Konferenz: Aline Mayrisch-de Saint-Hubert

Germaine Goetzinger präsentiert 
am 5. Oktober ihr neues Buch 
„Aline Mayrisch-de Saint-Hubert: 
Ein Frauenleben im Spannungsfeld von Feminismus, sozialem Engagement und Literatur“ im Centre national de littérature in Mersch. Im Austausch mit der woxx erklärt sie, was sie an Aline Mayrisch besonders fasziniert.

Germaine Goetzinger, renommierte Literaturwissenschaftlerin und Frauenforscherin in Luxemburg, sprach mit der woxx über ihren Bezug zu Aline Mayrisch-de Saint-Hubert, der sie 75 Jahre nach ihrem Tod eine Biografie gewidmet hat. (© Éditions Guy Binsfeld)

In Luxemburg-Stadt ist ein Gymnasium nach ihr benannt, in Bartringen eine Straße: Aline Mayrisch-de Saint-Hubert. Jetzt veröffentlicht die mehrfach ausgezeichnete Literaturforscherin Germaine Goetzinger eine der ersten vollständigen Biografien zur luxemburgischen Frauenrechtlerin, Autorin, Philanthropin und Literaturkritikerin. Am 5. Oktober, um 19:30 Uhr, bespricht Goetzinger ihr Buch „Aline Mayrisch-de Saint-Hubert: Ein Frauenleben im Spannungsfeld von Feminismus, sozialem Engagement und Literatur“, erschienen bei Éditions Guy Binsfeld, im Centre national de littérature (CNL) in Mersch. Christiane Rauchs, Schauspielerin, liest Textauszüge.

Im Ankündigungstext zur Konferenz ist von Mayrischs widersprüchlicher Lebensgeschichte und von Forschungslücken, die Goetzingers Buch schließt, die Rede. Von der woxx darauf angesprochen, verweist die Autorin auf den Colpach-Band von Robert Stumper, der lange als „maßgebliche Darstellung“ zu Aline Mayrisch galt. „Der Schwerpunkt liegt auf den späten Lebensjahren und auf Colpach, während Jugend und Kindheit, ihre frühen Brüsseler und Münchener Erfahrungen, der Erste Weltkrieg, aber auch die schwierigen Jahre in Cabris eher im Verborgenen bleiben“, sagt Goetzinger. Ihre Biografie erschließe hingegen neue Aspekte: „Das war unter anderem möglich durch die unerwartete Entdeckung neuer Quellen wie etwa dem Briefwechsel mit ihrer Tochter Andrée und dem mit der krankheitshalber ans Bett gefesselten Pianistin France Pastorelli.“ In Bezug auf die erwähnten Widersprüche in Mayrischs Lebensgeschichte führt Goetzinger das Nebeneinander ihres hohen intellektuellen Anspruchs und ihrer ausgeprägten Selbstzweifel sowie Minderwertigkeitsgefühlen an. Mayrisch habe sich regelmäßig zu Wort gemeldet, sich aber gleichzeitig dem Blick auf ihre Person entzogen. „Systematisch verwischte sie Spuren, widersetzte sich einer Darstellung ihrer Lebensgeschichte und erschwerte so die Arbeit einer zukünftigen Biografin“, erklärt Goetzinger.

