegung der Gefahr aus, ihre Glaubwürdigkeit zu verspielen. Eine sachliche Einbeziehung dieser Szenarien verdeutlicht allerdings, dass die Unzulänglichkeiten der nationalen und internationalen Programme gegen die Erderwärmung inakzeptabel sind – und rechtfertigt damit die derzeitigen, umstrittenen Schock-Aktionen von Klimaaktivist*innen.

Ein gewichtiges Argument, Untergangsszenarien in Betracht zu ziehen, ergebe sich aus dem Studium der Geschichte, so das Forschungsteam: „Klimaveränderungen (regional oder global) haben beim Kollaps oder der Transformation zahlreicher Gesellschaften der Vergangenheit und bei jedem der fünf Massenaussterben des Phanerozoikums eine Rolle gespielt.“ Sogar wenn die CO2-Emissionen kurzfristig reduziert werden, hat sich der „Carbon-Schub“ der vergangenen 200 Jahre mit einer in der Erdgeschichte noch nie dagewesenen Geschwindigkeit entwickelt – eine Herausforderung für Ökosysteme im Allgemeinen und für die ökonomisch-sozialen Organisationsformen der Spezies Mensch im Besonderen.

Von Massenaussterben redet man in der Regel rückblickend – unter dem harmloser klingenden Stichwort „Biodiversitätsverlust“ ist das Thema allerdings durchaus auf der politischen Tagesordnung. An die jüngste UN-Biodiversitätskonferenz, auch COP15 CBD (Conference of the parties to the Convention on biological diversity) genannt, waren große Erwartungen geknüpft worden. Am vergangenen Montag wurde zwar das angestrebte Rahmenprotokoll angenommen, es wird aber als unzureichend kritisiert, sowohl was die Tragweite der Maßnahmen als auch was die Nord-Süd-Finanztransfers angeht.

Klar ist, dass die jetzige Aussterbewelle vor allem auf die Kontamination oder Zerstörung von Lebensräumen und die Übernutzung natürlicher Ressourcen durch die Menschen zurückgeht. Klar ist aber auch, dass der fortschreitende Klimawandel diesen Prozess beschleunigen wird, selbst wenn über die Beschlüsse der COP15 hinausgehende, drastische Maßnahmen für einen umfassenden Artenschutz ergriffen werden. Der Verlauf der internationalen Klimaverhandlungen, mittlerweile bei ihrer COP27 angekommen, stimmt wenig optimistisch, was die Minderung der Erderwärmung, aber auch was die Chancen auf konsequente internationale Beschlüsse angeht. In diesem doppelten Sinne stellen die Warnungen vor einem Massenaussterben weniger Schwarzmalerei als eine realistische Einschätzung dar.

Die vier Reiter der Apokalypse, Viktor Vasnetsov,1887.

Übergang im Untergang

Was die Gefährdung der Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme des Menschen angeht, so liegt es nahe, beim Blick in die Geschichte den Untergang des Römischen Reiches als Modellfall heranzuziehen. Es handelt sich um einen der größten Einschnitte in der Geschichte Europas, der in eine Periode mündete, die vielleicht weniger „finster“ war als manchmal dargestellt, in der aber zuvor existierende politische und ökonomische Strukturen über Jahrhunderte neu erfunden und aufgebaut werden mussten. Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass über die innen- und außenpolitischen Faktoren hinaus auch Klimaveränderungen und andere Naturereignisse bei jenem Untergang eine Rolle gespielt haben.

Die Parallele ist verlockend: Wird die einem Imperium vergleichbare globalisierte Welt des 21. Jahrhunderts Opfer des Klimawandels wie schon vor ihr das Römische Reich? Doch wie jeder Vergleich hinkt auch dieser – was nicht heißen soll, dass eine sorgfältige Analyse des römischen Exempels keine interessanten Denkanstöße liefern könnte.

In Trier war von Juni bis November eine große Ausstellung über den Untergang des Römischen Reichs zu besichtigen. Der bei dieser Gelegenheit veröffentlichte Katalog verschafft einen guten Überblick über den Stand der Forschung. Herausgearbeitet wird dort unter anderem, dass „der“ Untergang sich über mehrere Jahrhunderte dahinzog, je nach Sichtweise, von einem Datum zwischen 235 (erster „Soldatenkaiser“) und 378 (Niederlage von Adrianopel) bis zu einem zwischen 476 (Absetzung des Kaisers Romulus Augustulus) und 568 (Einwanderung der Langobarden in Italien). Zwar bestand das Oströmische Reich noch bis 1453, doch während der Regierungszeit Justinians verloren die Strukturen des imperialen Roms ihre letzte Bedeutung.

Das Ausstellungsprojekt unter Beteiligung des bischöflichen Museums Am Dom war ebenfalls bemüht, die Aspekte herauszuarbeiten, die in dem Untergang einen Übergang erkennen lassen: den ins christliche Mittelalter, das nicht nur einen Verlust vergangener Errungenschaften bedeutete, sondern auch den Beginn einer neuen Zeit. Dennoch bleibt das Gefühl, dass ab dem 4. Jahrhundert eine komplexe und hochentwickelte Gesellschaft einen Zusammenbruch durchlebte, der zuvor unmöglich erschien und dem sie – nach den Reformversuchen Diokletians – nichts Wirksames mehr entgegenzusetzen hatte.

