Lesung: Trans sein unterm Union Jack

Die Londoner Autorin Juliet Jacques liest am Samstag im Mudam aus ihrem Sammelband „Front Lines“ vor. Im Mittelpunkt stehen trans Menschen, doch vielleicht geht es im Museum auch um die britische Presse – und um Fußball.

Juliet Jacques ist eine britische Autorin mit vielseitigen Interessen, darunter der gesellschaftliche Einfluss von Fußball. (Copyright: Internaz/Francesco Alesi, CC BY-NC-SA 2.0)

Haben die Verantwortlichen des Mudam das falsche Kalenderblatt abgerissen oder braucht es in ihren Ausstellungshallen tatsächlich keinen Pride-Monat, um sich für queere Kulturschaffende zu interessieren? Diesen erfreulichen Eindruck erweckt zumindest das derzeitige Programm des Museums für Gegenwartskunst: Während noch bis zum 15. Oktober die Einzelausstellung „Pleasure and Pollinator“ der amerikanischen trans Künstlerin Tourmaline läuft – eine Kurzrezension der Schau gibt es diese Woche als Expotipp auf Seite 21 – , ist am Samstag die trans Autorin Juliet Jacques auf dem Kirchberg zu Gast.

Jacques liest von 16 bis 18 Uhr aus ihrem englischsprachigen Sammelband „Front Lines“ vor. Dabei handelt es sich um eine Auswahl journalistischer, essayistischer, immer aber kritischer Texte, die sie zwischen 2007 und 2021 geschrieben hat. Die Themen: trans Leben und ihre Repräsentation, Transfeindlichkeit in Großbritannien und anderswo, Publikationen von trans Autor*innen sowie der Umgang von trans und nicht-binären Menschen mit den weltweiten Angriffen auf ihre Rechte und Sichtbarkeit. Das Buch wurde letztes Jahr mit einer neuen Einführung veröffentlicht, die den Fokus auf die Beziehung zwischen der britischen Presse und trans Personen in den 2010er-Jahren legt.

Damit beschäftigte sich 2021 bereits Shon Faye ausführlich in ihrem lesenswerten Debüt „The Transgender Issue“. Juliet Jacques rezensierte das Buch für das britische Kulturmagazin „Frieze“. Beide Autorinnen halten fest, dass die britische Presse in den letzten Jahren die Hetze gegen trans Personen unterstützt hat und zitieren ein besonders tragisches Beispiel: Die trans Lehrerin Lucy Meadwos beging 2012 Suizid, nachdem sie von den Eltern ihrer Schüler*innen schikaniert wurde und die Boulevardzeitung Daily Mail später aufgrund ihres Genders ihre Eignung als Grundschullehrerin in einem Artikel in Frage stellte.

Die meisten Medien hätten trans Personen als einflussreiche Tyrann*innen dargestellt, obwohl es zu dieser Zeit keine hochrangige trans Politiker*innen gegeben habe und die wenigen präsenten trans Kolumnist*innen aus dem Diskurs verdrängt worden seien, schreibt Jacques in ihrer Rezension zu Fayes Buch. „Even if these writers (myself included) had managed to make these publications more trans-positive, this would have done little to combat the legislative assaults on trans communities”, gibt Jacques in ihrem Text zu bedenken. Sie hebt in dem Artikel vor allem die Transfeindlichkeit in Brasilien, Ungarn, Polen, der Türkei und den USA hervor.

Transition und Fußball

Trotzdem hat sie selbst bereits für mehrere journalistische Publikationen geschrieben, unter anderem für die britische Tageszeitung „The Guardian“: Hier veröffentlichte sie zwischen Juni 2010 und November 2012 mehrere Artikel über ihre Transition. In der Serie deckt Jacques grundlegende Themen wie das Coming-Out als trans Person, die Suche nach einer trans Gemeinschaft oder die Namensänderung ab; spricht aber auch über Transfeindlichkeit auf dem Arbeitsmarkt und mentale Gesundheit. Die Artikelreihe endet mit Jacques Erfahrungen nach einer geschlechtsangleichenden Operation. Jacques’ Kolumne war 2011 für den britischen „Orwell Prize“ für politisches Schreiben nominiert und ist nach wie vor kostenfrei auf der Website von The Guardian zugänglich.

Der Veranstaltungstext des Mudams verweist auf die weiteren Talente und Werke der Autorin: Neben ihrer journalistischen Arbeit schreibt sie beispielsweise Kurzgeschichten, ihre Novelle „Monaco“ erscheint Ende des Jahres bei Toothgrinder Press. Interessant ist zudem ihr Interesse für Fußball: Jacques publiziert seit Jahren kritische Texte zur Welt des runden Leders und untersucht dabei weniger die Tabellenspitzen als strukturelle Konflikte. So erörtert sie in ihrem Artikel „Raoul Diagne and the racial politics of Les Bleus“ (2010) die Beziehungen zwischen dem Senegal und der früheren Kolonialmacht Frankreich, indem sie einen Blick auf die Männermannschaften und die Herkunft ihrer Spieler wirft. In dem Essay „To whom does the World Cup belong?“ äußerte sie sich 2022 zur Fußball-WM im Katar, die auch in der woxx kritisch kommentiert wurde. In einem anderen Beitrag geht es um nichts geringeres als „Football, art and queer culture“. Auf der Internetseite der Autorin sind diese und weitere Artikel verlinkt und je nach Medium frei zugänglich.

Wer Jacques lieber vor Ort erleben möchte, sollte sich hingegen am Samstag ins Auditorium des Mudams begeben. Der Eintritt zur Veranstaltung ist im Eintrittspreis inbegriffen, eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Neben dem thematischen Bezug zu Tourmaline, die sich in ihrer künstlerischen Arbeit mit LGBTIQA+-Persönlichkeiten und dem Leben Schwarzer trans Personen auseinandersetzt, findet die Lesung mit Juliet Jacques aber auch im Rahmen des „Mudam’s Exchange Programme for Critical Thinking“ statt. Die Veranstaltungsreihe feierte Anfang April ihren Auftakt: Damals kamen internationale Kunstkritiker*innen und Autor*innen zusammen, um über die Möglichkeit der Kritik zu debattieren. Das Mudam startete damit sein „Austauschprogramm für kritisches Denken“, eine „Residency“ für Kritiker*innen. „Mit diesem Programm will das Museum als Erstes gegen die Entwertung von Kunstkritik, Kunstjournalismus und freiberuflichem Journalismus eintreten“, heißt es in der Beschreibung zur Reihe. Bei den bisherigen Veranstaltungen fehlte es allerdings an Vertreter*innen der nationalen Kulturpresse, die an einer solchen Wertschätzung sicherlich interessiert sein dürften … Neben dem Auftritt von Juliet Jacques sind noch zwei weitere Diskussionsrunden geplant, und zwar „Die Notwendigkeit der Kritik. Nischen, Netzwerke, Massen: Die Mittel zum Publizieren“ und „Die Verantwortung der Kritik. Wer ist heute für die Wahrnehmung von Museen verantwortlich?“. Weitere Informationen hierzu gibt es auf der Internetseite des Mudams.

Front Lines: Memoires, Theories and Fictions. Lecture by Juliet Jacques, 
am 22. April von 16 bis 18 Uhr im Mudam.

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