Bauerbe und nachhaltige Entwicklung: Paradigmenwechsel nur auf dem Papier

Jedes Jahr erinnern im Herbst die „Journées du patrimoine“ an die Notwendigkeit, unser Bauerbe zu schützen. Doch die Abrisswelle läuft weiter.

„Luxembourg under Destruction“ und „Stoppt de Bagger“ laden am kommenden Dienstag, dem 4. Oktober, gegen 19 Uhr   zu einem Diskussionsabend zum Thema „Denkmalschutz quo vadis?“ im Sang a Klang ein. Der Architekt Christian Bauer sowie die Uni.lu-Professoren Florian Hertweck (Architektur) und Markus Hesse (Stadtforschung) sollen dabei helfen vor allem die gesellschaftspolitischen Hintergründe einer Ex-und-Hopp-Mentalität, die in Luxemburg ausgeprägter zu sein scheint als anderswo in Europa, zu beleuchten.

Noch bis zum Sonntag finden in Luxemburg die „Journées du patrimoine“ statt. In diesem Jahr stehen sie unter dem Motto „Kulturerbe und nachhaltige Entwicklung“. Eine speziell für die breite Öffentlichkeit erstellte Broschüre und 35 Veranstaltungen sollen für eine Sensibilisierung zum möglichst umfangreichen Erhalt bestehender Bauten beitragen. „Die Erhaltung des kulturellen Erbes ist auch Teil einer vernünftigen Ressourcennutzung und trägt somit zu den europäischen Zielen der nachhaltigen Entwicklung bei“, heißt es in der Broschüre. Damit wird die sogenannte „graue Energie“ thematisiert. Gemeint ist der Ressourcen- und Energieverbrauch (und die damit einhergehende Produktion von CO2), der dereinst beim Errichten solcher Gebäude entstanden ist. Ein Abriss mit darauffolgendem Neubau ginge einher mit einem erneuten Ressourcen- und Energieverbrauch, den es zu vermeiden gilt.

Kulturministerin Sam Tanson und Energie- und Landesplanungsminister Claude Turmes (beide Déi Gréng) wiesen auf einer Pressekonferenz am vergangenen Freitag darauf hin, wie sich nachhaltiger und ressourcenschonender Umgang mit alter Bausubstanz und Denkmalschutz ergänzen. Die in französischer Sprache verfasste Broschüre, wird während der noch verbleibenden Veranstaltungen verteilt. Elektronisch gibt es sie sich auch in englischer und deutscher Übersetzung, wenn man den Weg zur Liste der Publikationen auf der Website des Institut national du patrimoine architectural (Inpa) denn findet 
(woxx.eu/inpapublications)

Die Publikation versteht sich als Denkhilfe für Besitzer*innen älterer Häuser, die eine Renovierung ins Auge fassen. Sie erklärt, auf einfache und bewusst unvollständige Art und Weise wie solche Vorhaben konform mit dem Denkmalschutz durchgeführt werden und somit auch eventuell von staatlichen Fördergeldern profitiert werden kann. Bei kommunal über den jeweiligen Bebauungsplan (PAG) geschützten Häusern können diese Arbeiten mit bis zu 25 Prozent bezuschusst werden. Bei national anerkannten und entsprechend klassierten Objekten erhöhen sich die Subventionen auf 50 Prozent der investierten Summe. In besonderen Fällen, die von der Commission pour le patrimoine national entsprechend bewertet werden, kann die Beteiligung darüber hinaus gehen und sogar die gesamten Kosten umfassen – dann muss es sich allerdings um ein Baudenkmal von besonderem nationalen Interesse handeln.

Diese Finanzierungssätze gelten seit das neue Denkmalschutzgesetz vor acht Monaten in Kraft getreten ist. Die spürbare Differenzierung zwischen kommunal und national geschützten Häusern hat durchaus den Hintergedanken, betroffene Besitzer*innen dazu zu animieren, selber einen Antrag für die nationale Klassierung ihres Hauses zu stellen. Das vereinfacht nicht nur die Arbeit des Inpa, sondern vermeidet auch juristische Streitereien bei einer womöglich „unfreiwilligen“ Klassierung, wenn zum Beispiel ein schützenswertes Objekt nicht unterhalten und nur als lukrativer möglicher Bauplatz für einen Neubau bereitgehalten wird.

Ressourcenreservoir

„Es muss nicht immer alles abgerissen werden“, meinte Sam Tanson bei der Vorstellung der Broschüre und spannte ihrerseits einen Bogen zwischen dem Erhalt des Luxemburger Bauerbes und den klimapolitischen Zielen ihrer Regierung. Patrick Sanavia, Direktor des Inpa, wies in diesem Zusammenhang auf die oft hohe Qualität von alten Häusern in Sachen Energiebilanz hin, auch wenn die offiziell vergebenen Energielabels dies in der Regel nicht ausdrücken. „Alte Häuser sind auch ein Reservoir wertvoller Ressourcen“, sie seien zu schade, um sie einfach auf Bauschuttdeponien zu verfrachten. Der Erhalt und die Valorisierung alter Bausubstanz könne auch einen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft leisten, wenn Bestandteile von Gebäuden, die nicht als Ganzes erhalten werden, dennoch wieder zum Einsatz kommen.

