In Ankara mussten sich heute 19 Personen für die Teilnahme an einer Pride vor Gericht verantworten. „Rosa Lëtzebuerg“ und andere Menschenrechtler*innen rufen zum Handeln auf.
Im Mai 2019 wurden 18 Studierende und ein Dozent der türkischen „Middle East Technical University“ (METU) wegen ihrer Teilnahme an der LGBTI-Pride auf dem Universitätscampus festgenommen. Einer Person wird zudem Beamtenbeleidigung vorgeworfen. Die Menschenrechtsorganisation „Queeramnesty“ und ILGA-Europe (International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association-Europe) riefen bereits Ende Oktober zur Anfechtung des Verfahrens auf. Ihrem Ruf ist nun auch „Rosa Lëtzebuerg“ gefolgt. Die Organisation, die sich als nationale Vertretung der LGBTQI-Gemeinschaft versteht, wandte sich in einem offenen Brief an den luxemburgischen Außenminister Jean Asselborn. Er solle die türkische Regierung dazu auffordern, die Anklage gegen die Betroffenen fallen zu lassen sowie brutale Polizeieinsätze bei friedlichen Prides in Zukunft zu unterbinden. Der Minister hat bis dato keine Stellung bezogen.
Nach Angaben von „Queeramnesty“ hatte der Rektor der METU, Mustafa Verşan Kök, die Studierenden und die Mitarbeiter*innen erst wenige Tage vor der Pride über deren Rechtswidrigkeit informiert – mit Verweis auf eine Verordnung der Provinzverwaltung Ankara vom Oktober 2018, die ein Pauschalverbot von LGBTI-Veranstaltungen in Ankara vorsieht. Die in Ankara ansässigen LGBTI-Organisationen Kaos GL und Pink Life haben unabhängig voneinander gegen das Verbot geklagt. „Das unbefristete pauschale Verbot aller LGBTI-Veranstaltungen sei während des Ausnahmezustands (Anm.d.R.: 2016-2018) verhängt worden und verstoße gegen die Meinungs-, Versammlungs – und Vereinigungsfreiheit“, berichtet „Queeramnesty“. „Nachdem die Klage zunächst erstinstanzlich abgelehnt wurde, hob am 19. April 2019 ein Verwaltungsgericht in Ankara das pauschale Verbot aller LGBTI-Veranstaltungen in der türkischen Hauptstadt endgültig auf. Das Gericht stufte das Pauschalverbot selbst unter dem Ausnahmezustand als verfassungswidrig ein.“ Die Direktion der METU stützte sich dennoch auf das Verbot vom Oktober 2018 und schaltete die Polizei ein.
Die Studierenden und die Mitarbeiter*innen der Universität versammelten sich trotz dem Verbot auf dem Campus – und setzten damit nicht nur ein Zeichen für die Recht der LGBTI-Gemeinschaft, sondern auch für das Recht auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung. „Als sich die Studierenden weigerten, auseinanderzugehen, lösten die Polizist*innen ihre Versammlung mit Pfefferspray, Gummigeschossen und Tränengas auf“, schreibt „Queeramnesty“. „Dabei gab es mehrere Leichtverletzte. Mindestens 22 Personen wurden festgenommen, darunter auch die Neunzehn, die derzeit strafrechtlich verfolgt werden.“ In der Anklageschrift steht, die Pride sei eine rechtswidrige Versammlung gewesen und die Angeklagten seien trotz Mahnung nicht auseinandergegangen. In den Vorjahren war die Kundgebung auf dem Campus übrigens erlaubt gewesen.
Grundsätzlich gehört die Versammlungsfreiheit zu den Grundrechten und ist durch internationale Standards und Konventionen geschützt. In Folge des gescheiterten Militärputsches im Jahr 2016 erklärte die Türkei den Ausnahmezustand und setzte die Europäische Menschenrechtskonvention außer Kraft. Gewisse Einschränkungen bezüglich der Grundrechte blieben auch über die Aufhebung des Ausnahmezustandes 2018 bestehen. Darunter leiden, nach diversen Quellen, vor allem marginalisierte Gruppen wie Frauen, Asylbewerber*innen oder LGBTI-Menschen. Homosexualität ist in der Türkei legal, doch sind wenige bis keine LGBTI-Rechte in der Verfassung verankert. Das Urteil im Fall METU steht noch aus.