Rom: nicht an einem Grad untergegangen

Den Ursachen für diesen Zusammenbruch sind im Katalog mehrere Beiträge gewidmet. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass sich die aktuelle Forschung von klassischen monokausalen Erklärungsmodellen wie der „Völkerwanderung“, der Christianisierung oder der „moralischen Dekadenz“ verabschiedet hat. Die Wichtigkeit von innenpolitischen und wirtschaftlichen Faktoren wie Bürgerkriegen, Regionalisierung und wirtschaftlicher Umstrukturierung wird betont. Und, wie bereits erwähnt, wird die Rolle von Klimaveränderungen und Seuchen dokumentiert.

Wer die Erklärungen für den Untergang Roms nicht in den 400 großformatigen Katalogseiten sucht, sondern sich auf das vor Kurzem ausgestrahlte Arte-Feature „Qui a tué l’Empire romain ?“ verlässt, kann allerdings den Eindruck bekommen, dass die Umweltfaktoren – damals wie heute – die entscheidende Rolle spielen. Schließlich sind, das werden zumindest die Umwelt-NGOs nicht müde zu betonen, die natürlichen Ressourcen die Grundlage für menschliches Leben und Wirtschaften.

Der Film bietet auf spannende Art Einblick in wichtige Ereignisse der römischen Spätzeit und zeigt moderne Methoden der Archäologie. Leider vermittelt er auch eine einseitige Sicht auf Thesen, die in der Wissenschaft umstritten sind, von der Gravität der großen Seuche von 165 bis zum Plan zur „Wiederherstellung Roms“ von Kaiser Justinian. Auch was die Auswirkungen der Klimaveränderungen angeht, zeichnet der Film ein stark vereinfachtes Bild. Der Beitrag zur Rolle der Umweltkrisen im Katalog zur Trierer Ausstellung sieht demgegenüber Temperaturschwankungen und Seuchen als Faktoren, die mit anderen, unabhängigen Faktoren interagiert haben. Die klimatischen und epidemiologischen Herausforderungen hatten gravierende Auswirkungen, weil das Römische Reich zeitgleich durch andere innere und äußere Prozesse destabilisiert war. Um den „Untergang“ als multifaktoriellen Prozess sichtbar zu machen, hat das Ausstellungsteam einen Handzettel erstellt, auf dem die Zusammenhänge von Bürgerkriegen bis Naturkatastrophen grafisch dargestellt sind. Ein ähnliches Schema findet sich auch im Artikel von Luke Kemp und seinem Team, um zu zeigen, wie insbesondere die klimabedingte Ressourcenverknappung politische Krisen weiter verstärkt.

Wenn aber die klimatischen Veränderungen im Römischen Reich nur in Verbindung mit anderen Fehlentwicklungen zu einem Worst-Case-Szenario geführt haben, könnte man versucht sein, Entwarnung zu geben. Immerhin verfügt die Weltgemeinschaft über ungleich mehr wirtschaftliche und technische Ressourcen als das alte Rom, erscheint politisch stabiler und ist nicht von außerirdischen „barbarischen Invasionen“ bedroht. Die alarmierende Analyse von Kemp wird durch den Blick in die Geschichte erst einmal relativiert: Die Gravität der Auswirkungen des Klimawandels hängt nicht nur davon ab, um wie viele Zehntel Grad sich die Temperatur erhöht, sondern auch davon, wie die Menschheit die zeitgleichen anderen Herausforderungen meistert. Gute Chancen also für das „Global Village“, die Klima- und Biodiversitätskrise zu meistern?

Wenn’s nur das Klima wäre …

Der Schein trügt. Gerade in den von Kemps Team analysierten Bereichen, in denen der Klimawandel einen Schneeballeffekt auslösen kann, ist die Situation bereits jetzt kritisch. So, wie es dem Römischen Reich an Resilienz fehlte, um Seuchen, Missernten und äußeren Angriffen dauerhaft standzuhalten, ist auch die Weltgemeinschaft schlecht auf den von der Erderwärmung zu erwartenden Schock vorbereitet.

Wirtschaftspolitisch ist unklar, ob der globale Finanzkapitalismus noch über Spielräume verfügt, um nach dem Finanzkrach, der Pandemie und der kriegsbedingten Rezession auch noch die Herausforderungen der Erderwärmung und der Energiewende zu meistern. In allen Fällen haben sich die Entwicklungsperspektiven des globalen Südens verschlechtert. Das, in Verbindung mit der Konkurrenz um die Sicherung von Nahrungs- und Rohstoffressourcen, dürfte zu einer Verschärfung der internationalen Spannungen und Konflikte führen – statt zu einer mehr als je benötigten Koordination und Kooperation.

Auch die innenpolitische Stabilität der modernen Gesellschaften ist in Frage gestellt: Was auch immer die Gründe und Auswirkungen von Entpolitisierung und populistischen Diskursen sind, sie schaffen keine guten Vorbedingungen für den Umgang mit Krisen. Hinzu kommt die Möglichkeit eines außergewöhnlichen Ereignisses, für dessen Überwindung die vom Klimawandel fragilisierte Weltgemeinschaft nicht mehr ausreichend Ressourcen mobilisieren kann, zum Beispiel ein gewaltiger Vulkanausbruch wie im Jahr 536, der Einschlag eines großen Asteroiden oder auch – leider immer weniger unwahrscheinlich – ein begrenzter Atomkrieg.

Die im August veröffentlichte Analyse zum Anlass nehmen, um die Bekämpfung des Temperaturanstiegs als einzige Priorität einzufordern, wäre jedenfalls eine verfehlte Schlussfolgerung. Zwar könnte die Dramatisierung der Worst-Case-Szenarien dazu dienen, eine solche Herangehensweise zu legitimieren. Doch der ebenfalls von der Studie angeregte Blick in die Geschichte zeigt, dass nur Lösungen, die technische, wirtschaftliche, politische und soziale Prozesse integrieren, Erfolg versprechen.


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