Die Zusammenarbeit mit dem Energieministerium und insbesondere der Klima-Agence funktioniere schon seit Jahren, nicht erst seit dem Erstellen der vorliegenden Broschüre. Es sei wichtig, die Renovierung alter Gebäude als einheitliches Vorhaben zu sehen, und zum Beispiel eine Isolierung nicht anzugehen, ohne das Heizsystem gleich mitzudenken. Eine Isolierung an den Innenwänden anstatt an der Außenhaut mache in vielen Fällen nicht nur aus Sicht des Denkmalschutzes mehr Sinn.

Stand als Vorlage für eine Sensibilisierung-Broschüre nicht mehr zur Verfügung: 
Das Gehöft «Neihaisses» aus Leudelingen, 
hier beim Abriss 2017. (Foto: CC BY-SA 4.0 Sultan Edijingo/Wikimedia Commons)

Die Broschüre verweist denn auch auf die Zuwendungen, die im Falle einer energetischen Verbesserung bestehender Gebäude geleistet werden. Claude Turmes hob zudem die Notwendigkeit hervor, die Energiebilanz eines Gebäudes entlang seiner gesamten Lebenszeit zu berechnen. Wenn Luxemburg ab Januar 2023 als erstes europäisches Land Heizsysteme, die auf rein fossiler Energie basieren, bei neuen Gebäuden grundsätzlich verbiete, „verlagert sich der CO2-Footprint dieser Gebäude von der Nutzung auf den Ressourcenverbrauch bei der Erstellung“. Wenn der Abriss und die Zerstörung darin gelagerter grauer Energie in diese Rechnung mit einfließt, wird schnell klar, dass eine Erhalt bestehender Gebäude auch aus energiepolitischer Sicht sinnvoller ist.

In der Regel ließen sich die Beihilfen beider Ministerien ergänzen, so Turmes, der auch versprach, dass in Zukunft mehr auf denkmalpflegerische Aspekte geachtet werde. So soll in manchen Fällen die Voraussetzungen zur Förderung von Fotovoltaik angepasst werden, damit diese nicht mehr wie „ein Sattel auf einer Kuh“ aussehen muss.

Angesprochen auf die ebenfalls in der vergangenen Woche in Deutschland lancierte Initiative „abrissmoratorium.de“, dies in Verbindung mit der Frage, ob es denn, nachdem die Denkmalpflege und die Klima-Agence sozusagen Hand in Hand gehen, überhaupt noch eine Argument gebe, alte Gebäude abzureißen, wichen die beiden Minister*innen allerdings aus und verwiesen auf das verfassungsrechtlich verbriefte Recht auf Eigentum. Es gelte Anreize zu schaffen und den allgemeinen rechtlichen Rahmen so zu gestalten, dass die Investor*innen ein eigenes Interesse daran haben, den Bestand zu erhalten.

Sicherlich ist es zu früh, um ein erst acht Monate altes Gesetz zu bilanzieren. Doch insbesondere seit die durch den Corona-Lockdown 2021 bedingten Beschränkungen für die Baubranche aufgehoben worden sind, geht in Luxemburg die Zerstörung alter Bausubstanz wieder verstärkt vonstatten. Kein Tag vergeht, an dem nicht auf einschlägigen Facebookseiten oder in der Presse von kurz bevorstehenden oder gerade in Angriff genommenen Abrissarbeiten die Rede geht – obwohl es in den letzten Jahren schien, als ob sich in der Öffentlichkeit ein größeres Bewusstsein für die Wichtigkeit des Erhalts alter Bausubstanz entwickelt hätte.

CC BY-SA 3.0/GilPe – Wikimedia Commons

Eigentum vs. Denkmal

Das erwähnte Gesetz hatte 15 Jahre lang in den Schubladen der Gesetzgebungsorgane geschlummert, insbesondere weil vor allem der Staatsrat sich einer allgemeinen Regelung gesperrt hatte und auf individualisierte Gutachten für jedes einzelne Gebäude, das einer Klassierung unterzogen werden soll, bestand.

Während der Beratungen zum neuen Denkmalschutzgesetz hatte „Luxembourg under Destruction“ 2020 eine mit über 5.280 Unterschriften äußerst erfolgreiche Chamberpetition (1638) lanciert. Sie plädierte für eine Umkehr der Beweislast beim Abriss alter Gebäude: Derzeit können staatliche Behörden den Abriss alter Bausubstanz nur dadurch verhindern, wenn sie belegen, dass diese aufgrund bestimmter denkmalpflegerischer Kriterien einen besonderen Schutz genießt. Die Petition verlangte hingegen, dass der Abriss von Gebäuden, die vor 1955 errichtet wurden, nur dann möglich sein sollte, wenn dies beantragt und von Seiten der Bauherr*innen begründet wird. Im Einzelfall müsste also der geringe Wert eines Gebäudes aus Sicht des Denkmalschutzes nachgewiesen werden beziehungsweise ein gesellschaftliches Interesse bestehen, welches einem möglichen Schutz übergeordnet wäre.