Die Autorin ist in Düdelingen geboren, wo Mayrisch nach der Eheschließung mit Émile Mayrisch, Generaldirektor der Arbed, bis 1920 lebte. „Ich kenne die Häuser, wo sie gewohnt haben: das Alte Schloss vor dem Stahlwerk, das später zum Arbed-Casino wurde, und das Neue Schloss, das heißt die vom Architekten Octave van Rysselberghe konzipierte Villa auf Kreuzberg“, erinnert Goetzinger sich. „Ich ging durch die lange Emile-Mayrisch-Straße im Brill, kannte das ehemalige Économat bei der Kirche, die roten Backsteine, die charakteristisch für die Arbed-Gebäude waren, ob es sich um Industriebauten, Beamten- oder Arbeiterwohnungen handelte.“ Als Forschungsgegenstand sei Mayrisch für sie interessant geworden, als das Kulturministerium 1986 Mars Klein zu Arbeiten über die Luxemburger Literaturgeschichte anregte. Goetzinger interessierte sich zuerst für Mayrischs Engagement in der frühen Frauenbewegung, das auf Erfahrungen in München verwies und 1909 zur Schaffung eines Mädchengymnasiums in Luxemburg führte. „Die Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit und dem Wirken Aline Mayrischs (…) begleitete mich über mehr als drei Jahrzehnte und hat mich nie mehr losgelassen“, sagt Goetzinger. Trotzdem sei sie keine „bedingungslose Verehrerin“, sondern habe sich um ein „sachliches Bild und ein klares Erfassen ihrer historischen Repräsentativität“ bemüht.

„Aline Mayrisch hat mich nie mehr losgelassen“

Die Wahrnehmung von Mayrisch sei in Etappen geschehen, so Goetzinger. Sie sei zunächst auf die Rolle der Ehegattin des Stahlgiganten reduziert und ihr eigenes Engagement kaum gewürdigt worden. „Punktuelle Studien, wie die Arbeiten von Tony Bourg oder Marcel Engel, brachten dann Einzel-
aspekte zur Sprache“, sagt die Autorin. Die Quellenlage habe sich besonders durch die Arbeiten von Cornel Meders zu Mayrischs Briefwechsel mit André Gide und die Werke von Jean Schlumberger, Jacques Rivière und Marie Delcourt verbessert. Diese schafften die Grundlage für Goetzinger, um Mayrischs Leben als Ganzes darzustellen. Das war laut der Forscherin überfällig, auch wenn es ihr primär nicht darum ging, alle biografischen Details aufzuzeigen, sondern vielmehr darum, ein kohärentes und lesbares Bild von Mayrisch zu zeichnen. „Mir lag am Herzen, im Interesse von heutigen Lesern dem Narrativen den Vorrang zum Historiografisch-wissenschaftlichen zu geben“, präzisiert sie. „Das setzte voraus, das ich mir eine durchgehende Erzählsprache erschaffen musste, die es erlaubte, einen Blick auf ihr komplexes Leben zu vermitteln.“

Germaine Goetzinger leistet mit ihrer Biografie über Aline Mayrisch-de Saint-Hubert einen weiteren Beitrag zur Aufarbeitung der Frauengeschichte in Luxemburg. Feministische Belange prägen ihre Arbeiten seit jeher, auch wenn sie damit nicht immer auf offene Ohren stieß, als sie in den 1970er und 1990er-Jahren als Lehrkraft für Deutsch, beziehungsweise Neuere Deutsche Literaturwissenschaft tätig war. Besonders in den 1970er-Jahren spielten Frauen laut Goetzinger eine untergeordnete Rolle in der Literaturwissenschaft und im Literaturunterricht. „Ich konnte mit meinem 1983 im Fischer-Taschenbuch-Verlag veröffentlichten Buch über Louise Aston am Aufbruch einer feministischen Literaturwissenschaft teilhaben“, betont sie. „Am Centre universitaire de Luxembourg, wo ich in die Methoden der Literaturwissenschaft einführte, stieß mein Interesse für Women’s Studies nicht auf Gegenliebe. Meinem Vorschlag, einen entsprechenden Kurs in Luxemburg einzuführen, wurde schlicht eine Absage erteilt.“ Frauenleben und Literatur von Frauen hätten sie jedoch seit ihrer Arbeit über Aston weiterhin beschäftigt. „Besonders spannend fand ich die Möglichkeit, der allgemeinen Thematik auch an einem Luxemburger Beispiel nachzugehen. Hierzu drängte sich die Gestalt Aline Mayrischs geradezu auf“, schlussfolgert Goetzinger.

Aline Mayrisch-de Saint-Hubert: Ein Frauenleben im Spannungsfeld von Feminismus, sozialem Engagement und Literatur, am 5. Oktober, um 19:30 Uhr im Centre national de littérature Mersch.

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