Das Anliegen der Petition wurde zwar von den meisten politischen Bänken aus gelobt, fand aber keinen Widerhall im wenig später verabschiedeten Gesetz. Das hat sich vielmehr zum Ziel gesetzt, eine Art Bestandsaufnahme aller nach wissenschaftlichen Kriterien erhaltenswerten Denkmäler zu erstellen. Sämtliche so gelisteten Gebäude wären insofern geschützt, als ihr Abriss einer Genehmigung bedarf und die Behörden gegebenenfalls das Gebäude dann immer noch klassieren und (teilweise) schützen können.

Auch hier wird von einem Paradigmenwechsel ausgegangen, da Bauherr*innen von vornherein bewusst ist, dass eine Klassierung vorliegt oder kurzfristig erfolgen kann und deshalb schon in einem Frühstadium der Planung eine diesbezügliche Anfrage bei den Behörden erfolgen muss. Die Initiator*innen der Petition 1638 kritisierten allerdings, dass für diese Bestandsaufnahme ein langer Zeitraum veranschlagt werden müsse. Bis zum Abschluss bleibt das Register inkomplett und somit gelten die alten Regeln zum Teil weiter. Bei nicht gelisteten Gebäuden kann das Kulturministerium weiterhin erst nach Bekanntwerden eines Abrisses einschreiten. Mit dem bekannten Ergebnis, dass Baupromoter*innen eine solche „nachträgliche“ Klassierung von den Gerichten annullieren lassen können.

Während der Debatten zum Denkmalschutzgesetz ging Sam Tanson noch von einem Zeitraum von zehn Jahren aus, die es zur vollständigen Auflistung potenzieller Baudenkmäler bedürfe. Bislang ist aber erst eine Handvoll von Kommunen vollständig erfasst. Die Inpa-Verantwortlichen gehen von durchschnittlich 16 Stunden pro Haus, das zu begutachten wäre, aus und rechnen inzwischen mit 20 bis 25 Jahren, um die gesamte Erhebung abzuschließen.

Allerdings wird Inpa-Direktor Sanavia nicht müde auf die rund 25.000 Objekte, die schon jetzt klassiert, national gelistet oder zumindest kommunal geschützt sind, hinzuweisen. Das wären immerhin rund zehn Prozent der in Luxemburg existierenden Gebäude. Hier kann die Ministerin schon jetzt mit einiger Aussicht auf Erfolg einen Abriss verbieten oder zumindest auf einen Umbau oder eine Umnutzung nach denkmalpflegerischen Richtlinien pochen.

Doch rezente Beispiele zeigen, dass auch derartig geschützte Gebäude nicht vor Abriss, Entkernung oder massiver Zerstörung gefeit sind: Bestehende Klassierungen werden durch Gerichte aufgehoben, Zerstörungen in vorauseilendem Gehorsam genehmigt, obwohl im Vorfeld durchaus von einem gewissen bauhistorischen Interesse die Rede war. Doch gerichtliche Auseinandersetzungen werden wegen geringer Erfolgsaussichten gescheut, denn wenn Ansprüche auf Entschädigung wegen einer möglichen Gewinnminderung der Bauträger*innen geltend gemacht werden, muss der Staat unter Umständen hohe Summen aufbringen.

Schlimmer noch: Wie das Beispiel „Eeseburer Schlass“ zeigt, sind es auch öffentliche Bauträger*innen, die mit dem Prinzip eines möglichst weitgehenden Erhalts alter Bausubstanz hadern.

Debatte am 4. Oktober

Der Streit um die Frage, wieso es in einem Land wie Luxemburg, das nicht zu den ärmsten auf der Erde gehört und sich gerne seiner „kurzen administrativen Wege“ rühmt, nicht möglich ist, eine Politik der Stadt- und Landesentwicklung auf die Beine zu stellen, die auch ohne massive Zerstörung des Bauerbes auskommt, bleibt demnach, trotz allem nach außen getragenen politischen Willen, aktuell.

Aus diesem Grunde laden „Luxembourg under Destruction“ und „Stoppt de Bagger“ am kommenden Dienstag, dem 4. Oktober, gegen 19 Uhr zu einem Diskussionsabend ein. Der Architekt Christian Bauer sowie die Uni.lu-Professoren Florian Hertweck (Architektur) und Markus Hesse (Stadtforschung) sollen dabei helfen vor allem die gesellschaftspolitischen Hintergründe einer Ex-und-Hopp-Mentalität, die in Luxemburg ausgeprägter zu sein scheint als anderswo in Europa, zu beleuchten.


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